Russland hat den ersten Film der Welt auf der ISS gedreht. War es das wert, ins All zu fliegen?

Klim Schipenko/«Roskosmos», Perwy kanal, 2023
Astronauten und Astronautinnen sind schon lange Filmfans. Alle haben sie bereits Tausende von Foto- und Videoaufnahmen betrachtet, die von ihnen im Weltraum aufgenommen wurden. Aber der erste Spielfilm mit echten Weltraum-Szenen kommt erst jetzt in die Kinos. "The Challenge" ist prädestiniert für ein rekordverdächtiges Einspielergebnis.

Speziell für die The Challenge verbrachte Regisseur Klim Schipenko (der gleichzeitig als Kameramann und Beleuchter fungierte) zusammen mit der Schauspielerin Julia Peresild (die ihre eigene Maskenbildnerin war) tatsächlich fast zwei Wochen auf der Internationalen Raumstation, um Schlüsselszenen für den Film aufzunehmen. In der Geschichte ist eine einfache Chirurgin gezwungen, ohne größer Vorbereitung zur ISS zu fliegen, um das Leben eines Astronauten zu retten.

War es das wirklich wert, so weit zu gehen? Man hat bisher Filme über den Weltraum auf der Erde gedreht und das mit zum Teil beeindruckendem Ergebnis.

Der Weltraum ist teuer

Jeder Regisseur wird sagen, dass es extrem schwierig ist, die Schwerelosigkeit unter den Bedingungen des Weltalls nachzustellen. Aber es ist natürlich möglich. Als interessanten Präzedenzfall können Sie sich den sowjetischen Science-Fiction-Klassiker Durch Dornen zu den Sternen (1980) ansehen. Dort wurde eine der Weltraumszenen in einem mit Wasser gefüllten Becken gefilmt und die Rollen der Kosmonauten wurden dabei von Tauchern in futuristischen Kostümen gespielt. Der größte Nachteil dieser Methode sind die unvermeidlichen Luftblasen der Taucher. Aber auch hier wurde ein Ausweg gefunden - die Schauspieler wurden gefilmt, als ob sie auf dem Kopf stünden, die Luft ging „nach unten“ und fiel somit kaum auf.

Natürlich wenden sich Filmemacher viel öfter nicht an Taucher, sondern an echte Astronauten. Für das Training der Bewegung in der Schwerelosigkeit verwenden diese ein spezielles Flugzeug. Und so funktioniert es: Der Pilot steigt mit dem Flugzeug erst steil nach oben, dann geht es abrupt in den Sinkflug und an Bord tritt Schwerelosigkeit ein. Aber sie dauert nur 25-30 Sekunden, nicht länger. Um vier Stunden Filmmaterial zu drehen, mussten die Macher von Apollo 13 (1995) also 612 Starts durchführen.

Eine billigere, wenn auch nicht weniger komplizierte Variante sieht wie folgt aus: Die Schauspieler werden mit einem komplexen System aus Kabeln und Ösen aufgehängt, die dann in der Postproduktion gelöscht werden. Auf diese Weise wurde vor allem der berühmte Film Gravity (2013) gedreht.

Natürlich ist es äußerst problematisch, auf diese Art eine vollständige Illusion zu erreichen – es braucht viel Training, bis die Schauspieler die richtige Balance finden und sich wohlfühlen. Aber egal, wie sehr sie sich bemühen, eine vollkommene „Schwerelosigkeit“ der Schauspieler im Film ist unmöglich darzustellen – normalerweise finden die Filmastronauten nach ein paar Sprüngen einen Halt und verharren.

Die Gesetze der Physik schränken den Aufnahmewinkel stark ein – die Kameraleute haben nicht so viele Möglichkeiten, einen an Drähten hängenden Schauspieler zu filmen. Von vorne klappt das sehr gut, aber von oben oder von der Seite gibt es Probleme. Besonders schwierig ist bei solchen Szenen der In-Frame-Schnitt, der aufeinanderfolgende Wechsel der Blickwinkel ohne bemerkbare Übergänge bei der Montage. Vor The Challenge hat das nur Alfonso Cuarón in Gravity geschafft.

Für die Macher von The Challenge gehören all diese Einschränkungen der Vergangenheit an. Auf der Internationalen Raumstation wurden zwölf volle Drehschichten absolviert, und das Filmmaterial hatte am Ende eine Laufzeit von 78 Stunden und 21 Minuten. Der Film ist über eine Stunde lang und wir sehen Julia Peresild aus den unvorstellbarsten Perspektiven, einschließlich ihres Fluges um die Orbitalstation ohne jegliche Montage. Nicht nur sie, sondern auch der Kameramann selbst bewegt sich frei schwebend. Kein anderer Weltraumfilm hat uns je eine solche Choreographie, einen solchen Eindruck von Präsenz vermittelt.

Und es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass das Ganze nicht wesentlich mehr gekostet hat als die üblichen Filme mit „Schwerelosigkeit“. Das Budget für The Challenge wurde mit weniger als 1 Milliarde Rubel (etwa 11 Millionen Euro) angeben.

Vom Leben der Haare

Das eigenwillige Haar der Schauspieler stellt selbst im Zeitalter virtuoser CGI-Grafiken ein großes Problem dar. Sogar der Perfektionist Christopher Nolan erlebte mit ihnen einen Reinfall. Eine der wenigen technischen Kritikpunkte in seinem Film Inception ist in der Schwerelosigkeitsszene zu sehen: Joseph Gordon-Levitts Figur bewegt sich in spektakulärer Weise durch die Wände als Spider-Man, aber seine Haare bleiben dabei vollkommen ruhig.

Aber was bedeutete das Problem schon bei Gordon-Levitt? Er hat im Film einen sehr kurzen Haarschnitt, und der ist auch noch stylisch mit Haargel „beruhigt“ worden. Eine aufwändigere Aufgabe ist es, lange Haare in der Schwerelosigkeit realistisch darzustellen. Deshalb haben weibliche Astronauten in Filmen normalerweise entweder so einen Haarschnitt, dass sie wie ein Junge aussehen, oder sie haben ihre Haare zu einem festen Dutt verknotet.

In The Challenge hat dieses Problem für die Filmemacher der Weltraum selbst gelöst. Es wurden keine visuellen Effekte in der Postproduktion benötigt – Peresilds Haare haben ein Eigenleben und erzeugen einen verblüffenden Effekt der Realitätsnähe.

Es mag seltsam klingen, aber auch ein anderes traditionelles „Weltraumproblem“ hat sich von selbst gelöst. Ein loser Haarschopf ist doch komisch, oder? Und die allermeisten Filme über den Weltraum sind dramatisch – ein unfreiwilliger Gag kann da leicht jede Spannung zunichtemachen. Aber in The Challenge ist Julia Peresilds Weltraumfrisur so organisch und wir gewöhnen uns so schnell daran, dass es keine Dissonanz mit dem Genre gibt. Im Gegenteil, das Gefühl der Authentizität steigert die Spannung nur noch mehr.

Licht von fernen Planeten

The Challenge beweist, dass wir eine falsche Vorstellung vom Weltraum haben. Den Blick auf die ISS kennen wir bereits aus den Fernsehnachrichten und entsprechenden Dokumentationen. Es stellt sich jedoch heraus, dass die Station, die mit einer professionellen RED-Kamera von einem professionellen Kameramann gedreht wurde – Schipenko hat an einer kalifornischen Filmschule studiert und diesen Beruf zusammen mit der Regie gelernt – etwas anders aussieht. Klar, sie ist fantastisch und unglaublich schön. Aber sie ist mitnichten hochtechnisiert und futuristisch, sondern eher wohnlicher, als wir es erwarten würden. Gleichzeitig ist sie aber auch nicht so „runtergekommen“, wie sie in Filmen wie Armageddon dargestellt wird.

Es stellt sich auch heraus, dass wir keine Ahnung haben, wie Farbe und Licht im Weltraum wirklich aussehen. Schipenko verwendete im Orbit drei LED-Beleuchtungspaneele, aber das Licht aus den Bullaugen veränderte sich ständig und leuchtete im Gesicht von Peresild erst rot, dann blau, dann grün. Solche ästhetischen „Fehler“ können auf der Erde nicht vorausgesehen werden.

Heute, wo alles am Computer nachbearbeitet werden werden kann, kehrt die Welt des spektakulären Kinos, so seltsam es auch erscheinen mag, zu „handgemachten“ Effekten zurück. Das krasseste Beispiel dafür ist Christopher Nolans kommender Film Oppenheimer, in dem sogar eine Atomexplosion ohne die Hilfe von Computergrafiken simuliert wird. The Challenge passt genau in diesen Trend – die authentische Textur im Film ist viel effektiver als die computergenerierte. Effekte gibt es natürlich auch in diesem Film, vor allem in der Szene mit dem Weltraumspaziergang. Die Macher hatten offensichtlich gehofft, sie live zu drehen. Aber das passiert wahrscheinlich erst beim nächsten Film im Weltall.

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