Stalins „Sieben Schwestern“: Das „Tschekistenhaus“ an der Kotelnitscheskaja-Uferstraße am Kreml

Kultur
JEKATERINA SINELSCHTSCHIKOWA
Wir verraten Ihnen, was sich in dem berühmten Gebäude befand, ob es stimmt, dass direkt auf der Baustelle ein GULAG lag und wer heute in dem einstigen Elitehochhaus wohnt.

Adresse: Kotelnitscheskaja-Uferstraße 1/15. Nächste Metrostationen: Taganskaja, Kitaj-gorod

Baujahre: 1937-1952

Was befindet sich dort?: Wohnungen, Geschäfte, Restaurants, eine Bank, Haushaltsdienstleister und ein Kino.

Nach dem Sieg im Zweiten Weltkrieg sollte Stalins Wiederaufbauprogramm für Moskau die Stadt in eine Musterstadt verwandeln. Sieben Wolkenkratzer, die so genannten Sieben Schwestern, verkörperten die Größe und den Triumph der Hauptstadt. Eines dieser Hochhäuser, das nur 900 Meter vom Kreml entfernt ist, wurde ursprünglich als Wohngebäude gebaut. Es war jedoch nie ein einfaches Wohnhaus.

Wie wurde es errichtet?

Der Wolkenkratzer wurde auf dem Gelände von Mehlspeichern errichtet – früher gab es am Zusammenfluss von Moskwa und Jausa traditionell eine Menge Windmühlen. Für den Bau wurden auch vier Gassen des alten Moskau abgerissen.

Die Wahl des Stadtteils war nicht zufällig. Zu dieser Zeit wurde dieser Damm sowie der ihm gegenüberliegende Teil der Baltschug-Insel aktiv mit pompösen Gebäuden im stalinistischen Klassizismus bebaut. Ursprünglich sollten nach dem Generalplan Stalins nicht sieben, sondern acht Wolkenkratzer gebaut werden: Ein Hochhaus in Sarjadje sollte der achte werden, aber dieses Projekt wurde nie umgesetzt, so dass dieses Wohnhaus an der Kotelnitscheskaja-Uferstraße schließlich dem Kreml am nächsten gelegene war. Es wurde von den Architekten Dmitrij Tschetschulin und Andrej Rostkowskij projektiert, die beide mit Stalinpreisen ausgezeichnet wurden.

Beim Bau waren GULAG-Häftlinge beteiligt. Bis 1953 befand sich ihr Gefangenenlager direkt auf der Baustelle; um niemanden entkommen zu lassen, war das gesamte Gelände mit einem drei Meter hohen Zaun mit fünf Reihen Stacheldraht und einer Sicherheitszone von einem halben Meter Höhe abgesperrt. Bis zum Sommer 1951 waren neben den regulären Häftlingen auch Kriegsgefangene am Bau beteiligt. Die Tatsache, dass das Gebäude von Gefangenen gebaut wurde, war allen Bewohnern bekannt.

Warum sieht das Gebäude so aus?

Die Architekten behaupten, dass der Stil der Moskauer Architektur vom Ende des 17. Jahrhunderts – wie die Mariä-Schutz-und-Fürbitte-Kirche zu Fili – als Beispiel für dieses Gebäude diente.

Der zentrale Teil hat 32 Stockwerke und ist mit der Turmspitze 176 Meter hoch. Früher hatte das Gebäude 540 Wohnungen, heute sind es etwa 700. Aufgrund der nach oben verengten Bauweise sind viele Wohnungen im obersten Teil des Gebäudes klein, aber das hat nur wenige gestört. Denn alles in dem Gebäude unterstreicht den Status seiner Bewohner.

Das zentrale Treppenhaus erinnert in seiner Ausstattung an einen Palast: eine prächtige Marmortreppe mit Säulen, Basreliefs aus Porzellan, mit Granit verkleidete Wände, Skulpturen, Kristalllüster. Im Hof des Gebäudes befindet sich eine Tiefgarage, auf deren Dach sich einst Tennisplätze befanden.

Man ging davon aus, dass die Bewohner des Gebäudes für die täglichen Einkäufe und Dienstleistungen nicht nach draußen gehen mussten. Im Gebäudekomplex befanden sich Lebensmittelgeschäfte, ein Postamt, Cafés, ein Schönheitssalon, ein Waschsalon, ein Kunstatelier, eine Schachschule und ein Kino.

In diesem Gebäude befand sich auch ein legendäres Nähatelier, in dem Militär- und Zivilkleidung hergestellt wurden – die Marschälle Schukow, Budjonny und Konjow ließen dort ihre Uniformen anfertigen. Interessanterweise waren die Kronleuchter des Nähateliers an den Dreharbeiten zum Film Krieg und Frieden von Regisseur Fjodor Bondartschuk beteiligt.

Wofür ist es bemerkenswert?

Das Gebäude tauchte in russischen Filmen auf: Moskau glaubt den Tränen nicht (1979) und Bruder 2 (2000).

Ursprünglich wurde das Hochhaus von NKWD-Beamten bewohnt. Der Bau wurde von Lawrentij Berija, Stalins engstem Verbündeten, kuratiert, und so beschloss man, die Wohnungen nur an Beamte des sowjetischen Sicherheitsdienstes zu vergeben. Auf dieser Liste standen auch Atomphysiker, die unter Berija arbeiteten und an Atomwaffen forschten. Um den elitären Status des Gebäudes noch weiter zu unterstreichen, ließen sich dort auch Kunstschaffende nieder.

Zu verschiedenen Zeiten wohnten hier der Dichter Jewgenij Jewtuschenko, die Schauspielerinnen Faina Ranewskaja und Nonna Mordjukowa, die Ballerina Galina Ulanowa, die Schauspieler Alexander Schirwindt und Michail Scharow, die Schriftsteller Konstantin Paustowski und Wassilij Aksjonow sowie andere Kunstschaffende. Obwohl der Architekt Dmitrij Tschetschulin nach Stalins Tod als Schöpfer der stalinistischen Architektur in Ungnade fiel, erhielt auch er den begehrten Schlüssel von einer der Wohnungen.

Die Wohnungen des Wolkenkratzers wurden schlüsselfertig gebaut und vollständig eingerichtet: mit teurem Parkett, Deckenstuck, Kristallleuchtern, Bronzelampen, importierten Sanitäranlagen und modernen Möbeln. Ein einfacher Sowjetbürger musste sein ganzes Leben lang sparen, um sich allein einen Kristalllüster leisten zu können.

Allerdings durften die Menschen in ihren Wohnungen keine Möbel umstellen, von einer Sanierung ganz zu schweigen – die Hausverwaltung hatte ein wachsames Auge darauf und führte regelmäßige Kontrollen durch. Denn im „Tschekistenhaus“ gab es überall Überwachungsmikrofone; wenn man seinen Schrank oder eine Kommode bewegte, konnte man versehentlich ein paar Drähte beschädigen.

Wer dort heute wohnt

Hauptsächlich leben dort noch die Nachkommen derjenigen, die die Wohnungen zu Sowjetzeiten erhalten haben. Andere Wohnungen wurden verkauft und vermietet.

Der derzeitige Durchschnittspreis für eine Zweizimmerwohnung liegt bei etwa 50 Millionen Rubel (ca. 567.000 Euro); man kann eine solche Wohnung auch für etwa 100.000-170.000 Rubel (1.130-1.930 Euro) pro Monat mieten. Junge Leute ziehen eine WG vor, da es preisgünstiger ist.

Von der einstigen Pracht ist nicht mehr viel übrig. Im zentralen Foyer sind eine Mosaikdecke und eine Marmorverkleidung erhalten. Die ursprüngliche Einrichtung der Wohnungen hat jedoch nicht überlebt (obwohl einige Elemente davon, wie z. B. ein ehemaliger Kronleuchter oder ein Spiegel, in einigen von ihnen noch vorhanden sind). Außerdem sind viele Einrichtungen veraltet, was zu ständigen Unannehmlichkeiten für die Bewohner führt. Alles, was in den Nachbarwohnungen vor sich geht, ist wegen der alten Lüftungsanlage und der Holzböden und -decken deutlich zu hören.

„In der Wohnung brennt ständig etwas durch oder geht kaputt – zwei Monate nach meinem Einzug wurde mir klar, dass das Gebäude für die Schönheit und nicht für das Wohnen geschaffen wurde. Ja, es liegt im Zentrum der Stadt, aber es ist immer noch weit von der nächsten U-Bahn-Station entfernt. Und man braucht nicht weniger als 20 Minuten, um das Gebäude zu umrunden“, sagte Ksenia Wetschtomowa, die dort eine Wohnung gemietet hat.

Wie man heute in das Gebäude kommt

Pförtnerinnen achten auch heute noch darauf, dass kein Unbefugter das Gebäude betritt.

Früher konnte man das Haus betreten, indem man eine Eintrittskarte für die Museumswohnung der Ballerina Galina Ulanowa kaufte, aber diese ist nun wegen Umbauarbeiten geschlossen. Die einzige Möglichkeit ist, ein Ticket bei der Agentur Kryschy i wysche (dt.: Dächer und höher) zu kaufen, die Ihnen für 2.000 Rubel eine Führung durch das Treppenhaus und einen Tee in einer der Wohnungen mit Panoramablick anbietet.

Eine andere Möglichkeit, einen Teil des Gebäudes zu besichtigen, ist der Besuch des Kinos Illusion. Es ist eines der ältesten Kinos der russischen Hauptstadt, das sich im ersten Stock des Wolkenkratzers befindet – und es ist dasselbe Kino, in dem Filme aus den Archiven des Gosfilmofond gezeigt wurden (das werden sie übrigens immer noch). Vor kurzem wurde es umgebaut und in ein modernes Kino mit einem einzigartigen Repertoire verwandelt.

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