Beide Filme, „Der Bruder“ (1997), und der Nachfolger „Der Bruder 2“ (2000) wurden in Russland zum Kult. Das Besondere an Balabanows Reihe ist, dass sie als Brücke zum Verständnis der russischen Kultur und der postsowjetischen Generation der neunziger Jahre dient.
Sergei Bodrow Jr. als Danila Bagrow
Aleksei Balabanow/CTB-Filmstudio, 1997Balabanow, der Fremdsprachen studiert hatte, war der geborene Filmregisseur. Die Leinwand war sein Metier. Es war zudem eine Möglichkeit, das Leben auf einer tieferen Ebene auszuloten. Balabanow hatte einen ausgezeichneten Sinn für Dialoge, Erzählrhythmus, Details und Interaktion der Charaktere. In den frühen 1980er Jahren diente er in einer Transporteinheit der sowjetischen Armee und flog während des Krieges nach Afghanistan, um die Leichen der Toten zurück in die Heimat zu bringen.
In „Der Bruder“ kehrt der junge Danila Bagrow (dargestellt von Sergei Bodrow Jr.) nach seinem Militärdienst in seine kleine Provinzstadt zurück. Danilas Mutter bittet ihren Sohn, seinen älteren Bruder Viktor zu besuchen, den sie für einen erfolgreichen Geschäftsmann in St. Petersburg hält. In Wirklichkeit ist Viktor (Spitzname Tatar) ein Killer und steckt in großen Schwierigkeiten.
Um die Interessen seines Bruders auch gegen ethische Grundsätze zu verteidigen, greift schließlich auch Danila zur Waffe und nach der Position seines Bruders. Der jüngere Bruder ist in der Tat eine doppelte Bedrohung. Der gute Junge mutiert zum „Bad Boy“. Er hat keine Ziele, keinen Ehrgeiz, keine Ängste. Sein sozialer Status kümmert ihn nicht. Er verspürt lediglich das Gefühl absoluter Freiheit, innerer Ruhe und hat ein gefährliches Selbstvertrauen. Der junge Mann erfährt eine große Veränderung, als er beginnt sein wahres Selbst zu entdecken.
Balabanows „Der Bruder“ hat den Nerv eines breiten Publikums getroffen, von Teenagern über Hausfrauen bis zu Rentnern. Und das nicht, weil es ein actiongeladener Thriller war, sondern weil die Geschichte von Herzen kam. Viele erkannten sich selbst oder die Freunde, Verwandten oder Nachbarn in der ambivalenten Hauptfigur.
Als „Der Bruder 2“ im Jahr 2000 veröffentlicht wurde, traf Balabanow diesen Nerv erneut. Der zweite Teil wurde sogar ein noch größerer Erfolg.
Darin feiert Danila Bagrow ein Comeback. Er trägt dieselben schweren Stiefel, einen grob gestrickten beigen Pullover und ein einfältiges Grinsen im Gesicht. Danila, dessen Stimme von ewiger Traurigkeit beherrscht wird, kommt in Moskau an, wo er in einen Bandenkrieg verwickelt wird. Die Dinge nehmen eine überraschende Wendung, als Danila und sein Bruder Viktor nach Amerika reisen, um den Tod eines Freundes zu rächen und dessen Zwillingsbruder zu helfen - einem Hockeyspieler, der von einem „bösen Amerikaner“ ausgeraubt wurde.
In Chicago ist Danila damit beschäftigt, sich mit Afroamerikanern zu prügeln, eine russische Prostituierte zu retten und die Hälfte der Gangster der Stadt zu eliminieren. Er triumphiert über die örtliche Mafia und holt eine Million Euro für seinen Freund zurück. Sein Verhalten wird durch seinen starken Gerechtigkeitssinn bestimmt.
Im ersten Film ist die Hauptfigur der Außenseiter, eine Art Antiheld, ein „blinder Attentäter“, der kindliche Fragen stellt, wie „Wofür leben wir?“.
In „Der Bruder 2“ liefert Danila bereits eine Menge an Antworten, die seinen Feinden einen Teil seiner Gedankenwelt offenbaren: „Stärke liegt in der Wahrheit“, sagt er. „Du hast jemanden betrogen, dabei etwas Geld verdient und glaubst Du seist nun stärker? Nein, bist Du nicht, weil dabei keine Wahrheit war.“
Mit so vielen Wendungen in der Handlung wie Straßen in Chicago scheint die zweite Folge wie eine russische Matrjoschka-Puppe zu sein. Sie bietet alles: Tempo, Tiefe, eine gute Geschichte und viele denkwürdige Dialoge (allerdings auch einige ziemlich rassistische Bemerkungen).
Eine einfache Wahrheit ist, dass die „Der Bruder“-Filme als bislang beste russische Gangsterthriller gelten. Skandalös, schockierend, politisch inkorrekt, der beispiellose Erfolg der Filme ist wahrscheinlich auf die gnadenlose Authentizität zurückzuführen.
Wenn man so will, ist Balabanows Magnum Opus auch ein Vintage-Polaroid-Schnappschuss des gesamten postsowjetischen Jahrzehnts. Es ist ein Relikt einer Zeit, die viele wahrscheinlich lieber vergessen würden. Der Regisseur war ein kluger Analyst menschlicher Beziehungen. Er hat die konventionellen Gesetze des Genres, die im Mainstream-Kino übernommen wurden, ignoriert. Für ihn bestimmte die Sprache des Kinos das Sozialverhalten.
Was macht einen großartigen Film aus? Vielleicht eine Mischung aus Adrenalin und Botschaft. Beides übersteht auch eine Übersetzung. Aber wenn ein Film wirklich großartig ist, könnte auch der Ton ausfallen und Sie hätten immer noch eine Vorstellung davon, worum es geht. Und genau das bieten die „Der Bruder“-Filme.
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