Nikolai Ekks „Der Weg ins Leben“ („Putjowka w sсhisn“), der erste sowjetische Spielfilm mit Ton, kam 1931 heraus, vier Jahre nach dem ersten Tonfilm der Welt. Es war ein Film über Heranwachsende aus schwierigen Verhältnissen von einem Regisseur, den damals kaum jemand kannte.
Nikolai Ekk war sich jedoch sicher, dass sein Ansatz beim Filmen und seine Geschichte den Film zu einer Legende machen würden. Und so kam es auch. Stalin sah sich den Film, von dem er nur den ersten Teil anschauen wollte, eines Nachts bis zum Schluss an, und ein Kino in New York lieh den Film ein ganzes Jahr lang.
Ein Film über die „Umerziehung“ von Kindern
Der Regisseur Nikolai Iwakin, der sich das aussagekräftige Pseudonym Nikolai Ekk gab, gehörte nicht zur Elite der jungen sowjetischen Filmemacher. In diesen Kreisen kannte man ihn kaum. Doch der junge Regisseur sprühte nur so vor Ideen. Und während die ersten Titanen der sowjetischen Kinematographie noch den „Tonfilm“ kritisierten, arbeitete er an „Der Weg ins Leben“.
Der Film beruht auf einer wahren Geschichte aus einem bolschewistischen Experiment: Der „Umerziehung“ von Straßenkindern durch Arbeit. Im Jahr 1924 wurde in der Sowjetunion die erste Kommune für schwer erziehbare und straffällige Kinder gegründet. Der Kern des Experiments war, solche Kinder nicht in Jugendgefängnisse zu stecken, sondern in Gemeinschaften unterzubringen, wo sie auf einen anderen Weg gebracht und für nützliche Berufe ausgebildet werden sollten. Die Propaganda bezeichnete diesen Prozess als „Umerziehung“ und die Arbeitskommunen als Hilfe für ein besseres Leben. Ähnliche Gemeinschaften entstanden bald überall in der Sowjetunion.
Der Regisseur und sein Team verbrachten mehrere Monate in einer solchen Einrichtung, aus der auch die Darsteller geholt wurden. Nur zwei professionelle Schauspieler spielten in dem Film mit, der Rest waren einfach Kinder aus dieser Kommune. Aber laut Drehbuch konnte (wie im Leben) nicht jeder schnell „umerzogen“ werden. Diese Realitätsnähe musste die Zensoren erschrocken haben, und nach der ersten öffentlichen Vorführung wurde der Film von den zuständigen Behörden verboten.
Eine Vorführung für Stalin
Der Film blieb jedoch nicht lange unter Verschluss. Die einzige Vorführung sorgte für großes Aufsehen, sie war eine noch nie dagewesene akustische „Attraktion“. Der Film erregte das Interesse der Regierung.
„Eines Abends wurde im Kino „Chudoschestwennyj“ eine weitere Vorführung des Films organisiert. Die Mitglieder des Zentralkomitees waren gekommen. Neben Stalin war der Platz des Regisseurs Ekk. Ich saß etwas weiter weg, in der Nähe von Woroschilow“, erinnert sich die Drehbuchautorin Regina Januschkewitsch in ihren Memoiren. „Stalin sagte, er werde nach dem ersten Teil des Films entscheiden, was zu tun sei. Doch die Teile eins, zwei und drei gingen zu Ende und keiner der Regierungsmitglieder verließ den Saal. Alle sahen den Film bis zum Ende.“
Nach der Vorführung schwieg Stalin. Dann stand er auf und murmelte nur im Gehen: „Ich verstehe nicht, was es da zu verbieten gibt?“ Und ging hinaus.
Ein skandalträchtiger Film
Danach kam der Film in den großen Verleih und wurde erwartungsgemäß ein Hit, obwohl er immer noch ein sehr ungewöhnliches Werk war, gedreht in der Ästhetik eines Stummfilms.
Es stimmt, dass viele Menschen in der Sowjetunion „Der Weg ins Leben“ nicht wegen seiner künstlerischen und ideellen Attraktivität sahen, sondern um die schmutzigen Lieder zur Gitarre zu hören und um zu prüfen, ob der ganze Film vertont war. Damals gab es auf den sowjetischen Leinwänden bereits so genannte „Tonmontagen“ - Zusammenschnitte von Theatermonologen, Propagandareden und Fragmenten von Musikaufführungen. Nur Tonfilme fehlten.
Der Film wurde in 107 Ländern gezeigt, und 1932 erhielt Nicolaus Ekk bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig eine Auszeichnung als bester Regisseur. In Berlin wurde der Film zunächst zweieinhalb Monate lang exklusiv in einem der angesehensten Lichtspielhäuser gezeigt und kam danach gleichzeitig in 25 Kinos. In New York lief „Der Weg ins Leben“ ein ganzes Jahr lang. Im „demokratisch freien“ Frankreich stieß der Film jedoch auf Ablehnung und wurde verboten.
Als der Regisseur nach den Gründen für das Verbot gefragt wurde, sagte der französische Zensor: „Wenn ich daran denken würde, Kürzungen vorzunehmen, müsste ich Sie bitten, den ganzen Film herauszuschneiden, denn ich werde keine einzige Stelle finden, an der nicht von der Kommune oder dem Kommunismus die Rede ist oder an der ich nicht die 'Internationale' höre“.
Dennoch wurde der Film dem französischen Publikum nicht vorenthalten - in privaten Vorführungen, die von der „Gesellschaft der Freunde des neuen Russland“ organisiert wurden. In der französischen Presse erntete er begeisterte Kritiken, in antirevolutionären Emigrantenkreisen wurde er mit bissiger Ablehnung überzogen.