Im Jahr 1833 starb der Priestermönch Seraphim im Sarow-Kloster in der Provinz Tambow (heute Oblast Nischnij Nowgorod) während des Gebets. Dieser alte Mann verbrachte 30 Jahre in einer einsamen Klause im Wald in Zurückgezogenheit und mit spirituellen Taten. Zu seinen Lebzeiten strömten viele Menschen zu ihm und baten um Hilfe und er wies niemanden ab. Der Ruhm seiner wundersamen spirituellen Fähigkeiten verbreitete sich in ganz Russland.
Mit der Heiligsprechung des Einsiedlers wurde unmittelbar nach dessen Tod begonnen, doch die Angelegenheit verzögerte sich und wurde erst 70 Jahre später von Nikolaus II. abgeschlossen.
Porträt auf Lebenszeit (1828).
Public DomainNach zwei Jahrhunderten europäischen Einflusses im Russischen Reich bestieg nach der Ermordung Alexanders II. 1881 dessen Sohn Alexander den Thron. Er betrachtete den Einfluss des Westens als zersetzend und machte ihn für revolutionäre Stimmungen und das Aufkommen von Terrorgruppen verantwortlich. Es war Alexander III., der die reaktionären Prozesse in Russland in Gang setzte. Der Zar verfügte über Bärenkräften: Nach einer Entgleisung des Zarenzugs hatte er den Waggon mit seinen Schultern vor dem Absturz abgehalten, bis seine Familie von dort evakuiert wurde. Er war ein tief religiöser Mann und ein großer Bewunderer von allem, was russisch war.
Während seiner Herrschaft kam der russische Baustil in Mode und es entstanden Kirchen und Häuser, die märchenhaften altrussischen Häusern ähnelten. Das berühmteste Beispiel dafür ist die Kirche des Erlösers auf dem Blut in St. Petersburg, die an der Stelle errichtet wurde, an der Alexander II. ermordet worden war. Das Projekt zum Bau der Kirche wurde von seinem untröstlichen Sohn Alexander III. persönlich genehmigt.
Ikone. Anfang des 20. Jahrhunderts.
Public DomainAuch sein Sohn Nikolaus II. kehrte zu seinen russischen Wurzeln zurück und bewies seine glühende Religiosität und Frömmigkeit. Es ist von mehreren Fällen bekannt, in denen er und die ebenso fromme Kaiserin sich mit Ältesten und Jurodiwy (Narren in Christo) trafen.
Während der Regierungszeit von Nikolaus II. (1894-1917) erfolgten in Russland mehr Heiligsprechungen als während des gesamten 18. und 19. Jahrhunderts. Im Jahr 1903, zum 290. Jahrestag des Hauses Romanow, bestand der Kaiser persönlich auf der Anerkennung von Seraphim von Sarow als Heiligen.
Nikolaus II. und sein Gefolge auf einem Waldweg in Sarow, 19. Juli 1903.
Staatliches Archiv für Film- und Fotodokumente, Krasnogorsk/Russia in photoIn offiziellen Kirchenkreisen kam die Idee der Verherrlichung des Ältesten noch zur Regierungszeit von Alexander III. auf, aber Konstantin Pobjedonoszew, Ober-Prokurator des Heiligsten Synods der Russischen Orthodoxen Kirche und damit wichtigster Kirchenbeamte, war damals dagegen. Schon zu seinen Lebzeiten war Seraphim bei seinen kirchlichen Vorgesetzten unbeliebt. Unter anderem empfahl er zum Beispiel, dass diejenigen, die zu ihm kamen, das Evangelium selbst lesen sollten (die offizielle Kirche bestand oft darauf, dass der Priester dem einfachen Volk dessen Inhalt erklärte).
Mehrere Male schlugen verschiedene Kirchenmänner eine Heiligsprechung vor, sammelten Informationen über die von Seraphim vollbrachten Wunder, aber der Synod weigerte sich, eine Entscheidung zu treffen. Eines Tages kam Archimandrit Seraphim (Tschitschagow) zu Nikolaus II. und überreichte ihm persönlich die Chronik des Seraphim-Diwejewo-Klosters – ein Buch, in dem er die Beweise für das Leben und die Wunder des Seraphim von Sarow aus den Archiven des Klosters darlegte. Der Kaiser war beeindruckt und beauftragte Pobjedonoszew mit der Ausarbeitung eines Dekrets zur Heiligsprechung.
"Sarow-Feierlichkeiten". Mitglieder der kaiserlichen Familie tragen die Reliquien von Seraphim von Sarow, 18. Juli 1903.
Karl Bulla/Russia in photoDie Liebe und Verehrung des Volkes für Seraphim war unglaublich groß. In dem von ihm gegründeten Diwejewo-Kloster kamen Tausende von Pilgern, um seine Reliquien zu verehren. Daher war die Heiligsprechung für den Kaiser auch eine Geste des guten Willens gegenüber dem einfachen Volk, dem er näher sein wollte.
Und doch hatte Nikolaus nach den Aussagen von Zeitgenossen persönliche Motive, Seraphim von Sarow heilig zu sprechen. Dem Zaren wurden nacheinander vier Töchter geboren. In ihrer Verzweiflung wartete die Familie auf einen Jungen – den Erben des russischen Throns. Der frommen Kaiserin Alexandra wurde geraten, zu Seraphim zu beten.
Anlässlich der Heiligsprechung von Seraphim wurden in seinem Kloster in Sarow üppige Feierlichkeiten veranstaltet, an denen der Zar und dessen Frau sowie mehrere andere Mitglieder der Zarenfamilie persönlich teilnahmen.
"Sarow-Feierlichkeiten". Mitglieder der kaiserlichen Familie und ihres Gefolges im Pavillon des Tambower Adels, 18. Juli 1903.
Carl Bulla Fotoatelier/Russia in photoDie Romanows kamen mit dem Zug nach Arsamas und erreichten dann Sarow in Kutschen. Der Kaiser besuchte die Einsiedelei, in der der Älteste lebte, besuchte die feierliche Trauerfeier für den Ältesten Seraphim in der Mariä-Himmelfahrt-Kathedrale, wohin die sterblichen Überreste des Heiligen überführt wurden. Während der Prozession trug er persönlich den Sarg mit den Reliquien auf einer Bahre.
In seinem Tagebuch hinterließ Nikolaus II. begeisterte Notizen über diesen Tag: „Der Eindruck war erstaunlich: zu sehen, wie die Menschen und insbesondere die Kranken, Krüppel und Unglücklichen die Prozession aufnahmen. Es war ein sehr feierlicher Moment, als die Verherrlichung begann und dann die Auflegung der Reliquien.“
Nikolausʼ Bestrebungen waren nicht vergebens. Ein Jahr später, 1904, gebar Kaiserin Alexandra den Zarewitsch Alexej, was den Kaiser endgültig von der Richtigkeit seiner Entscheidung überzeugte und ihn noch fester an den Heiligen Seraphim glauben ließ.
Seraphim von Sarow mit Hagiographie, Ikone vom Anfang des 20. Jahrhunderts.
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