Der Roman über die Abenteuer des Teufels in Stalins Moskau hat sich lange gegen eine Veröffentlichung und nach seiner Veröffentlichung gegen eine Verfilmung gewehrt. An dem „verfluchten“ Buch haben viele Filmemacher Interesse gezeigt, unter anderem auch der Australier Baz Luhrmann und der Regisseur des Meisterwerks Geh und sieh, Elem Klimow. Viele Projekte kamen jedoch nie zustande, und die drei Filme und zwei Fernsehserien, die schließlich gedreht wurden, waren nicht erfolgreich. Schließlich wird im Januar 2024 in Russland die sechste Verfilmung des Romans fertiggestellt. Nach der fast einhelligen Meinung sowohl der Kritiker als auch der Zuschauer ist sie ein absoluter Erfolg.
Hier erklären wir, warum der Film sehenswert ist.
Die Presse spekuliert gerne über den Fluch von „Der Meister und Margarita“ – angeblich sind die Dreharbeiten zu den Verfilmungen ständig von Unglück begleitet. So verlor der berühmte sowjetische Schauspieler Oleg Basilaschwili, der Voland in der Serie von Wladimir Bortko (2005) spielte, direkt am Set kurzzeitig seine Stimme. Außerdem bemerkten Journalisten, dass es nach der Premiere unter den Schauspielern eine „mysteriöse Serie“ von Todesfällen gab – innerhalb weniger Jahre schieden 18 von ihnen aus dem Leben. Und der neue Film bildete da keine Ausnahme.
Ursprünglich sollte der Film von Regisseur Nikolai Lebedew (Legend #17) inszeniert werden, der selbst das Drehbuch geschrieben hatte. Aber es gab ein Problem mit den Rechten – verschiedene Erben des Autors verkauften die Rechte an unterschiedliche Firmen, und so kam es, dass parallel zur russischen Version in Hollywood eine alternative Adaption mit Baz Lurhmann (Der große Gatsby) als Regisseur entwickelt wurde.
Als die rechtlichen Fragen endlich geklärt waren, begann die Pandemie. Die Dreharbeiten wurden eingefroren und Lebedew wechselte zu den Dreharbeiten für das Kriegsdrama Nürnberg. Deshalb wurde das Projekt Der Meister und Margarita von einem anderen Team aufgegriffen, das das Konzept radikal veränderte.
Michail Lokschin machte sich zunächst als Regisseur für Werbeclips und Musikvideos einen Namen. Unter anderem führte er 2014 Regie bei einem Werbespot für das Bier Sibirskaja Korona, in dem der Akte-X-Star David Duchovny, der russische Wurzeln hat, darüber fantasiert, wie es sein würde, wäre er zufällig in Russland aufwachsen. Dieser Clip ging im russischen Internet viral.
Lokschin gab 2020 sein Filmdebüt mit Silver Skates. Dies ist ein Weihnachtsmärchen über eine Bande von diebischen Schlittschuhläufern im Umfeld des kaiserlichen St. Petersburg. Der Streifen ist der erste russische Film, der in die prestigeträchtige Netflix Originals-Liste aufgenommen wurde. Zuvor umfasste die Liste der Original-Projekte des Streaming-Riesen nur zwei russische Serien: Better Than Humans und Epidemic. Unmittelbar nach der Veröffentlichung auf der Plattform befand sich Silver Skates unter den Top 5 des internationalen Rankings in Bezug auf die Anzahl der Aufrufe.
Die Verfilmung des Romans Der Meister und Margarita war Lokschins zweiter Film als Regisseur. Das Drehbuch der Adaption wurde von Silver Skates-Autor Roman Kantor geschrieben, der auch an Pawel Kostomarows Epidemic gearbeitet hat.
Während Nikolai Lebedew den Film näher an den Text heranführen und sich auf das Thema der Schriftsteller und sein Publikum konzentrieren wollte, beschlossen Lokschin und Kantor, die postmoderne Linie des Romans weiterzuentwickeln – und schrieben das Buch im Geiste von Nolans Inception und The Prestige um.
Das Handlungsgerüst ist erhalten geblieben: Die Liebesgeschichte zwischen dem Meister und Margarita, die Streiche von Voland und seinem Gefolge und das Evangelium des Meisters – eine apokryphe Geschichte über Christus und Pontius Pilatus, den römischen Prokurator, der den Propheten ans Kreuz schickte – wurden auf die Leinwand übertragen. Die Struktur ist jedoch komplexer und ähnelt nun einer Matrjoschka-Puppe – eine Geschichte wird innerhalb einer anderen Geschichte erzählt und in dieser eine andere und so weiter, wobei sich alle Erzählungen parallel entwickeln.
Und das ist keine Effekthascherei – es ist ein Weg, um zu erklären, wie Bulgakow seinen kreativen Prozess organisiert hat. Die Ähnlichkeit des Meisters auf der Leinwand mit dem echten Bulgakow wird im Vergleich zum Buch noch verstärkt. Den Schriftsteller spielt Jewgenij Zyganow, einer der berühmtesten Schauspieler des Landes. Und wir sehen, wie die realen Fakten aus Bulgakows Biographie – der Kampf mit der Zensur, die Repression, der Verrat von Freunden – in eine phantasmogorische Handlung verwandelt werden.
Der Film ist zweifelsohne gelungen besetzt. Während Voland in früheren Verfilmungen als ominöser und weiser alter Mann auftrat, ist der Teufel, gespielt von Diehl, ein lachender, schelmischer Liebhaber von Streichen. Er genießt es aufrichtig, wenn er sein Urteil über die Moskauer vollstreckt.
Auch die russischen Schauspieler wurden sehr gut ausgewählt, allen voran Zyganow als der Meister und Julia Snigir in der Rolle seiner geliebten Margarita (die Schauspieler sind im Leben Ehepartner). Snigir sollten deutsche Zuschauer aus dem Actionfilm Stirb langsam: Ein guter Tag zum Sterben (2013) und der Serie The New Pope (2020) von Paolo Sorrentino kennen.
Der Film spielt sich in der Fantasie der Figuren ab, so dass die Szenenbildner nicht versucht haben, das Aussehen des realen Moskaus der 1930er Jahre zu reproduzieren. Das pompöse stalinistische Imperium wird bis zur Groteske gesteigert – ab und zu sehen wir Stalin-Hochhäuser, die mesopotamischen Zikkuraten ähneln. Mithilfe von Computergrafiken werden die großen Bauprojekte, die auf dem Papier geblieben sind, „zum Leben erweckt“ – insbesondere der berühmte Palast der Sowjets mit einer 100 Meter hohen Lenin-Statue an der Spitze. Futuristische Luftschiffe schweben in der Luft.
Die Moskauer in dem Film wissen, wie man sich wunderbar entspannt. Jazzkonzerte in einem geschlossenen Schriftsteller-Club erinnern an die Partys der Reichen aus Der große Gatsby. Eine schwarzmagische Séance im Theater wird von einer Modenschau mit Pariser Models begleitet, und Volands Entourage spielt wirkungsvoll italienische Commedia dell'Arte. Und der Große Ball des Satans ist eindeutig von vorchristlicher und sogar vorantiker Kunst inspiriert – das Design der Gewänder und der Inneneinrichtung verweist eher auf das alte Ägypten und Babylon.
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