Michail Bulgakow - der unsowjetischste sowjetische Schriftsteller aller Zeiten

Russia Beyond (Sputnik; Legion Media; Mosfilm)
Eine völlig nackte junge Frau, die auf einem Besen über die Straßen von Moskau fliegt, eine riesige schwarze Katze, die Schach spielt, und der Satan, der den sowjetischen Geheimdienst an der Nase herumführt. Diese Bilder beflügeln noch immer die Phantasie der Menschen auf der ganzen Welt, nicht nur der literarisch bewanderten.

Eine verheiratete Frau verlässt ihren wohlhabenden Mann für ihren Liebhaber, einen armen, erfolglosen Schriftsteller. Und um ihm beim Schreiben und Veröffentlichen seines Romans zu helfen, geht sie einen Pakt mit dem Teufel ein und wird zur Hexe...

Ein Standbild aus dem Film

Dies ist die Rahmenhandlung des wichtigsten Werks von Michail Bulgakow, des Romans „Master i Margarita“ (Der Meister und Margarita). Lesen Siehier eine Zusammenfassung. Nach Auffassung der Bulgakow-Forscher weist es trotz seines magischen Charakters durchaus biografische Bezüge auf.

Laut Marietta Tschudakowa, die umfangreiche Forschungen zu Bulgakows Wert durchgeführt hat, könnte Bulgakows letzte Frau Jelena Sergejewna, die für ihn einen hohen Militärkommandanten verließ, eine Geheimagentin des NKWD gewesen sein. Sie arbeitete bei den Ermittlungen mit und sorgte so dafür, dass Bulgakow nicht verhaftet wurde und weiterarbeiten konnte. Und der Roman selbst - für den Schriftsteller war er eine Rechtfertigung für seine Frau, gleichsam ein Bekenntnis, dass sie diese Abmachung nur ihm und seiner Sicherheit zuliebe getroffen hatte.

Wie der Sohn eines Kiewer Theologen Arzt wurde

Bulgakows Werk ist äußerst originell. Es ist in gleicher Weise Fantastik, Satire und anspruchsvolle russische Prosa. Zugleich sind alle seine Werke mehr oder weniger autobiografisch.

Der zukünftige Schriftsteller Michail Bulgakow in seiner Gymnasialzeit, 1908.

Bulgakow kam 1891 in der Familie eines Professors an der Theologischen Akademie in Kiew (das damals zum Russischen Reich gehörte) zur Welt. Michail entschied sich jedoch, nicht in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, sondern die medizinische Fakultät der Universität Kiew zu besuchen. Diese Wahl war nicht zufällig. Der Bruder seiner Mutter, Nikolai Pokrowski, war ein berühmter Arzt (und ein reicher Mann). Er war eine Leuchte der Wissenschaft und ein wahres Idol für den jungen Bulgakow.

Er wird es sein, der den Kiewer Neffen zum ersten Mal in Moskau aufnimmt, wo sich Bulgakow später für lange Zeit niederlässt. Und er dürfte das Vorbild des Professors Preobraschenski sein, der Hauptfigur der Erzählung „Sobatschje serdze“ (Hundeherz).

Ein Standbild aus dem Film

Pokrowski war jedoch Gynäkologe, während sein literarisches Alter Ego Preobraschenski ein experimenteller Chirurg ist, der einem Hund eine menschliche Hirnanhangsdrüse und Hoden transplantiert (der Hund verwandelte sich daraufhin zum Menschen).

Landarzt und Morphinist

Während des Ersten Weltkriegs verbrachte Bulgakow einige Zeit als Arzt an der Front und wurde dann in ein kleines Dorf-Krankenhaus im Gebiet Smolensk geschickt. Seine Erfahrungen als Arzt sowie kuriose Anekdoten beschrieb Bulgakow in einer Reihe von Erzählungen mit dem Titel „Sapiski junogo wratscha“ (Aufzeichnungen eines jungen Arztes) (1925). Noch recht unerfahren, muss er viele schwierige Fälle bewältigen: den Fötus im Mutterleib umdrehen, einen Augentumor bei einem Kind behandeln, Zähne ziehen... Manchmal musste er sogar einen Blick in ein Lehrbuch werfen. Im Jahr 2012 bekamen Bulgakows Aufzeichnungen ein weltweites Publikum, weil in der britischen Verfilmung der Harry-Potter-Darsteller Daniel Radcliffe die Hauptrolle spielte.

Ein Standbild aus dem Film

Die Serie enthält auch einen Handlungsstrang aus der Erzählung „Morphium“, die streng genommen nicht zur Reihe der „Aufzeichnungen“ gehört, aber aufgrund ihres Inhalts oft mit ihr in Verbindung gebracht wird. Die Geschichte enthält das Tagebuch eines Landarztes, der versehentlich morphiumsüchtig wird. Er beschreibt, wie er unter dem Einfluss der Droge halluziniert und wie er in diesem krankhaften Zustand die revolutionären Umwälzungen im Land beobachtet. Unfähig, seine Morphiumsucht zu überwinden, beschließt er, sich zu erschießen.

Ein Standbild aus dem Film

Bulgakow selbst war ebenfalls morphiumsüchtig. Einmal, als er noch als Landarzt arbeitete, drohte er nach einer Operation an Diphtherie zu erkranken. Er nahm ein Medikament gegen Diphtherie, bekam aber eine schwere Allergie, die er mit Morphium zu lindern versuchte. So wurde er mit der Zeit süchtig. 1918 kehrte er in den Wirren des Bürgerkriegs nach Kiew zurück und setzte dort die Einnahme des Mittels fort. Seine erste Frau Tatiana Lappa half ihm, sein „Leiden“ (dies war auch die erste Version des Titels des Werks) zu überwinden.

Bürgerkrieg und Beginn der Schriftstellerei

Bulgakow eröffnete eine private Arztpraxis in Kiew, in der er hauptsächlich Geschlechtskrankheiten behandelte. In der Stadt, die von Revolution und Bürgerkrieg heimgesucht wurde, herrschten Chaos und Plünderungen. Macht und Ordnung wechselten mehrmals.

Ein Standbild aus dem Film

Die Atmosphäre dieser Ereignisse und das Leben seiner Familie beschrieb Bulgakow in seinem Roman „Die weiße Garde“. Die adlige Intellektuellenfamilie Turbin versucht, ihre gewohnte Lebensweise aufrechtzuerhalten, während die Welt um sie herum zusammenbricht. Sie nimmt weiße Offiziere in ihrem Haus auf, und Turbin selbst kämpft im Bürgerkrieg an der Seite der Weißen. Auch Bulgakow sympathisierte mit den Weißen - und machte später keinen Hehl daraus.

Nach dem Ende des Bürgerkriegs nahm Bulgakow eine Stelle als Arzt im Kaukasus an (dort begann er mit dem Schreiben). Er sagte, dass er den schöpferischen Impuls schon lange hatte. Nach den erlittenen Ereignissen und Umwälzungen gab er die Medizin auf und widmete sich dem Schreiben. Zunächst erschienen seine Arbeiten in einer Lokalzeitung in Wladikawkas, doch dann wurde klar, dass er nach Moskau gehen musste.

Michail Bulgakow, ca. 1910.

1921 nimmt Bulgakows, der Arzt Pokrowskij, seinen Neffen aus Kiew  in Moskau auf. Bulgakow beginnt, in den Zeitungen und Zeitschriften der Hauptstadt zu veröffentlichen. Er schreibt Feuilletons, Essays und Reportagen. Besonders eng arbeitet er mit der Zeitung der Eisenbahner „Gudok“ zusammen, die eine starke satirische Redaktion hat und auch Arbeiten von Ilja Ilf und Jewgeni Petrow, Michail Schoschtschenko und anderen bedeutenden Humoristen und Satirikern herausbringt.

Schließlich erscheinen in der Literaturzeitschrift 1925 sein erster Roman „Weiße Garde“ und Kurzgeschichten. Bulgakow wurde wegen des bei einer Durchsuchung gefundenen Entwurfs seines Romans „Hundeherz“, einer scharfen Satire auf das neue sowjetische System und den neuen Sowjetmenschen, zum Verhör vorgeladen.

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Wie durch ein Wunder verurteilte man ihn jedoch nicht. Er erhielt das Manuskript zurück (aber erst 1987, während der Perestroika, wurde Bulgakows erstes Buch veröffentlicht und sofort zu einem Kultfilm verarbeitet).

Dramatiker und ein Anruf von Stalin

Bulgakows wahre Leidenschaft galt dem Theater. Auf der Grundlage des Romans „Weiße Garde“ schrieb er für das Moskauer Künstlertheater (MChAT) das Stück „Dni Turbinych“ (Die Tage der Turbins), das ein großer Erfolg war und das Stalin selbst mehrmals sah (und sogar vor dem Verbot bewahrte).

Stalin gefiel zum Beispiel auch die Burleske „Sojkina kwartira“ (Sojas Wohnung) über das Moskau der 1920er Jahre, die vom zwielichtigen Geschehen in einer als Nähwerkstatt getarnten Privatwohnung handelt.  Das Stück „Beg“ (Flucht) über den letzten Versuch der Weißen, sich den Roten während des Bürgerkriegs entgegenzustellen, und ihre Evakuierung aus Russland war ein großer Theatererfolg.

Michail Bulgakows Theaterstück

In den 1930er Jahren geriet Bulgakow zunehmend in Bedrängnis. Seine subtile Satire auf die sowjetische Gesellschaftsordnung wird allmählich als Sabotage empfunden. Die Konsolidierung der Macht Stalins und des sowjetischen Systems verlangen von den Schriftstellern klare und realistische Darstellungen, in denen die positiven Seiten der neuen Ordnung zum Ausdruck kommen. Bulgakows Stücke werden aus fast allen Theatern verbannt.

Über seine vergeblichen Bemühungen, ein bestimmtes Stück auf die Bühne zu bringen, schreibt Bulgakow in „Teatralnyj roman“ (Theaterroman, 1936), in der er die Theater- und Literaturwelt der 1930er Jahre aufs Korn nimmt. Die meisten der Figuren haben reale Vorbilder. Der unvollendete Roman wurde erst in den 1960er Jahren veröffentlicht. 

Michail Bulgakow.

Im Jahr 1930 kommt Bulgakow kaum über die Runden, er wird nicht veröffentlicht, die Stücke werden nicht aufgeführt. In seiner Verzweiflung schreibt er sogar einen Brief an die Regierung, in dem er darum bittet, entweder auswandern oder am Theater arbeiten zu dürfen. Daraufhin ruft Stalin selbst bei ihm an und stellt, nach der Erinnerung seiner Frau, eine Fangfrage: „Was, hast du die Nase voll von uns?“ Diese Frage überraschte Bulgakow, und er antwortete, dass ein Schriftsteller schließlich nicht außerhalb seines Heimatlandes schaffen könne. Daraufhin riet ihm Stalin, sich um eine Stelle am Moskauer Künstlertheater MChat zu bewerben: „Ich glaube, sie werden einverstanden sein“. Und natürlich wurde Bulgakow nach diesem Anruf eingestellt, wenn auch als Regieassistent in einer für ihn eher demütigenden Position. Die Hauptsache war jedoch, dass er arbeiten konnte und Geld verdiente.

Bulgakow, der Meister, und seine Frau Margarita 

Michail Bulgakow mit seiner Frau Jelena.

Bulgakow schrieb über zehn Jahren an „Der Meister und Margarita“. Die Arbeit gestaltete sich schwierig, und der Schriftsteller war sich auch darüber im Klaren, dass es wenig Hoffnung auf eine Veröffentlichung gab. Unter dem atheistischen Sowjetregime war das Schreiben eines Romans über Christus zum Scheitern verurteilt. Erstmals wurde der Roman über 20 Jahre nach seiner Entstehung und nach dem Tod des Autors veröffentlicht, und das mit erheblichen Zensurkürzungen.

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Es war Jelena Sergejewna, offensichtlich das Vorbild von Margarita, die viel für die Veröffentlichung des Romans und für die Bewahrung von Bulgakows Erbe tat. Sie brachte einige seiner verbotenen Werke in den Westen, damit sie dort zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht werden konnten - und damit sie nicht verloren gingen, zerstört oder vom KGB beschlagnahmt wurden.

Heute gehört „Der Meister und Margarita“ zu den Kultromanen, die in der ganzen Welt bekannt sind. Und viele Russen können ganze Sätze daraus zitieren.

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