Gelb, braun, bunter Abfall: Sind Russen bereit zur Mülltrennung?

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ANNA SOROKINA
Die oft überforderten und weit ins Land stinkenden Müllhalden in den Ballungsräumen Russlands heizen die Diskussionen um den Umgang mit den Abfallbergen an. Ob sich hier wohl ein Recycling-System durchsetzen könnte?

Nur wenige Russen nehmen die beginnenden Debatten um Mülltrennung und Recycling in ihrem Land bisher wirklich ernst: Bananenschalen von Plastikflaschen trennen? Lachhaft einfach – auf den ersten Blick. Aber im riesigen Umfang einer Millionenmetropole wie Moskau und deren Umgebung verdient diese Frage durchaus mehr Aufmerksamkeit als zunächst angenommen.

In der Kleinstadt Wolokolamsk nordwestlich von Moskau beispielsweise gehen die Menschen seit Wochen immer wieder auf die Straße, um gegen eine nahegelegene Müllhalde zu demonstrieren. Diese verpeste die Luft und wachse unkontrolliert in unerträgliche Ausmaße an. Bis 2010 noch wurde hier nur der lokale Müll des Städtchens und der nahegelegenen Dörfer abgeladen. Aber seitdem ist die Halde auf ein Zehnfaches angewachsen. 2013 gab es noch 39 solche Deponien im ganzen Moskauer Gebiet. Dann aber wurden viele von ihnen geschlossen, nachdem sich die Menschen über die Belastung beschwert hatten. Die bis heute noch 19 übrigen Müllberge wuchsen jedoch immer weiter an. Wie russische Medien berichten, sollen bis 2026 nun auch diese geschlossen und das Land rekultiviert werden. Aber…

Wohin dann nur mit all dem Müll?

Ökologen weisen immer wieder darauf hin, dass vor allem in den Großstädten in Russland jährlich mehr Müll anfällt, die bestehenden Deponien so in den nächsten drei Jahren schon überfüllt sein könnten. Und obwohl in so vielen Ländern schon seit Jahrzehnten Trennungs- und Recyclingsysteme funktionieren, wird Müll in Russland noch immer auf Halden gelagert, bis er zerfällt, oder, im besseren Fall, verbrannt. Laut Medienberichten, die sich auf das russische Ministerium für natürliche Ressourcen berufen, wurden im Jahr 2016 nur neun Prozent allen Haldenmülls im Lande recycelt. Noch weniger, nur 2,4 Prozent, kamen in Verbrennungsanlagen.

Ende 2017 verabschiedete Russlands Präsident Wladimir Putin ein neues Gesetz zur Mülltrennung in Russland. Es besagt, dass die jeweiligen Gebietsregierungen gemeinsam mit ihren Bürgern entscheiden sollen, wie ihre Mülltonnen aussehen, wo und wie Sortierstationen arbeiten sollen und welcher Müll überhaupt getrennt werden soll. Dieses Gesetz wird 2019 vollständig in Kraft treten.

Aber schon heute werden nach und nach getrennte Müllcontainer in verschiedenen Kreisen des Moskauer Gebietes aufgestellt: für Papier, Plastik, Glas und organischen Abfall. Gleichzeitig entstehen erste Projekte zur Weiterverarbeitung organischen Mülls. Freiwilligenvereine helfen bei der Koordination und Popularisierung des Recycling-Gedankens (beispielsweise hier (rus)!). Denn ein möglichst nachhaltiger Umgang mit Müll hängt natürlich lange nicht nur von den Behörden ab, er fordert auch die Bürger selbst. Aber sind die Russen bereit dazu?

Russische Meinungen zu Mülltrennung und Recycling

„Wenn wir wirklich in einem zivilisierten Staat leben wollen, sollten wir mit Umweltproblemen rational umgehen“, meint die Marketingmanagerin Olga Rusanowa aus Moskau. „Ich trenne den Müll, wenn es dafür verschiedene Container gibt. Aber bisher sind es noch sehr wenige.“

„Es ist eine gute Idee, den Abfall zu trennen und zu recyceln, aber das sollte auch auf staatlicher Ebene geregelt werden. Es reicht nicht, den Müll aus verschieden farbigen Containern in den Hof zu kippen. Aber mehr haben wir noch nicht“, meint die Moskauer Bloggerin Darija Sokolowa. „Sie können zwar beispielsweise Ihre leeren Batterien im nächsten IKEA abgeben, aber der ist recht weit weg von mir. Soll ich sie monatelang sammeln?  Ich mache das nicht, denn diese ganzen ‚grünen Sachen‘ fordern viel Energie. Wenn das alles weniger aufwendig wäre, würde ich sofort gern mitmachen.“

„Ich weiß, dass der Müll in den Deponien meist manuell sortiert wird, wenigstens werden Metalle und Teile herausgefischt, die vielleicht noch genutzt werden können“, sagt die PR-Managerin Maria Koschewnikowa aus Moskau. „Im Grunde müsste man also nur noch einen Schritt weiter gehen: die Sortierung automatisieren und dann die komplette Müllmasse trennen. Zumindest Biomüll könnte ja so entsorgt werden, dass er der Umwelt nicht schadet.“ Aber sie räumt ein: „Ich selbst werfe nur Batterien und Energiesparlampen in spezielle Container. Ich habe so oft gesehen, wie der getrennte Müll aus verschiedenen Tonnen am Ende doch in einem großen Müllauto zusammen landet.“

„Ich denke, Mülltrennung und Recycling sind eine großartige Sache, aber viele Leute erwarten etwas vom Staat. Selbst wollen sie nichts ändern“, meint die Moskauer Designerin Wiktorija Tschimikadse. „Und da gibt es noch ein anderes Problem – den Müll auf der Datscha! Dort gibt es keine Mülltonnen und viele Leute lassen ihren Müll einfach im Wald liegen. Viele Moskauer sehen all den Müll da gar nicht, aber er ist da, überall rund um Moskau. Und das ist eine Katastrophe!“

Wie bitte, bei sich selbst anfangen?!?

„Du kannst die Situation im Land nur durch dich selbst ändern“, meint Tamara Grigorjewa, die in Moskau als Lehrerin arbeitet. „Es ist möglich, das Bewusstsein der Menschen dafür zu intensivieren, indem wir es den Kindern zeigen und mit Freunden darüber sprechen: Wie toll es ist, keine Aschenbecher unter den Bäumen zu haben, und was mit Plastikbeuteln usw. gemacht werden muss.“

Sie ist ich sicher: “Auch in Deutschland wurde früher mal noch kein Müll getrennt, aber mittlerweile ist eine neue Generation herangewachsen: Sie haben nie ein anderes Leben gesehen, sie lernen früh, Verantwortung für die Umwelt, für Menschen und Tiere zu übernehmen. Ich wünschte, bei uns wäre das auch so. Zum Glück können wir in Russland ja auf den bereits bestehenden weltweiten Erfahrungen aufbauen.“

 „Ich sammle Papier, Glas, Metall und Plastikflaschen und bring sie dann alle paar Monate zu richtigen Sammelstellen“, erklärt die Journalistin und Touristenführerin Jelena Bobrowa aus Sankt Petersburg. „Natürlich braucht es dringend ein Trennsystem. Aber das bemerkt man erst, wenn man selbst anfängt zu trennen. Kaum zu glauben, wie viele Plastikflaschen eine Person so hinterlässt. Ein solches System kann aber nur unter staatlicher Schirmherrschaft funktionieren und der Gedanke muss in die Massen getragen werden. Bis dahin aber sollten wir erst einmal noch lernen, nicht einfach alles in die Natur zu schmeißen. Leider müssen wir wohl auf diesem Niveau anfangen zu lernen.“

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