Warum haben Russen zwei Pässe?

Wie in den meisten Staaten der Welt bekommen Russen zwei verschiedene Ausweispapiere, abhängig davon, ob sie sich im Inland oder Ausland ausweisen müssen. Russia Beyond erklärt Ihnen, wie sich das in der Sowjetunion und ihrem Nachfolger, der Russischen Föderation, entwickelte.

Pass zum Tor hinaus

Historisch gesehen wurde ein Reisepass als Reisedokument ausgestellt, damit ein Bürger eines bestimmten Herzogtums, Königreichs oder Landes Staatsgrenzen passieren durfte.

Um zum Beispiel das Gebiet des alten Großfürstentums Moskau verlassen zu dürfen, musste man eine vom Zaren herausgegebene "Schriftrolle des Reisenden" beantragen, die nur den wohlhabendsten Adligen und Händlern zugänglich war. Diese Schriftrolle war das einzige Dokument, das echte Reisende von Landstreichern unterschied, die als quasi Vogelfreie jederzeit inhaftiert werden konnten.

Russischer Reise-Brief aus dem 16. Jahrhundert

Ab dem 18. Jahrhundert gab Russland interne Dokumente zur Kontrolle der Migration im Land heraus. Zu dieser Zeit herrschte in Russland noch die Leibeigenschaft und flüchtige Leibeigene wurden so aufgespürt und zu ihren Besitzern zurückgebracht. Reisen ohne solch ein internes Dokument war darum sehr gefährlich.

Nicht für jeden

Reisedokument, 19. Jahrhundert

Nach der Industrie- und Transportrevolution in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Kontrolle der Binnenmigration eine Priorität. Die zaristische Regierung stieß, ebenso wie später die Sowjets, auf dieses Problem, und es wurde ein System von Registrierungsmarken entwickelt.

Sowjetische Stadtbewohner erhielten in den 1930er Jahren zunächst inländische Pässe, aber erst in den 1960er Jahren erhielten Landbewohner dieses Recht - der Staat wollte nicht, dass Bauern ihre Dörfer verließen und zögerte stets, ihnen Pässe auszustellen. Erst 1974 erhielten alle Sowjetbürger Inlandspässe.

Im Gegensatz zu den heutigen russischen Pässen wurde in diesen sowjetischen Pässen die Nationalität genannt, was manchmal zu Diskriminierung führte. Den Registrierungsstempel, der einen Bürger an seinen Wohnort bindet, gibt es bis heute in russischen Pässen.

Pässe zum Reisen

Sowjetische Touristen 1958 in Brüssel

Der Sowjetstaat beobachtete genau, wer und wie ins Ausland ging. Offizielle Delegationen, Sportmannschaften, Orchester und Ballettruppen wurden von KGB-Offizieren beaufsichtigt, die mit ihnen reisten und Wache hielten, damit es keine Abtrünnigen oder Verräter gab.

Wer aber auf Geschäftsreisen oder in die Ferien ins Ausland reisen wollte, erhielt einen speziellen internationalen Reisepass - und das ist bis heute so geblieben. Warum? Erstens hatten viele sowjetische Staatsbürger zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der UdSSR ausländische Pässe, und diese Pässe mussten gültig bleiben, um nicht das gesamte staatliche Zollsystem zu zerstören. Als ihre Gültigkeit abgelaufen war, wurden sie gegen neue russische internationale Reisepässe getauscht.

In Belarus beispielsweise aber wurde das sowjetische System in den 1990er Jahren abgeschafft, und heute haben die Bürger des Landes nur einen einzigen Pass als Inlandsausweis und internationales Reisedokument.

Was ist ein russischer National-Pass?

Russischer Inlandspass heute

Der nationale Pass liegt seinen Funktion nach nahe bei dem Personalausweis, den die meisten Westler besitzen. In den meisten europäischen Ländern kann eine Krankenversicherungskarte oder der neue EU-Führerschein auch als Ausweis dienen. So haben die meisten Westler auch zwei Ausweise - einen internationalen Reisepass und einen inländischen Ausweis.

Ein russischer Staatsbürger ist gesetzlich verpflichtet, seinen Pass jederzeit bei sich zu tragen. Das Passgesetz besagt jedoch, dass das Dokument "sicher aufbewahrt" werden sollte, und deshalb machen viele Russen Fotokopien ihrer Pässe, um sie herumzutragen.

Nur Minderheit besitzt Reisepass

Russischer Reisepass heute

Überraschenderweise besitzt nur eine Minderheit der Russen benötigt ein internationales Reisedokument. Laut einer Erhebung des Levada-Centers aus dem Jahr 2014 waren erstaunliche 76 Prozent der Russen nie außerhalb der ehemaligen Sowjetunion. Nur sieben Prozent reisen jährlich ins Ausland; acht Prozent tun es zweimal oder dreimal im Jahr. 67 Prozent der Russen über 55 Jahren waren noch nie im Ausland, und insgesamt haben nur 30 Prozent gültige Reisepässe.

Aber bevor Sie alle mit Tränen in den Augen sehen, dass die meisten Russen nie im Ausland waren, möchten Sie vielleicht wissen, dass zum Beispiel auch 64 Prozent der Amerikaner ihre Heimat nie verlassen haben - aus einem ähnlichen Grund: für Menschen, die in Sibirien leben, den russischen Norden oder den Fernen Osten, die Welt mit einem äußerst bescheidenen Jahreseinkommen zu reisen, ist praktisch unmöglich. Die Entfernungen sind einfach zu groß und die Flüge zu teuer.

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