Kein Fernseher, kein Computer, kein Internet, noch nicht einmal ein Smartphone – nur wenige können sich in der heutigen Welt ein Leben ohne diese Dinge vorstellen. Doch für die Familie Korol, was so viel bedeutet wie „König“, sind diese Gebrauchsgegenstände der modernen Zivilisation nicht wichtig.
Seit mehr als 20 Jahren führen der Elektroingenieur Boris, die Wissenschaftlerin Nina und ihr 40-jähriger Sohn Nikolai ein abgeschiedenes Leben auf der Insel Jelena in der Nähe von Wladiwostok. Was hat sie bewegt, der Zivilisation zu entfliehen und warum wollen sie nicht zurückkehren? Wir haben mit Iwan Tschesnokow gesprochen, einem Journalisten und Fotografen aus Sankt Petersburg, der die Familie zwischen den Jahren 2016 und 2017 zwei Mal besuchte.
Als ehemaliger strategischer Stützpunkt für eine mit Geheimdienstmitarbeitern besetzte sowjetische Funktechnikeinheit war die Insel Jelena der Öffentlichkeit bis zum Ende der 1980er Jahre nicht zugänglich. Damals war Nikolai gerade sechs Jahre alt und Boris unternahm eine maritime Archäologieexpedition. Während sie auf die Rückkehr ihres Mannes wartete, beschloss Nina, auf Jelena Urlaub zu machen und verliebte sich in die Insel.
„Zuerst hatten wir nicht vor, Eremiten zu werden und abgeschieden zu leben“, erklärt Iwan. „Die Insel beeindruckte Nina mit ihren verlassenen Gebäuden, ehemaligen Militärbauten und -lagern. Außerdem ist die Schönheit der Insel bemerkenswert – von Wasser umgeben, Vogelgesang und alte, mit Laub oder im Winter mit Schnee bedeckte Straßen.“
Danach besuchte die Familie die Insel jeden Sommer, doch erst im Jahr 1996 zogen sie endgültig um. Der Hauptgrund war die Gesundheit ihres Sohnes. Nikolai hatte einen Motorradunfall und lag mehrere Tage im Koma. Als er aufwachte, konnte er weder sprechen noch laufen. Die Familie entschied, das Leben auf der Insel würde ihm helfen, gesund zu werden, und so ließen sie ihr Leben auf dem Festland zurück.
Seitdem sind die Korols die einzigen Menschen, die auf der 145 Hektar großen Insel leben. Sie behüten sie, halten sie sauber, schützen die Landschaft und bewahren ihr Erbe.
Zunächst wohnten sie im ehemaligen Haus von Boris’ Großvater, der einst als Kabelleger auf der Insel gearbeitet hatte. Irgendwann fing das Haus jedoch Feuer und die Familie musste in einen nahegelegenen Pulverkeller aus dem 19. Jahrhundert umziehen. Der düstere Raum misst 30 mal 20 Meter, aber in dem Keller sammelte sich mit der Zeit alles an, was eine Familie braucht: einen Heizofen und Betten, die Boris selbst gebaut hat, sowie Möbel aus anderen verlassenen Gebäuden auf der Insel.
Stapel von Büchern, ein Radio, verschiedene Relikte der Vergangenheit und seltsame Gegenstände wie ein Hirschgeweih und orthodoxe Symbole in der Ecke – diese Dinge verleihen dem Raum ein lebendiges und zeitloses Aussehen.
Die Korols beschweren sich nicht über ihr Leben. Boris sagte zu Iwan: „Hier habe ich die Grundlage für alle möglichen Unternehmungen: biologisch, unter Wasser, ingenieurtechnisch und historisch“. Er findet das Leben auf der Insel angenehmer. Es gibt viel zu tun, anders als in Wladiwostok. „Die, die in Wohnungen leben, sind Sklaven. Das ist ein langsamer, aber sicherer Selbstmord“, behauptet er.
Seine Frau stört es auch nicht. „Nina sieht ihre Aufgabe, neben der Arbeit auf ihrem eigenen Land, im Schutz der hiesigen Natur und dem historischen Vermächtnis“, erklärt Iwan.
Während sie der Zivilisation nicht viel abgewinnen können, heißen sie Gäste auf der Insel immer herzlich willkommen. „Manchmal kommen Schüler, um beim Aufräumen der Insel zu helfen, und manchmal Journalisten“, erinnert sich Iwan. „Bei meinem Aufenthalt war gerade ein Freund zu Besuch, der auch der Leiter der regionalen Gesellschaft für den Schutz von Kulturgütern ist.“
Die Anreise aus Wladiwostok kann jedoch schwierig sein. In etwa 30 Minuten gelangt man bis zum Ende der Insel Russki, woraufhin man den schmalen Kanal mit dem Boot überqueren oder im Winter einfach über das Eis laufen kann.
Obwohl sie ihr eigenes Gemüse anbauen, fährt Nina manchmal zum Einkaufen auf die nahegelegene Insel Russki. Die Familie Korol lebt von den Renten, die Boris und Nina erhalten, denn sie sind beide 60 Jahre alt, sowie von Nikolais Invalidenrente.
Dank des ruhigen Lebens auf der Insel hat sich Nikolais Gesundheit Schritt für Schritt verbessert – jetzt kann er sprechen, wenn auch nur mit Schwierigkeiten, und laufen, wenn auch nur zögerlich. „Nikolai besucht das Festland jetzt öfter“, sagt Iwan. „Er möchte mehr Kontakte knüpfen und vielleicht eine Frau finden.“
Probleme mit der örtlichen Verwaltung, die die Familie aus dem illegal bewohnten Keller vertreiben will, veranlassen sie, öfter in ihre Wohnung nach Wladiwostok zu fahren. Sie haben aber nicht vor, dauerhaft zurückzuziehen. Als einzige Bewahrer der Insel, um die sich die Verwaltung nicht kümmern will, fragt die Familie: „Wenn wir nicht auf sie aufpassen, wer tut es dann?“
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