Eine halbe Stunde lang kämpfen die Feuerwehrleute in Moskau in einem fünfstöckigen Wohngebäude mit den Flammen. Zum Glück befinden sich darin keine Menschen mehr, da das heruntergekommene Gebäude verlassen und zum Abriss freigegeben war. Ihre Arbeit verläuft in diesem Fall also entspannter als gewöhnlich. Sie haben sogar Zeit, eine Zigarette zu rauchen und einen Freiwilligen einzuweisen.
Die beiden Rettungskräfte betreten anschließend das brennende Gebäude, in dem sie aufgrund von Hitze und Rauch kaum etwas sehen können. Sie kämpfen sich in den obersten Stock vor, wo sie zu ihrer Überraschung und ihrem Entsetzen eine Migrantenfamilie vorfinden: einen Mann, eine Frau und ihr einjähriges Kind. Sie sind bei Bewusstsein, doch wären es nicht mehr lange gewesen.
Diese Praxis ist bei den Wohnungsbaufirmen weit verbreitet. Sie geben ein Wohngebäude zum Abriss frei und vertreiben die Bewohner, vermieten dann aber die Räume bis zum Abrisstermin an Migranten. Die Rettungskräfte ziehen die Familie durch den beißenden Rauch nach draußen. Sie sind gerettet.
Der 29-jährige Alexander spricht mit einem schiefen Lächeln über diese improvisierte Rettungsaktion. Im August entschied er, dass er von den weniger bekannten Aspekten seiner Arbeit berichten möchte. „Ich werde von Erinnerungen gequält“, gibt er zu. Seine Beiträge auf Twitter über die Arbeit der Rettungskräfte in Moskau erhalten inzwischen Tausende von positiven Resonanzen.
Die Terroranschläge der 1990er Jahre und die Geiselnahme im Dubrowka-Theater
Alexander verdankt seine Berufswahl seinem Vater, der auch als Rettungshelfer tätig war: „In den 1990er Jahren haben die Leute diese Arbeit oft gemacht, um sich besaufen zu können. Man musste lediglich ein paar Tage in der Woche arbeiten und konnte den Rest mit Trinken verbringen. Der Berufszweig war zudem überschwemmt mit Amateuren, die ihr nachlässiges Verhalten erst ablegten, als Russland in den 1990er Jahren von einer Welle von Terroranschlägen überrollt wurde.
„Manchmal rief mich mein Vater an, um nach einer Thermoskanne Kaffee zu fragen, da seine Mannschaft auf die Ankunft der Bombenentsorgungsgruppe in irgendeinem Wohnblock warten musste und sich am Eingang um die zehn Beutel Hexogen [ein hochexplosives Material] befinden könnten“, erinnert sich Alexander an seine Kindheit.
Im Jahr 2002 wiederum gab es einen Fall, bei dem 916 Menschen bei einer Musicalaufführung "Nord-Ost" in Moskau von tschetschenischen Terroristen als Geiseln gehalten wurden. Ein paar Menschen gelang es, sich in einem Hinterzimmer des Theaters zu verstecken. Leider waren die Fenster vergittert: „Mein Vater und drei andere Helfer fanden eine Rohrleitung im Hinterhof und konnten durch eine Einstiegsöffnung dorthin gelangen. Sie haben die Metallstäbe der Fenster herausgedreht und die Leute ins Freie gezogen.“
Schnell wurde klar, dass Rettungskräfte Menschen mit besonderen Fähigkeiten und medizinischen Kenntnissen sein sollten. Die „Alkoholiker“ wurden dementsprechend durch Bergsteiger, Höhlenforscher und andere Extremsportler ersetzt.
Mit 14 Jahren wurde Alexander selbst zum freiwilligen Retter. „Wie es ist, so früh ein Rettungsassistent zu sein? Man trägt Jacken, auf denen „MTschS“ [Das Katastrophenschutzministerium der Russischen Föderation] auf dem Rücken geschrieben steht, eine orange Baskenmütze und einen Arbeitsanzug und fühlt sich unglaublich genial“, lacht er.
Wie genau arbeiten die Rettungskräfte?
Ein Rettungshelfer kann im wahrsten Sinne des Wortes Türen öffnen: 80 Prozent der Anrufe stammen von Menschen, die sich versehentlich ausgesperrt haben und zum Beispiel kleine Kinder im Haus haben. Die restlichen 20 Prozent der Fälle sind ernster: Dazu zählen der Geruch eines verwesenden Leichnams unter der Tür, Selbstmorde, psychische Störungen, Brände und so weiter. „Mit einer selbstmordgefährdeten Person zu sprechen ist eine der schwierigsten Aufgaben, die es gibt. Es ist viel leichter, in der Nacht einen Großbrand zu bekämpfen“, sagt Alexander. „Die Spannung und Kopfarbeit sind so intensiv, dass man dabei körperlich an Gewicht verliert.“
Als Rettungshelfer in Russland zu arbeiten ist zudem viel anstrengender, als in Europa oder Amerika in dem Bereich tätig zu sein. Die Ausrüstung kommt oftmals aus zweiter Hand oder wurde im Internet bei Ebay ersteigert und ab und an liegt die Feuerwache im zweiten Stock direkt über einem Bordell. Als Vorteil kann aber die Tatsache gesehen werden, dass ein Tag als Rettungshelfer in Russland sich wie ein ganzes Leben in Deutschland anfühlt, sagt Alexander. „Dort kümmert man sich im Voraus um die Sicherheit der Leute, sodass niemand ums Leben kommt“, fügt er ernst hinzu.
Es gibt aber auch keinen Mangel an lustigen Vorfällen. Als Alexander einen Anruf wegen eines Ehemanns erhält, der die Tür nicht öffnet, seilt er sich auf dessen Balkon ab. Ein strammer Bursche kommt an das Fenster, zündet sich eine Zigarette an und starrt in die Sterne. Alexander hängt indessen zehn Stockwerke hoch über dem Boden an einem Seil.
„Was für schöner Abend“, sagt der Mann.
„Wunderbar“, antwortet er.
„Hat euch meine Frau angerufen?“
„Jep.“
„Ich bin mit meiner Geliebten hier, was soll ich tun?“
Die Rettungsmannschaft lässt ein weiteres Seil herunter und bringt die Frau nach unten. Der Ehefrau erzählt man dann, dass ihr ergebener Ehemann nach einem harten Arbeitstag zu viel getrunken hat und eingeschlafen ist.
Wenn Liebe zum Hass wird
Nach einem Jahrzehnt im Dienst zog Alexander nach Georgien, um im Tourismusbereich zu arbeiten. Als Grund nennt er die „Zerstörung des Berufs“ durch den Staat sowie Ausgebranntheit.
Er ist sich nur allzu bewusst, dass die Momente des Heldentums von den Momenten grenzenloser Dickköpfigkeit der Menschen überschattet werden. Mit der Zeit hat er deshalb angefangen, bestimmte Typen von Menschen zu hassen und mit anderen wiederum allzu sehr mitzufühlen. „Man entwickelt eine äußerst einfache Sicht auf das menschliche Leben, alle Menschen, die status- und machtgesteuert sind, erscheinen einem mit der Zeit lächerlich. Auch der Tod wird zur Routine. Es ist jedoch unmöglich, sich an [tote] Kinder zu gewöhnen.“
Der einzige Ausweg für ihn war, diese Arbeit aufzugeben. Auch wenn man immer wieder zu ihr zurückkehren möchte, wie Alexander meint. Auf die Frage, welche übermenschliche Fähigkeit er am liebsten hätte, antwortet er: „einen Neutralisator, wie bei ‚Men in Black‘, bei dem die Erinnerung der Person wird gelöscht wird und sie denkt, es wäre nichts passiert.“