In den 1960er Jahren, nach Juri Gagarins Flug ins All, lebte die Sowjetunion in einer Zeit, in der alles möglich schien. Da nun nicht jeder ins All fliegen konnte, behalf man sich mit für den Normalbürger erreichbareren Alternativen. Eine davon war das Bergsteigen, in der damaligen Sowjetunion ein populärer Sport. Kultmusiker Wladimir Wyssozki sang einmal: „Das Einzige, das besser ist als Berge, sind Berge, auf die wir noch nie geklettert sind.“
Ein mutiger Kletterer
Einer der besten Amateurbergsteigerklubs des Landes fand sich am Moskauer Institut für Physik und Technologie, wo auch Wolodja Baschkirow studierte. Freunde erinnern sich noch gut, wie Wolodja seinen Mut zum ersten Mal zeigte.
An jenem Tag gingen fast alle Teammitglieder in die Berge klettern. Nur zwei blieben unten im Camp, um Wache zu halten. Plötzlich kam einer der jungen Kletterer zurückgerannt, um mitzuteilen, dass eine Gruppenleiterin sich bei einem Sturz verletzt hatte. Anfangs schien es, als könnte ihr niemand helfen - die zwei „Wächter“ mussten schließlich im Camp bleiben, doch dann tauchte Baschkirow auf, der sich bereiterklärte, einzuspringen.
„Ich habe zwar keine athletische Auszeichnung, aber ich bin ein sehr guter Kletterer. Ihr könnt mich überall hinschicken, ich werde es schaffen”, behauptete er. Tatsächlich gelang es ihm, die junge Frau zu retten.
Liebe zu den Bergen
Auch Baschkirows Frau Natalja liebte die Bergsteigerei, wenn auch auf einem weniger professionellen Level. Im Sommer 1983 wurde sie von ihren Freunden vom Institut für Physik und Technologie eingeladen, eine Expedition in die Berge als Köchin zu begleiten. Dort lernte sich das spätere Ehepaar kennen.
„Die Berge ziehen einen magisch an. Wer einmal dort war, kann nachher nicht mehr ohne sie leben“, sagt Natalja.
Manchmal schlug die Faszination der Berge jedoch auch in Bedrohlichkeit um. In den späten 70er-Jahren, während einer Expedition zum Trapezium-Berg im Kaukasus, wurde das Zelt von einem Feuerball getroffen, während Baschkirow schlief. Ein Teammitglied wurde getötet, alle anderen wurden mit schweren Verbrennungen in ein Moskauer Krankenhaus eingeliefert. Ein Jahr lang blieb Wolodja dort. Die Gifte, die er eingeatmet hatte, verließen seinen Körper nur langsam, seine Leber machte ihm Probleme und er musste sich etlichen Hauttransplantationen unterziehen.
Seine Leidenschaft für die Kletterei blieb jedoch ungebrochen. Sobald er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, zog es Baschkirow wieder ins Pamir-Gebirge.
Er ist einer von nur 665 Kletterern, die seit 1961 mit dem sogenannten „Schneeleoparden“ ausgezeichnet wurden, einem Titel für Kletterer, die sämtliche der höchsten Berge der Sowjetunion erklommen hatten.
“Die Leute folgten ihm”
Baschkirow kletterte am Liebsten in großen Höhen und auf Routen, die noch nie zuvor jemand genommen hatte. „Das Unbekannte zog ihn besonders an“, erzählt Natalja.
Nur einmal kletterte das Ehepaar Baschkirow gemeinsam. Ziel war der Uschba, mit 4 710 Metern einer der höchsten Berge des Kaukasus. Sie nahmen eine lange und schwierige Route und auf dem Rückweg gerieten sie in starken Schneefall. Sie kamen vom Weg ab und mussten sich wortwörtlich zurücktasten. Natalja erinnert sich: „Wolodja sah aus wie der Kapitän eines Schiffes in Seenot, kurz vorm Untergang. Doch er tat alles, was notwendig war und wirkte dabei kein bisschen nervös.“
Im Himalaya
Nach Gorbatschows Perestroika kam die Wirtschaftskrise der 90er-Jahre. Auch für Baschkirow war dies eine schwierige Zeit. Auf der einen Seite wurden ganze Sommer in den Bergen zu einem großen Luxus, auf der anderen Seite war es nun möglich, ins Ausland zu reisen. Wolodjas langgehegter Traum vom Bergsteigen im Himalaya konnte so tatsächlich in Erfüllung gehen.
Sein erster Trip dorthin führte ihn im Jahre 1991 auf den 8 000 Meter hohen Annapurna. Zwei Jahre später entschied sich Wolodja, den Mount Everest zu bezwingen. Nachdem eine Frau bei einer Expedition dorthin gestorben war, kümmerten sich ihre Verwandten darum, dass Baschkirow die Erlaubnis bekam, eine Route zu klettern, die es ihm ermöglichte, die Leiche hinunterzubringen. Letzlich wurde diese Aufgabe zwar von einheimischen Scherpas erfüllt, doch dank der Erlaubnis konnte Baschkirow den höchsten Berg der Welt endlich erklimmen.
Auf seinem Weg nach unten verlor er den Sauerstoff und erstickte beinahe. Wie durch ein Wunder erreichte er aber dennoch das Tal.
1994 wurde Baschkirow zum ersten Russen, der auf dem nepalesischen Ama Dablam (6 814 Meter) kletterte. Dabei entdeckte er eine neue Route.
Im Jahr darauf begann er, im Himalaya als Bergführer zu arbeiten. Im Mai 1997 lud ihn eine seiner Reisegruppen - Indonesier, die noch nie zuvor Schnee gesehen hatten - nach Kathmandu ein, um ihren Erfolg zu feiern. Er verbrachte zwei Wochen mit ihnen und verlor dabei seine Gewöhnung an große Höhen. Trotzdem schaffte er es innerhalb von drei Tagen zum Basiscamp zurück, obwohl diese Wanderung normalerweise zwischen fünf und sieben Tagen dauert. Am nächsten Tag machte er sich, ohne sich vorher zu akklimatisieren, auf den Weg zum Lhotse, den letzten Achttausender, den er noch nicht erklommen hatte.
Doch es sollte sein letzter Klettertrip werden. Auf dem Rückweg erlag Baschkirow einem Herzstillstand. Begleiter erzählten Natalja später, dass es ihm schon beim Aufbruch nicht wirklich gut ging.
Obwohl sie ihren Ehemann und viele gute Freunde im Himalaya verloren hat, geht Natalja noch heute in die Berge. Als erfahrener Guide führt sie jedes Jahr Trekkinggruppen an und bereiste schon ganz Nepal. „Jemand, der nie dort war, wird es vielleicht nicht verstehen, aber ich liebe es, dort hin zu reisen“, sagt sie. „Die Menschen, die ich geliebt habe, sind jetzt dort.“