Elena Surikowa, 35, aus Sewastopol war im neunten Monat hochschwanger mit ihrem Mann Wasilij unterwegs in Norwegen. Das hielt sie nicht davon ab, sich dort ins Auto zu setzen und selbst zurück nach Kaliningrad zu fahren, um dort ihr Kind zur Welt zu bringen. Die meisten Menschen würden dies wohl als riskante Reise beschreiben, doch Elena und Wasilij blieben gelassen. Das Paar hatte schon ganz andere Erfahrungen gemacht, so verirrten sie sich einmal in der Tundra und im Kaukasusgebirge, ohne Wasser und ohne Nahrung.
Aber auch die Menschen, die ihnen besonders nahestehen und die ausgefallenen Reisegewohnheiten kannten, zogen die Augenbrauen hoch, als sie erfuhren, dass Elena und Wasilij Moskau verlassen hatten. Sie hatten eine Segeljacht gekauft, ihr Kind genommen und waren in See gestochen.
Die vergangenen drei Jahre haben sie auf dem Boot gelebt, beinahe ganz Europa bereist und bereiten sich nun auf eine Weltumrundung vor.
Zurzeit liegt die Jacht vor Mallorca. Nach drei Monaten, die sie bereits in Spanien verbracht haben, plant die Familie auf der Baleareninsel den Winter zu verbringen. Während der Sturmsaison ist das Segeln zu gefährlich, insbesondere mit Kindern.
Trotz aller Anstrengungen gelingt es den Eheleuten nicht immer, ihre ehrgeizigen Ziele und Zeitpläne umzusetzen. Ursprünglich wollten sie den Winter 2018 in Tunesien verbringen und dann Kurs nach Osten Richtung Indischer Ozean nehmen. Aber das Meer hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Manchmal geht etwas kaputt am Segelboot und es braucht Zeit, es zu reparieren. Ein anderes Mal möchte die Familie einfach mehr Zeit an einem bestimmten Ort verbringen. „Wir waren einen ganzen Monat auf Ibiza und sind jetzt seit drei Monaten auf Mallorca“, erzählt Elena. Sie haben vor, noch weitere drei Monate auf der Insel zu bleiben. „Im Frühjahr wollen wir über Frankreich und Italien nach Tunesien reisen“, sagt Elena über die weitere Reiseroute.
Der Plan, eine Weltreise zu machen, über den Indischen Ozean, Südamerika und den Pazifik, mag außergewöhnlich erscheinen, aber die Familie hat keine Eile und noch ist die Zeit auf ihrer Seite. Drei Jahre hat es gedauert, das Mittelmeer in seiner ganzen Länge und Breite zu erkunden. Und da Elena sich gut vorstellen kann, auf dem Boot alt zu werden, ist nichts unmöglich, auch wenn es ein wenig verrückt scheint.
Die Reise begann damit, dass Elena ihren Ehemann überzeugen musste, alles aufzugeben für ein Leben auf See. Er kannte das Meer nur aus Elenas Erzählungen.
Zunächst einmal gewöhnte Elena ihren Mann an offenes Meer. Wasilij ist weitab von der See aufgewachsen und hat erst kürzlich mit dem Freitauchen, dem Tauchen ohne Ausrüstung, begonnen.
„Es hat eine Weile gedauert, Wasilijs Interesse zu wecken. Ich habe versucht, ihn mit tollen Geschichten über atemberaubende Strände und großartige Angelbedingungen zu begeistern. Und damit, dass wir überall hingehen könnten, ohne dass irgendjemand unsere Papiere sehen will“, erzählt Elena. Sie konnte ihn schließlich für ihre Idee gewinnen.
Ihr Ehemann war einverstanden, für einige Jahre auf einem Segelboot zu leben. Doch Elena hatte größere Pläne – eine jahrzehntelange Reise rund um den Globus…
Die beiden fingen an, sich damit zu befassen, wie das Leben auf einem Boot praktisch zu bewältigen wäre. Es kostete schließlich nur sehr wenig. 700 Euro zahlten sie für Elenas Segellizenz und 9 900 Euro für eine Amel-Yacht, die sie von einem älteren Deutschen kauften.
Sich zum ersten Mal auf die hohe See hinauszuwagen war unheimlich. „Wir hatten so gut wie keine Ausrüstung. Im Internet war die Rede von allen möglichen notwendigen Sachen, doch wir hatten nur ein paar digitale Karten auf dem Tablet, einen Kompass und ein altes Echolot.“ Doch schnell passte sich die Familie den Herausforderungen eines Lebens auf dem Meer an und davon gibt es einige.
Wenn zum Beispiel das Essen ausgeht, gibt es keinen Supermarkt gleich um die Ecke. „Wir haben ein kleines Experiment gemacht und herausgefunden, dass wir eine ganze Woche mit Proteinshakes überleben können. Wichtig ist, zusätzlich Vitamine und Kohlenhydrate zu sich zu nehmen“, erklärt Elena.
„Mittlerweile sorgen wir für harte Zeiten vor. Wir haben einen strategischen Vorrat an Trockenfrüchten, Keksen ohne Geschmack – immer ohne Geschmack, damit wir sie nicht zu schnell essen - an Konserven, Proteinen und Mehl sowie Angelausrüstung und Köder an Bord. Wir haben immer frischen Fisch, wenn wir möchten.”
Sie haben auch ein paar besondere Tricks. Sie haben einen Überraschungsvorrat leckerer Naschereien, um auf schwierigen Strecken die Stimmung aufrechtzuerhalten. Zudem haben sie stets Sportlernahrung auf Lager. „Wenn es hart auf hart kommt, hilft Sportlernahrung bei Weitem mehr als normales Essen“, weiß Elena.
Nicht immer kauft das Paar beim Landgang in Geschäften ein. Oft reicht ein schneller Tauchgang für ein Abendessen mit fangfrischen Kraken, Garnelen und Tintenfisch. „Es ist ironisch, dass Meeresfrüchte in den Läden sehr teuer sind, wir aber essen sie, wenn wir schwere Zeiten haben.“
Trotz der ständigen Sorgen der Eltern haben Elena und Wasilij nicht die Absicht, in ihr früheres Leben zurückzukehren.
Ihre zweite Schwangerschaft verbrachte Elena an Bord der Jacht. Entbunden hat sie in Spanien und kehrte unmittelbar danach zurück. Jetzt zieht das Paar zwei kleine Kinder unter sehr ungewöhnlichen Bedingungen groß. „In einer lebendigen Umwelt können Kinder am besten lernen. Tiere, Pflanzen, Naturphänomene, Sprachen, Psychologie - das ist alles hier vor Ort, nicht in Büchern und Klassenzimmern“, ist Elena überzeugt.
Sie glaubt auch, dass das Meer den Alterungsprozess verlangsamt. Frische Luft und ständige körperliche Bewegung halten Körper und Seele in Form.
Das Paar verdient seinen Lebensunterhalt mit Artikeln für Zeitschriften und Beiträgen bei Patreon, YouTube und Instagram. Dort posten sie nicht nur Videos ihrer Reise, sondern geben auch Tipps wie man als Freelancer Geld verdienen kann.
Elena und Wasilij planen nicht damit, auf das Festland zurückzukehren. Manchmal, ob ernst gemeint oder nicht, denken sie darüber nach, wie es im Alter auf See sein wird.
Fragt man Elena, was sie am liebsten bei anderen Menschen ändern würde, antwortet sie: „Menschen, die auf dem Land leben und Menschen die auf See leben, sollen gleich sein“.
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