Der Traum so reich und einflussreich wie möglich zu wirken, ist auch in Russland weit verbreitet. Am leichtesten geht das mit einem SUV. Ob man nun ein Oligarch ist oder nicht – man hat Geld. Und das Umfeld muss das natürlich mitkriegen.
Wenn es sich dabei um ein schwarzes SUV handelt, macht man sich am besten schnell vom Acker. Der Fahrer hat Einfluss und darauf ist er stolz. Er wird die Regeln brechen, fahren wie ein Idiot, rote Ampeln überfahren und dafür vermutlich nicht einmal angehalten werden. Stattdessen wird man selbst von der Verkehrspolizei gestoppt, weil man ihm angeblich hinterhergefahren ist. Besonders aufpassen, sollte man, wenn das schwarze SUV viele Nullen und Siebenen auf dem Nummernschild hat. Fahrer solcher Fahrzeuge stehen aus irgendeinem Grund über dem Gesetz.
Autofahrer aus dem Nordkaukasus sind leise und geheimnisvoll wie Batman, richten aber großen Schaden an. Der kaukasische Fahrstil ist wie der Tanz Lesginka: auffällig, impulsiv und unvorhersehbar.
Meist fahren diese Fahrer einen Lada 9 mit getönten Scheiben. Getönte Scheiben an einem Lada 9 sind in etwa so wie Hosen mit dem Muster der US-Flagge. Sie sollen einschüchternd wirken und zeigen, dass der Besitzer zu cool für ein durchschnittliches Verständnis von Stil und Understatement ist.
Viele Oligarchenfrauen fahren dieselben klobigen schwarzen SUVs, die auch mächtige Männer bevorzugen. Der Stil und die Farbe sollen in diesem Falle das Geschlecht kaschieren und stattdessen die Fähigkeit ausstrahlen, in einer männerdominierten Gesellschaft zu bestehen. Schwarze Autos zeigen, dass der Besitzer oder die Besitzerin es ernst meinen.
Am anderen Ende des Spektrums befindet sich der weiße Mercedes. In der Redaktion fanden wir niemanden, der einen russischen Besitzer einer weißen E-Klasse kennt, doch sieht man diese Autos ebenfalls häufig auf Moskaus Straßen. Am Steuer sitzen meistens Frauen, die allerdings weniger an die selbstbestimmten Entscheiderinnen aus den schwarzen Geländewagen, sondern mehr an Real-Life-Versionen von Barbie erinnern und oft vom Geld des Vaters oder des Ehemanns leben. Diagonales Parken in zwei Parklücken, Anhalten mitten auf Fahrspuren oder vor Ausfahrten, Telefonieren am Steuer – rechnen Sie mit allem und wundern Sie sich auch nicht, wenn die Fahrerin die wütenden Personen um ihr Auto geflissentlich ignoriert.
Wenn die laute, qualitativ fragwürdige Musik, die von der Straße dröhnt, nicht aus einem Kompaktwagen kommt (das wäre allerdings schon eine Überraschung), dann kommt sie vermutlich aus einem Lada Priora. Das Fahrzeug ist nicht nur im Nordkaukasus beliebt, sondern interessanterweise auch in Europa. Die Autoseite auto.ru gab ihm 2014 sogar den Titel des „beliebtesten russischen Autos im Ausland“.
In Russland gilt grundsätzlich die Faustregel: Je lauter die Musik aus dem Autoradio, desto schlechter ist sie. Während aus Kompaktwagen zumeist elektronische Diskomusik mit der emotionalen Komplexität eines Workout-Videos kommt, tendieren Priora-Fahrer zu einer östlichen Version von R&B: Nordkaukasische Songs, die in schlechtem Russisch beschreiben, wie man sehr hart, sehr loyal oder sehr eifersüchtig ist. Gewaltsame Eifersucht ist dabei der größte denkbare Liebesbeweis.
Dieser Typ Mensch hasst die Ungerechtigkeit auf russischen Straßen so sehr, dass er zum lebendigen Gegenentwurf zu den üblichen Asphaltcowboys geworden ist. Wer solche Fahrer als Taxifahrer oder Uber bekommt, der kann sich in aller Regel schonmal darauf einstellen, zu spät zu sein. Wer ihm beim Fahren zusieht, der sieht das Gesicht des einzigen gesunden Autofahrers in einer verrücktgewordenen Welt. Das ist natürlich wahr: Man stelle sich nur den Adrenalinrausch vor einer Ampel vor, die von grün auf gelb umspringt. Ihr Fahrer hat es vor etwa 30 Jahren erlebt und sich seitdem geschworen, diese Situation tunlichst zu vermeiden.
Eine weitere Besonderheit dieses Fahrertyps wird auf mehrspurigen Straßen klar. Er bleibt hinter zehn weiteren Fahrzeugen auf der vielbefahrenen Spur, anstatt auf die komplett freie Nachbarspur auszuweichen. Und auf Straßen mit einem Geschwindigkeitslimit von 60 Stundenkilometern wird sich ihr vorsichtiger Fahrer hüten, schneller als 55 zu fahren. Und das, obwohl man sich eigentlich erst ab 80 Stundenkilometern Sorgen machen muss, angehalten zu werden.
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