„Schmerzende Brüste“
Es war Ende November 2017 und Moskau stand kurz vor dem bitterkalten Winter. Ich hatte eine ganz normale Arbeitswoche und nichts war ungewöhnlich, bis der am meisten regulierte und wahrscheinlich einzige stets pünktliche Aspekt in meinem Leben plötzlich ausblieb.
Drei Tage vergingen und meine Brüste begannen zu schmerzen. Es war anders als jeder Schmerz, den ich jemals zuvor gefühlt hatte, fast wie ein Pochen. Sie haben verdammt weh getan! Also habe ich mich natürlich an meine vertrauenswürdigste Quelle gewandt: „Ok Google, warum tun meine Brüste weh?" Das Ergebnis: Erste Anzeichen einer möglichen Schwangerschaft.
Nachdem diese Vermutung durch einen Bluttest und per Ultraschall in der örtlichen Medok-Perinatal-Klinik bestätigt wurde, stellte sich die Frage, wo das Kind zur Welt kommen sollte. Die Wahl fiel auf Moskau, Russland. Peru, die Heimat meines Partners, war zu weit von meiner Heimat Australien entfernt und Australien zu weit entfernt von … Naja, eigentlich könnte geografisch gesehen nichts unparteiischer sein als Russland.
Wie sage ich es meiner Familie?
Nun musste ich die frohe Botschaft noch der Familie und meinen Freunden verkünden. Ich hatte bereits geplant, Silvester in Australien zu verbringen und wollte es ihnen persönlich mitteilen. So kam es. Die Reaktionen waren erwartungsgemäß. Alle waren aufgeregt und glücklich! Doch als sich alle wieder etwas beruhigt hatten, wurden Fragen gestellt: „Wo wirst du das Baby bekommen?”, „Wird es ein Australier sein?”, „Bleibst du in Moskau?“, „DU BLEIBST IN MOSKAU!?“, „Gibt es dort Mutterschutz?”, „Was ist mit dem russischen Gesundheitssystem? “, „Ich würde es nicht tun!“, „Es ist besser, wenn Du nach Hause kommst!”, „Dort hast Du niemanden, der Dir hilft.“
Diese Fragen und Kommentare, die alle von einem negativen Bild Russlands geprägt waren, begegneten mir auf weiter Flur. Dies schloss sogar Ärzte und medizinisches Fachpersonal ein. Jeden negativen Kommentar, den ich zu meiner Entscheidung, mein Kind in Moskau zu gebären, erntete, konterte ich damit, dass Russland längst nicht mehr der Ort sei, der es in den 1990er Jahren gewesen ist. Ich musste die anderen davon überzeugen. Das war anstrengender als die Morgenübelkeit.
Angsteinflößende Entbindungsstationen in Russland?
Der Beginn meiner Schwangerschaft war geprägt von Übelkeit und der Abneigung gegen alles Essbare außer Popcorn, Äpfel und dazu Sprite. Ich hatte gerade den bitterkalten Winter überstanden und freute mich auf die Rückkehr zur Arbeit, nachdem ich wegen meines unglücklichen Zustands fast drei Monate gefehlt hatte. Seien wir ehrlich, niemand will eine Englischlehrerin, die sich dreimal pro Stunde übergeben muss. Doch ich begann, wieder zu unterrichten, und das bis zur 37. Woche.
Dann startete die Suche nach einer Entbindungsklinik in Moskau. Dies war stressig. In einem Geburtsvorbereitungskurs für Ausländer wurde nämlich der Eindruck vermittelt, dass jedes Moskauer Krankenhaus auf einem Dritte-Welt-Niveau sei, außer dem Perinatal Medical Center (PMC) „Mat und ditja“ („Mutter und Baby“). Das mag nicht verwunderlich sein, waren die Kursleiterinnen doch Hebammen des PMC, zufällig eine der teuersten Geburtskliniken in Moskau.
In gedämpfter Stimmung besichtigte ich einige Geburtsstationen. Ich erfuhr, dass man mit jedem öffentlichen Krankenhaus einen Behandlungsvertrag abschließen konnte. Die Kosten hängen von dem gewählten Behandler und Geburtsteam und der Zimmerkategorie ab.
Ich bekam den Schock meines Lebens, als auf der ersten Entbindungsstation, die ich besichtigte, eine leere Cola-Flasche als Seifenspender diente. Auf anderen Stationen war das Personal sehr unfreundlich, das schreckte mich einfach ab.
Aber als ich im Roddom 26 (zu Deutsch: Entbindungsstation 26) ankam, wusste ich sofort, dass ich hier gut aufgehoben sein würde. Ich traf Jewgenia Belonogowa, eine bezaubernde Ärztin, und unterschrieb den Vertrag. Obwohl sie nur Russisch sprach, konnten wir uns gut verständigen und ihre Geduld war ein Glücksfall.
Mein Partner und ich wollten immer, dass er bei der Geburt anwesend ist. Nach einer Reihe von medizinischen Tests, die er durchlaufen musste, gab es grünes Licht dafür. Im Roddom 26 muss man dafür nicht extra bezahlen. Die Tests jedoch kosteten etwas.
Die Väter freuen sich über den Preis
Der errechnete Termin kam, aber kein Baby. Erst in der 41. Schwangerschaftswoche, plus drei Tage, war es soweit. Meine Fruchtblase war geplatzt und die Wehen setzten ein. Nun wollte ich ins Krankenhaus, wo ich vier Stunden später meinen Sohn in den Armen hielt. Wir haben uns einen russischen Namen für ihn gewünscht, weil er in Russland geboren wurde. Vielen Dank, Fjodor Dostojewski, Sie waren unsere Inspiration.
Für die Geburt in Moskau mussten wir insgesamt fast 200.000 Rubel (rund 2.800 Euro) aus eigener Tasche zahlen. Die Perinatal-Klinik, die uns während der Schwangerschaft betreut hat, berechnete 89.000 Rubel (rund 1.200 Euro), die in zwei Raten zu zahlen waren. Es war dort fantastisch. Bei Mutter und Kind wurden alle erforderlichen Tests durchgeführt. Bei den regelmäßigen Kontrolluntersuchungen betreute mich immer derselbe Gynäkologe, so dass ein gutes Vertrauensverhältnis entstanden ist.
Die Geburt bei Roddom 26, einem staatlichen Krankenhaus in Moskau, kostete 101.000 Rubel (etwa 1.400 Euro). Darin enthalten waren ein persönlicher Arzt und ein zusätzliches Einzelzimmer (für Besucher). 10.000 Rubel (etwa 140 Euro) gaben wir für Tests aus, damit mein Partner bei der Geburt anwesend sein durfte, und für Vitamine, die ich während der Schwangerschaft einnehmen musste.
Zusammenfassend möchte ich sagen, dass ich trotz der Skepsis und der negativen Vorbehalte (hauptsächlich anderer) die Schwangerschaft in Russland gut überstanden habe und die Entbindung komfortabel war.
Dennoch gab es Tage, an denen ich mich hoffnungslos fühlte und überfordert war. Es gab Tage, an denen ich einfach nur Angst hatte: Die Angst, nicht alles zu verstehen, und auch die Angst, missverstanden zu werden. Ich wurde vom medizinischen Personal aufgefangen, das Verständnis dafür hatte, für meine Ängste und für meine nicht so großartigen Russischkenntnisse.
Ich hatte wirklich das Gefühl, dass sie sich die Zeit genommen haben, ganz individuell auf mich einzugehen. Es war ein Kraftakt für mich, doch rückblickend fühle ich mich stärker. Es war die richtige Entscheidung, eines der wichtigsten Ereignisse meines Lebens in Russland zu erleben.