„Russen sind wie Kokosnüsse“, sagt mein Freund Iwan. Ich war gerade vom Einkaufen zurückgekommen. Mein Russisch war noch nicht so gut und ich wollte ein wenig üben. Ich hatte einen Riegel Schokolade gekauft und den Mann an der Kasse angelächelt: „K-A-K. DE-LA?“, sagte ich, was auf Russisch „Wie geht es Dir?“ heißen sollte. Er sah mich an, wie wohl ein Psychopath einen Bus voller Schulkinder anschauen würde, der in einem eisigen See versinkt. Er blieb stumm. Ich bezahlte. Um Augenkontakt zu vermeiden schaute ich auf sein T-Shirt. Dort stand in breiten Buchstaben:
CANCEL MONDAYS AND F*CK OFF (Schaff die Montage ab und hau ab)
Später, als ich mit Iwan zusammensaß und ihm deprimiert meine Geschichte erzählte, sagte er wieder: „Russen sind wie Kokosnüsse. Sie haben eine harte Schale und einen weichen Kern.“
„Also, was soll ich tun?“, fragte ich.
Er zuckte mit den Schultern: „Du bräuchtest eigentlich eine Machete, aber Du als Amerikaner hast nur so was wie ein Messer.“
„Na toll“, sagte ich seufzend.
Er machte eine kurze Pause bevor er hinzufügte: „Und Russisch kannst Du auch nicht, also hast Du nur ein Taschenmesser.“
In den folgenden drei Jahren wurde mein Russisch besser. Ich arbeitete mich Stück für Stück mit meinem Taschenmesser vor und musste feststellen, dass Iwan Recht hatte. Mr. „CANCEL MONDAYS“ lächelt mittlerweile nicht nur zurück, er schüttelt mir auch die Hand. Ab und an trinken wir auch ein paar Nastoikas zusammen, während ich auf meinen Kaffee warte.
Russen mögen nicht gerne Small Talk. Ich habe also ein Merkblatt zusammengestellt über Themen, die man mit Russen bespricht oder eben besser nicht. Damit andere ein Messer haben, wo ich nur ein Taschenmesser hatte. Ich habe die Russen selbst gefragt, worüber sie sich gerne unterhalten würden und das ist das Ergebnis.
>>> “Sch*** auf das Wetter!”: Deswegen gibt es in Russland so wenig Smalltalk
Unverfängliches
Viele der Russen, mit denen ich gesprochen habe, insbesondere die in St. Petersburg, halten ein Gespräch über Musik oder Konzerte für einen gelungenen Türöffner, vor allem, wenn man ohnehin vorhat, eine Veranstaltung zu besuchen. Das ergibt auch gleich die Gelegenheit, zu fragen, ob jemand mitkommen möchte.
„Ich spreche viel über Musik und bevorstehende Konzerte hier in St. Petersburg. Mit meinen Freunden, die gerne tanzen, unterhalte ich mich über Salsa oder die beste Disco“, sagt Julia.
„Ein Gespräch über Bücher oder Kino finde ich eine gute Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen, sowohl unter engen Freunden als auch mit Fremden“, meint Daria.
Ich würde diese Phase als „Small Talk mit Twist“ bezeichnen. Es ist häufig gar nicht so schwer, ein gemeinsames Thema zu finden. Beginnen Sie das Gespräch bloß nicht mit einer Grundsatzdiskussion, sondern beschränken Sie sich auf das Naheliegende. Wenn Sie in einem Konzert sind, dann sprechen Sie über Musik, sind Sie in einem Museum, sprechen Sie über Kunst.
Streitgespräche
Die Russen streiten gern und sind dabei sehr ehrlich. Sie sagen offen ihre Meinung und scheren sich nicht um politische Korrektheit. Wenn Sie also jemandem nur zustimmen, um sich beliebt zu machen, werden Sie denjenigen bloß erst recht frustrieren.
Wenn ein Russe etwas zu sagen hat, überlegt er nicht, ob man ihn aufgrund seiner Äußerung für rassistisch, sexistisch oder was auch immer halten könnte. Er sagt einfach, was er denkt.
Wer mit einer Kokosnuss streitet, braucht selbst eine harte Schale, beleidigt sein kommt nicht gut an. Wenn Sie die Russen näher kennenlernen wollen, werden Sie sich irgendwann auch mal mit ihnen streiten. Behaupten Sie sich, sagen Sie Ihre ehrliche Meinung, seien Sie nicht zu sensibel und bleiben Sie freundlich, auch wenn Sie anderer Meinung sind.
„Ja, wir streiten viel. Wenn jemand einen anderen Standpunkt vertritt, versuchen wir, ihn vom eigenen zu überzeugen. Wir diskutieren offener und ehrlicher, auch wenn die Gefahr besteht, etwas Dummes oder Seltsames zu sagen“, sagt Daniil.
In jeder Diskussion, die ich mit Russen geführt habe, ging es früher oder später auch um Politik. Und wenn es eine Ausnahme von der Regel gibt, dass eine Diskussion zu einem gegenseitigen besseren Verständnis beitragen kann, ist das, wenn über Politik gestritten wird. „In meinem Umfeld wird viel über Politik diskutiert. Wird es Veränderungen in der Politik und bei der Regierung geben? Was ist, wenn sich niemals etwas ändern wird, wie soll man damit umgehen? Wenn die Situation einmal unerträglich werden sollte, was kann man dann tun?“, erklärt Egor. „Russen diskutieren über Politik: Über Syrien, die USA und natürlich über Russland. Für die Probleme werden oft die USA und die EU verantwortlich gemacht. Dies gilt vor allem für die ältere Generation“, sagt Unic.
Am besten führt man solche Diskussionen nur im engeren Kreis. „Politik ist ein schwieriges Thema. Sprechen Sie darüber besser nur innerhalb der Familie oder mit engen Freunden. Ansonsten kann es zu Zerwürfnissen kommen, wenn die politischen Ansichten zu sehr voneinander abweichen (was höchst wahrscheinlich ist)“, rät Ulia. Als Ausländer vermeiden Sie das Thema besser gänzlich.
„Man merkt, dass die Russen sehr oft über die Nachteile ihres Landes diskutieren. Wenn Sie jedoch Ausländer sind, halten sie sich still. Sagen Sie nichts, hören Sie nur zu. Wenn Sie um Ihre Meinung gebeten werden, sagen Sie nur, dass Russland ein schönes Land sei. Anderseits steht Ihnen eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Ihren russischen Freunden bevor. Niemand außer Russen darf Russland kritisieren!“, stellt Tzemente klar.
Tiefschürfende Gespräche
„Manchmal neigen wir dazu, Ihre Seele erforschen zu wollen. Das kann unangenehm sein”, weiß Daniil.
Wenn Sie die Russen etwas besser kennengelernt haben, sind Gespräche in verrauchten Küchen über Beziehung, Sex, Familienprobleme, das Philosophieren und Erörtern zu den ungeklärten Fragen der Menschheit eine Selbstverständlichkeit.
Die Russen sind ein sehr belesenes Volk. Es sollte Sie daher nicht überraschen, wenn Sie in tiefe Kontemplation über das Leben, das Universum und überhaupt alles verstrickt werden.
Machen Sie einfach mit.