Ilja fragt nach Nadirs Telefonnummer. Der ziert sich und sagt: „Ich bin nicht sicher,…”. Ilja und Nadir nehmen an einem Flirt-Seminar teil. Sie wollen die Kunst lernen, eine Frau zu erobern. Oder ist das eher eine Wissenschaft?
Jedenfalls sind die Männer der Gruppe überzeugt, dass dieses Seminar ihr Leben verändern wird.
Verführungskünstler
Der kleine Raum ist brechend voll. Mehr als 30 Möchtegern-Romeos sitzen auf den Stühlen und unterhalten sich angeregt miteinander. Sie warten auf ihren Coach. Er soll dafür sorgen, dass ihr Liebesleben in Schwung kommt.
Die Altersspanne geht von 18 bis 45, die Berufe vom Studenten bis zum Bankangestellten. Entgegen aller Erwartungen sehen sie alle sehr gepflegt aus und können sich gut unterhalten. Kaum zu glauben, dass sie alle von sich sagen, Probleme damit zu haben, eine Frau anzusprechen.
Der 30-jährige Michail war vor zehn Jahren schon einmal Teilnehmer bei solch einem Kurs. „Mit 20 habe ich den Grundkurs belegt. Damals habe ich gelernt, wie man ein Mädchen anspricht. Nun möchte ich meine Fähigkeiten verbessern, um die Frau fürs Leben zu finden. Ich möchte unwiderstehlich werden.”
Das ist nur einer der vielen unterschiedlichen Beweggründen der Teilnehmer. Einige wollen ihre Schüchternheit überwinden und mutig genug werden, ein Mädchen nach der Telefonnummer zu fragen. Andere wollen wissen, wie sie es endlich aus der Friendzone herausschaffen. Manch einer versucht hier auch, Trennungsschmerz zu verarbeiten. Es gibt so viele Ziele wie Teilnehmer. Einige glauben an die große Liebe und suchen die Frau fürs Leben, andere wollen ihre Chancen verbessern, möglichst viele Frauen kennenzulernen.
Der Weg zum Eroberer
Endlich betritt der Meister der Verführung den Raum. Dennis Schalnow ist 41 Jahre alt und arbeitet seit 16 Jahren als professioneller Flirt-Trainer. Diesen Weg schlug er schon in der Schule ein, heißt es in seinem Profil (rus) auf der Webseite von RMES, einer Plattform für Liebes-Coaches, wo er seit 2003 aktiv ist.
Dennis ist studierter Psychologe und hat sich im Bereich Flirten und Erobern weitergebildet. Ja, es gibt tatsächlich Akademien dafür. „Das Ziel von RMES ist es, Männern dabei zu helfen, ihre Schüchternheit zu überwinden, ihre Traumfrauen kennenzulernen, diese angemessen anzusprechen und unter Berücksichtigung der weiblichen Psychologie tragfähige Beziehungen zu ihnen aufzubauen. Davon profitieren beide Seiten“, so Dennis.
Das Seminar beginnt mit einer Aufzählung typisch männlicher Ängste im Umgang mit Frauen und möglichen Strategien, diese zu überwinden.
Dennis bringt den Kursteilnehmern bei, wie sie eine Frau am besten ansprechen. Zunächst gilt es, sich der Frau anzunähern, dann empfiehlt Dennis, sich zuvor vier sichere Gesprächsthemen zu überlegen. Er gibt hierzu hilfreiche Ratschläge und Tipps, wie man die Telefonnummer einer Frau bekommt, aber auch, wie man mit Einwänden oder Zögerlichkeit umgeht, wenn etwa eine Frau Bedenken hat, ihre Nummer herauszugeben.
In Rollenspielen werden diese Techniken geübt. Dabei sind einige Teilnehmer sehr verlegen. Dann müssen sie sich in der Praxis bewähren. Dennis teilt seine Männer in drei Gruppen ein und schickt sie in drei verschiedene Einkaufszentren. Wenn sie zurückkommen, sollte jeder fünf Telefonnummern von Frauen in der Tasche haben, mit denen er ausgehen will.
Ohne Nummer, kein Date
Ich begleite den 27-jährigen Wsewolod. Er hat gerade die vierjährige Beziehung zu seiner Freundin beendet. Sie seien zu unterschiedliche Charaktere gewesen, sagt er. 35.000 Rubel, fast 500 Euro, kostet ihn der Kurs, der an drei Wochenenden stattfindet, inklusive intensiver Theorie und Praxis. Nach diesem Grundkurs, plant er die Teilnahme am Seminar für Fortgeschrittene.
Wir erreichen das Einkaufszentrum Ochotny Rjad am Roten Platz und haben anderthalb Stunden Zeit, um fünf Telefonnummern zu ergattern. Der erste Versuch scheitert. „Hey, Du siehst toll aus“, sagt Wsewolod zu einem Mädchen, doch die findet das eher befremdlich als verführerisch.
Es ist ihm unangenehm, fremde Frauen anzusprechen, das merkt man Wsewolod an. Bevor er sich traut, umkreist er die Frauen einige Minuten. Manche bemerken es. Gruselig.
Doch der nächste Versuch ist erfolgreich. Und am Ende der anderthalb Stunden hat er tatsächlich fünf echte Telefonnummern von real existierenden Frauen in der Tasche. Er wird sie anrufen und um ein Date bitten, aber erst, wenn Dennis ihm beigebracht hat, wie das geht.
Nicht alle Teilnehmer haben das Ziel erreicht? Welche Konsequenzen hat das? Nun, keine fünf Telefonnummern, kein Date.
Alles nur Betrug?
Der Markt für Flirt-Seminare ist heiß umkämpft. Ein Moskauer Coach bietet ausschließlich Kurse für Besserverdienende an. Bevor jemand von ihm in der Kunst der Verführung ausgebildet wird, muss der Kandidat erst ein Interview überstehen und zudem nachweisen, dass er mindestens 225.000 Rubel (3.190 Euro) im Monat verdient. Das Seminar selbst kostet zwischen 50.000 und 150.000 Rubel (etwa 710 bis 2.100 Euro), manchmal auch mehr, je nachdem, welche Ziele der Teilnehmer hat. Je größer der Ehrgeiz, desto höher die Beratungskosten.
Der materielle Status ist diesem Verführungs-Coach besonders wichtig. Er will in seinen Kursen „keine Verlierer mit Hungerlohn“, sondern „richtige Männer, die erfolgreich sind“. Er hält nichts von seinen Kollegen, die jeden aufnehmen. Er ist der Meinung, das seien Abzocker. „Für jemanden, der nur 50.000 Rubel (710 Euro) im Monat verdient, sind 35.000 Rubel (500 Euro) für einen dreiwöchigen Kurs ein Vermögen“, sagt er.
„Das sind dumme, leichtgläubige Kerle, die bei Frauen nicht ankommen. Sie haben einen beschissenen Job und ein beschissenes Leben, das keine Frau mit ihnen teilen will. Im Seminar erhoffen sie sich eine Patentlösung, ein Wunder. Sie glauben, es gebe ein Geheimnis, dass man ihnen dort verraten werde“, spottet der elitäre Flirt-Experte. „Tatsächlich werfen sie bloß ihr letztes Geld zum Fenster heraus. Das ist Betrug. Nur Trottel fallen auf so etwas herein“, meint er.
Alle Frauen denken gleich
Bei RMES ist man dagegen davon überzeugt, dass jeder Mann jede Frau verführen könne, man müsse ihm nur beibringen, wie es geht.
„Es ist ein Fehler zu glauben, dass ein Mädchen aus Tscheljabinsk, das vielleicht 15.000 Rubel (212 Euro) verdient, anders denkt als eines aus Rubljowka (Moskaus reichstes Stadtviertel), das 15 Millionen (210 000 Euro) im Monat zur Verfügung hat. Der einzige Unterschied ist, dass sie in unterschiedlichen Kreisen verkehren. Wenn ein Mann nicht zu diesem Kreis gehört, muss er das kompensieren, zum Beispiel durch Aussehen, eine positive Ausstrahlung oder Kreativität“, behauptet Dennis.
Die Teilnehmer seines Seminars sind am Ende des Tages jedenfalls zuversichtlich gestimmt. Sie gehen gut gelaunt nach Hause. Sie haben auf ihren Handys (hoffentlich) fünf neue Telefonnummern gespeichert und sie freuen sich schon auf die nächste Woche.
Wenn sie durch das Flirt-Seminar nicht die große Liebe finden, so haben sie wenigstens drei lustige Wochenenden mit Männern in der gleichen Situation verbracht. Vielleicht sind 500 Euro doch gar nicht so viel?