„Leere Städte, kein Geld, überall Polizei“ – Russen in der Coronavirus-Quarantäne im Ausland

Aus dem persönlichen Archiv
Viele Länder haben wegen der Verbreitung des Coronavirus internationale Flüge gestrichen. Die Russen, die in Montenegro, Marokko und auf den Philippinen festsitzen, erzählen uns, warum das passiert ist und wie sie in der Isolation im Ausland überleben werden.

Alisa, 36, Büroangestellte, Samara.

Letztes Jahr haben mein Mann und ich den Winter in Montenegro verbracht – es gefiel uns sehr gut und so haben wir dieses Jahr beschlossen, wieder dorthin zu fahren. Seit Dezember sind wir zusammen mit unserer Katze in Budva und wollten eigentlich Ende März – Anfang April nach Russland zurückkehren.

Vor ein paar Tagen wurden die ersten Coronavirus-Infektionen in Montenegro bekannt. Deshalb beschlossen wir, den Rückflug vom 10. April auf den 21. März umzubuchen.

Am Morgen des 18. März erhielt ich einen Anruf der Fluggesellschaft S7, dass ich heute die letzte Maschine nach Moskau nehmen könne. Ich habe natürlich zugestimmt, aber die Gesellschaft weigerte sich ohne Erklärung, meine Katze ins Flugzeug zu lassen. Das war seltsam, denn ihr Ticket war bezahlt und bestätigt. Die Katze befindet sich in einer Transportkiste und stellt keine Gefahr dar.

Ich war empört und fuhr sofort zum Flughafen in Podgorica. Es stellte sich heraus, dass ich nicht auf der Bordliste für den Flug nach Moskau stand. Der Vertreter des Konsulats schlug vor, zu warten, bis alle Leute von der Passagierliste abgefertigt sein werden, und sich dann „um alle anderen zu kümmern“. Das Flugzeug ist letztendlich ohne uns gestartet.

Später wurde uns mitgeteilt, dass der nächste S7-Flug nach Moskau am 21. März abgehen würde. Wahrscheinlich müssen wir nach Budva zurückkehren – momentan laufen die Leute noch ruhig die Straße entlang, es gibt es keine Unterbrechung bei der Versorgung. Doch bald geht uns das Geld aus und die Mietzeit für die Ferienwohnung läuft ab. Wenn wir am 21. März nicht abreisen können, werden wir darüber nachdenken, was wir als nächstes tun. Vielleicht bleiben wir sogar hier, bis sich die Lage beruhigt hat. Hoffentlich wird das bald geschehen.

Sergej Trofimow, 36, Institut für Südseebiologie, Sewastopol, Krim.

Meine Freundin und ich haben im Januar 2020 Flugtickets nach Marokko gekauft. Damals gab es noch keine besondere Panik und wir flogen am 6. März in aller Ruhe von Sewastopol nach Moskau und von dort nach Marokko. Zurück sollten wir am 17. März über Amsterdam fliegen.

Wir fuhren nach Marrakesch, absolvierten eine Tour durch die Wüste – alles lief großartig. Doch dann kamen wir nach Fez, wo wir erfuhren, dass alle internationalen Flüge aus Marokko gestrichen worden seien. Ich habe sofort versucht, alternative Tickets zu finden, wie viele unserer Landsleute auch. Aber wir hatten keinen Erfolg.

Ich setzte mich mit der Fluggesellschaft in Verbindung, die uns nach Amsterdam bringen sollte. Es war schwierig, weil sie auf unsere Anrufe und Mails lange Zeit nicht reagierten. Am Ende wurde uns mitgeteilt, dass unser Flug planmäßig abfliegen würde, also setzten wir unsere Reise in aller Ruhe fort und machten uns auf den Weg nach Casablanca.

Die ganze Stadt war bereits geschlossen. Einen Tag vor dem Abflug, am 16. März, erhielten wir die Nachricht, dass unser Flug nach Amsterdam gestrichen worden sei. Wir waren total sauer und warteten auf die Evakuierung. Am nächsten Morgen warfen wir sicherheitshalber einen Blick auf die Website des Flughafens und erfuhren, dass unser Flug nach Amsterdam noch nicht gecancelt war. Wir eilten sofort zum Flughafen. Die Leute checkten ruhig ein, gaben ihr Gepäck auf, aber wir wurden nicht ins Flugzeug gelassen – es gab einen Fehler im System und unsere Namen standen nicht auf der Passagierliste.

Am meisten hat mich die Antwort des Vertreters des russischen Konsulats in Marokko gefreut: „Wenn alle Hotels geschlossen sind und Sie nirgendwo mehr wohnen können, werden wir Ihr Problem lösen.“

Wir wohnen jetzt in einem 4-Sterne-Hotel in Casablanca und verlängern jeden Tag unsere Reservierung. Obst und Gemüse kaufen wir in den noch geöffneten Geschäften und verbringen den ganzen Tage im Hotel. Es gibt jedoch immer noch Russen in der Stadt, die sich ein Hotelzimmer für 50 bis 80 Dollar pro Nacht nicht leisten können. Die preiswerten Hotels haben alle schon lange geschlossen. Glücklicherweise bieten die Marokkaner an, Russen in ihren Häusern unterzubringen, manchmal fahren sie die Touristen mit ihrem Auto.

Die Gesamtsituation in der Stadt ist nicht sehr gut. Gestern bin ich in Casablanca herumgelaufen und habe einen Ort gesucht, an dem ich Alkohol kaufen kann. Die Stadt ist sehr leer, Müll liegt auf der Straße, die wenigen Passanten gehen mit großem Abstand aneinander vorbei. Alles, außer Lebensmittelgeschäften und Geldautomaten, ist geschlossen.

Verschärft wird die Situation durch den Absturz des Rubelkurses. Jeder Tag im Ausland wird für die Russen immer teurer. Noch habe ich Geld, aber wenn der Rubel weiter fällt, weiß ich nicht, was ich tun soll.

Philipp, 41, Schweißer, Tjumen.

Ich wollte schon lange allein irgendwo hinfahren, wo es ruhig ist – weg von der Hektik und dem Trubel. Meine Wahl fiel auf die Insel Panglao auf den Philippinen. Ich kaufte Flugtickets, mietete ein Zimmer für einen Monat und flog am 16. Februar ab. Alles, was ich über das Coronavirus wusste, war, dass es ein Problem in China ist, mehr nicht.

Meinen Rückflug hatte ich für den 1. April gebucht, aber ich erhielt einen Mitteilung, dass mein Flug gecancelt sei. Das Geld für das stornierte Ticket wurde nicht zurückerstattet – die Fluggesellschaft reagiert einfach nicht auf Mails und Anrufe. Die Insel selbst wurde unter Quarantäne gestellt. Es ist unmöglich, mit der Fähre zum Flughafen zu gelangen.

Alles scheint ruhig zu sein, bis man mitbekommt, dass sämtliche Einrichtungen wegen des Coronavirus geschlossen sind. Es wurde eine Ausgangssperre verhängt. Abends ist überall Polizei – Gott bewahre, dass man ihnen unter die Augen kommt.

Jetzt sind alle Straßen leer, keine Menschenseele. Es ist zudem wahrscheinlich, dass überall der Strom abgeschaltet wird. Per SMS werde ich ständig darüber informiert, dass der Abstand zwischen den Menschen mindestens einen Meter betragen müsse und herrenlose Haustiere nicht gestreichelt oder gefüttert werden dürfen.

Es gibt mehrere Lebensmittelgeschäfte, die aber nicht jeden Tag geöffnet haben. Es gibt mehrere Geldautomaten, aber die Gebühren sind enorm hoch. Ich habe noch 4.500 Pesos (82 Euro), mit dem Geld versuche ich, möglichst lange über die Runden zu kommen. Denn wenn ich es richtig verstehe, sitze ich hier noch mindestens einen Monat lang fest. Seit ein paar Tagen trinke ich nur Wasser und esse abends einen leichten Snack aus Früchten. Ich versuche, so lange zu schlafen, wie ich kann, damit die Zeit schneller vergeht. Panglao hat die Quarantäne bis mindestens 12. April verlängert.

Klar, ich bin freiwillig ans Ende der Welt gereist, nun muss ich auch selbst sehen, wie ich hier wieder wegkomme. Ich habe Arme und Beine, ich lasse mir etwas einfallen – ich suche nach einem Weg, wie ich hier rauskomme, na, und dann sehe ich weiter…

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