Wie verläuft die Einberufung in Russland?

Nick Castle/Universal Pictures, 1995; Donat Sorokin/TASS
Neue Rekruten warten auf ihre Musterung und vor allem auf die medizinische Untersuchung im Wehrersatzamt.

Trotz der Ausbreitung des Coronavirus und der Einführung eines „Selbstisolierungsregimes“ in Moskau, bei dem die meisten Menschen ihr Haus nicht verlassen dürfen, soll die Frühjahrseinberufung wie geplant stattfinden. Der entsprechendeErlass wurde vom russischen Präsidenten Wladimir Putin unterzeichnet.

Die Einberufung hat am 1. April begonnen und die 135.000 Wehrpflichtigen werden bis zum 15. Juli für ein Jahr zur Armee eingezogen. In den kommenden Monaten warten viele junge Männer darauf, in das Wehrersatzamtbeordert zu werden, sich ärztlich untersuchen zu lassen und der entsprechenden Einheit zugeteilt zu werden.

Nicht jeder erhält einen Einberufungsbefehl

In Russland können Männer im Alter zwischen 18 bis 27 Jahren, die zuvor nicht in der Armee gedient haben und die vom Dienst nicht zurückgestellt wurden, eingezogen werden. Aber es gibt eine Reihe von Ausnahmen.

Wenn beispielsweise ein russischer Bürger dauerhaft in einem anderen Staat wohnt, wird er nicht zur Armee eingezogen. Studenten an Universitäten, alleinerziehende Väter, Väter mit vielen Kindern, Vormünder von Minderjährigen oder behinderten Verwandten, Mitglieder des Strafverfolgungsapparats, Abgeordnete sowie diejenigen, die zum Zeitpunkt der Einberufung nach einer Verletzung oder Operation „vorübergehend wehruntauglich“ waren. Ehemalige Strafgefangene dürfen ebenso nicht in der Armee dienen.

Für den Rest der Wehrpflichtigen beginnt der Weg zur Armee mit dem Einberufungsbescheid.

„Ein Mitarbeiter händigt den Bescheid persönlich aus. In diesem steht, zu welcher Zeit und an welchem Tag der Rekrut sich im zuständigen Wehrersatzamt zu melden hat“, berichtet Igor, der 2014 zur Armee ging.

Im Wehrersatzamt

Nach und nach kommen die Wehrpflichtige in die Wehrersatzämter im ganzen Land, um sich ärztlich untersuchen zu lassen und herauszufinden, ob sie für den Militärdienst geeignet sind. „Hier spielt sich Bemerkenswertes ab: Junge Männer kommen in Begleitung ihrer Mütter, von denen viele sich beschweren, schreien, Szenen machen – wie in einer brasilianischen Seifenoper [damit ihren Söhnen ein Aufschub des Wehrdienstes gewährt wird]“, erzählt Igor.

Aber das klappt bei Weitem nicht bei jedem. „Die Untersuchung dort hat rein symbolischen Charakter, denn die Mitarbeiter der Wehrersatzämter müssen die Quote [die im Präsidialerlass festgelegte Anzahl der Rekruten] erfüllen. Da es viele Menschen gibt, die für die Freistellung ihrer Kinder von der Armee bezahlen, muss das auf andere Weise kompensiert werden“, erklärt Igor.

„Es gibt viele Wehrpflichtige, die sich der medizinischen Kommission vorstellen“, sagt Fjodor, der 2017 mit 18 Jahren eingezogen wurde. „Auf dem langen Flur sind viele Zimmer und in jedem von ihnen sitzen Ärzte, die alle von den Wehrpflichtigen der Reihe nach aufgesucht werden müssen.“

Fjodor sagt, dass die Ärzte (Internist, Chirurg, Psychologe, HNO-Arzt, Zahnarzt) die von den Wehrpflichtigen mitgebrachten Krankenakten und ärztlichen Bescheinigungen sorgfältig prüfen.

„Ich kam zu dem Schluss, dass es keine große Rolle spielt, was du ihnen erzählst. Da sehr viele Rekruten untersucht werden, verläuft die Abfertigung wie am Fließband. Aber die Unterlagen werden sehr sorgfältig geprüft. Wenn in ihnen eine chronische Krankheit festgehalten ist, wird man gefragt, ob das wirklich so ist, und bekommt dann eine Überweisung für eine Nachuntersuchung“, berichtet Fjodor.

Nachdem die Rekruten von den Ärzten untersucht wurden, werden sie von den Mitarbeitern des Wehrersatzamts befragt. Auf der Grundlage dieser Befragung und des ärztlichen Gutachtens erfolgt eine Einteilung in Kategorien: Entweder ist der Wehrpflichtige voll wehrtauglich (Voraussetzung für einen Einsatz bei den Elitetruppen) oder er ist einschränkt wehrtauglich (in dem Fall ist der Weg in die Elitetruppen versperrt) oder er ist vollkommen wehrtauglich bzw. nur in Kriegszeiten tauglich.

Wer als wehrtauglich eingestuft wurde, verbringt noch einige Zeit zu Hause bei der Familie (Fjodor zum Beispiel wurde eine Woche Zeit gegeben) und fährt dann zum Sammelpunkt, von dem aus die Rekruten an Einheiten in ganz Russland verteilt werden.

Am Sammelpunkt

Wenn die Rekruten am Sammelpunkt eintreffen, werden sie fotografiert, ihnen werden die Fingerabdrücke abgenommen, die entsprechenden Dokumente für sie ausgestellt und sie in einem großen Saal untergebracht. Dort wählen Militärs aus den verschiedenen Einheiten der Armee unter den Neuankömmlingen ihre Rekruten aus.

„Die Rekrutierer kommen dorthin und schauen sich die Jungs an. Das Militär wählt die Gesündesten und Klügsten aus“, sagt Igor. „Es ist wie in auf dem Viehmarkt: Vom Hänfling bis zum Hünen ist hier alles anzutreffen.“

Die „wertvollsten Exemplare“ werden schnell den Elitetruppen zugeteilt, während die anderen mehr oder weniger lange warten müssen. „Es gibt Fälle, dass Jungs ein paar Tage dort gesessen haben, weil es keinen ,Abnehmerʻ für sie gab“, erzählt Igor.

Wer eine Fahrerlaubnis besitzt oder einen Beruf erlernt hat, hat bessere Chancen. Aber die meisten Rekruten wissen bis zum Schluss nicht, in welcher Truppe sie landen werden.

Nachdem der Rekrut ausgewählt worden ist, erhält er seine Uniform. „Dies ist ein wichtiger Moment. Ein Teil der Uniform wird von Strafgefangenen genäht, weshalb die Qualität gründlich geprüft werden muss. Wir hatten Fälle, dass Soldaten sich ihre Füße wundgescheuert haben, weil sie sich bei der Wahl der richtigen Schuhe nicht ausreichend Mühe gegeben hatten und deshalb während des Wehrdienstes leiden mussten“, berichtet Igor.

Ab und zu passieren kuriose Dinge: „Ich fand das seltsam, aber bis zum Antritt meines Wehrdienstes wurde ich dreimal neu eingekleidet. Die Größe der Uniform blieb dabei jedoch die gleiche. Ich musste eine Uniform abgeben und habe eine andere dafür bekommen“, erinnert sich Fjodor.

Nach Empfang der Uniform fährt der Rekrut zu seinem neuen Kommandanten an den Dienstort, wo er die nächsten zwölf Monate verbringen wird.

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