Was hat das Coronavirus mit zwei historischen Turkvölkern zu tun?

Alexei Druschinin/Sputnik; Tretjakow-Galerie
Wladimir Putin verglich das Coronavirus mit den Petschenegen und Polowzern. Doch wer ist das überhaupt?

 Am 8. April hielt Russlands Präsident Wladimir Putin eine Videokonferenz mit Regierungsmitgliedern und Vertretern der Regionalregierungen. Themen der Konferenz waren erneut die Corona-Pandemie in Russland und Maßnahmen, um das Virus einzudämmen. 

Am Ende der Veranstaltung sprach der russische Präsident plötzlich über russische Geschichte und spannte den Bogen zu den aktuellen Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie auf das russische Volk. Putin erwähnte dabei die Volksstämme der Petschenegen und Polowzer. 

Putin sagte: „Liebe Freunde! Alles vergeht und auch dies wird vergehen. Unser Land hat schon häufig schwere Prüfungen gemeistert. Russland wurde von den Petschenegen und Polowzern heimgesucht. Wir haben es überstanden. Wir werden auch die Geißel Coronavirus besiegen. Gemeinsam werden wir es schaffen!“

Vielen Russen und erst recht Ausländer dürften nicht verstanden haben, worüber Putin sprach. Wer waren die Petschenegen und die Polowzer und was haben Sie mit dem Coronavirus zu tun? 

Das sind die Hintergründe  

Die Petschenegen und Polowzer (oft auch als Kumanen bezeichnet) waren zwei große Turkvölker. Diese Nomadenstämme zogen zwischen dem 8. und 13. Jahrhundert in der Schwarzmeersteppe und weiter östlich umher. Sie hatten keine Schriftsprache, daher gibt es nicht viele Informationen über sie. 

Historiker, die ihr Wissen über diese beiden Völker aus den russischen Chroniken haben, sagen, dass die beiden Nomadenstämme den Russen nicht ausschließlich feindselig gesonnen waren.

„Krieg und Frieden zwischen den russischen Fürsten und den Polowzern wechselten sich in ziemlich regelmäßiger Reihenfolge ab“, sagte der Historiker Fjodor Uspenski in einem Interview mit „Medusa“. 

„Nach der Schlacht des Fürsten Igor mit Polowzer“ von Wiktor Wasnezow

Dennoch bereiteten diese beiden Stämme den Russen durchaus Kopfzerbrechen. 

Die Petschenegen belagerten zum Beispiel im Jahr 1036 Kiew, die Hauptstadt der Kiewer Rus. Dies war nur eine der vielen blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Russen und den Nomaden. 

Dennoch gingen die russischen Fürsten und diese Turkvölker von Zeit zu Zeit Bündnisse ein und arrangierten dynastische Ehen. Uspenski erklärt, dass die russischen Fürsten sich nicht immer an die Vereinbarungen mit den Petschenegen oder Polowzern gehalten hätten. Die Nomaden waren keine Christen und es galt damals weder als Sünde noch als ehrlos, ein Bündnis mit Heiden zu brechen. 

Die Polowzer gingen im 13. Jahrhundert infolge der mongolischen Invasion in Osteuropa unter. 

Nun stellten sich viele Menschen die Frage, warum der russische Präsident ausgerechnet diese beiden Nomadenstämme zu einem Vergleich mit der aktuellen Coronavirus-Pandemie herangezogen hat. Denn deren Auswirkungen auf die Russen waren nicht annähernd so schwerwiegend wie beispielsweise die mongolische Invasion oder der Kampf gegen die Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg. 

Fjodor Uspenski hat eine Vermutung: „Ich denke, als Putin über die Herausforderungen sprach, die Russland in der Vergangenheit bewältigt hat, bezog er sich vor allem auf die tatarisch-mongolische Invasion. 

Doch aus Gründen der politischen Korrektheit wollte er in der aktuellen Situation weder die Tataren oder zum Beispiel die Polen beleidigen, also nannte er zwei Völker, die nicht mehr existieren.“ 

„Tod des Fürsten Swjatoslaw Igorewitsch in der Schlacht mit Petschenegen“

Russische Medien wiesen darauf hin, dass Putin sich wohl an einer Verteidigungsrede des bekannten russischen Rechtsanwalts Fjodor Plewako orientiert habe. Dieser vertrat einmal eine Seniorin, die beschuldigt wurde, eine Teekanne gestohlen zu haben. Sie wurde nach Plewakos überzeugendem Plädoyer freigesprochen: „Russland musste in mehr als tausend Jahren des Bestehens viele Probleme und Herausforderungen bewältigen. Die Petschenegen quälten das Land, die Polowzer, die Tataren und die Polen. Zwölf Sprachen kamen über das Land, Moskau wurde erobert. Russland hat all das ertragen und überwunden und ging gestärkt aus diesen Krisen hervor. Doch nun hat diese alte Frau eine Teekanne im Wert von 30 Kopeken gestohlen. Das wird Russland natürlich nicht verkraften können und unwiderruflich zugrunde gehen…“

Bevor er zum KGB ging, studierte der russische Präsident Wladimir Putin Rechtswissenschaften an der Staatlichen Universität Leningrad und machte 1975 seinen Abschluss. Vielleicht hat er diese Anekdote aus dem Gerichtssaal damals kennengelernt. 

Er hat sie in der Vergangenheit schon zweimal bemüht: Im Jahr 2010, als in Russland Waldbrände wüteten, und im Jahr 2013, als er mit dem Finanzminister über die Unterstützung für russische Animationsfilmstudios diskutierte.

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