Dieser Typ „kuriert“ die Probleme der Frauen... mit SEX

Olga Virich
Ansol bietet neben anderen psychologischen „Heilmitteln“ Frauen an, für Geld mit ihnen zu schlafen. Aber bezichtigen Sie ihn nicht vorschnell der Prostitution! Warnung: Dieser Artikel enthält Inhalte, die nur für Erwachsene geeignet sind.

„Die Menschen und die Medien machen aus mir einen Freak. Niemand interessiert sich dafür, was ich tue. Manchmal verbringe ich eine ganze Stunde damit, zu erklären, wie sich meine Arbeit von der Prostitution unterscheidet. Niemand weiß, dass ich verheiratet war und als ,tätowierter Freakʻ ein Kind großgezogen habe. Alle dachten, ich sei ein Alkoholiker und drogenabhängig“, erklärt Ansol.

Wir unterhalten uns in der gemütlichen Küche einer kleinen Wohnung in Moskau. Ansol weigerte sich, sein Alter zu nennen, spricht weder über seine Kindheit noch über seine erste Freundin. Er erwähnte, dass er in zwei Städten – Moskau und St. Petersburg – lebt und 17 Jahre lang in einem Maniküre-Studio gearbeitet hat. Wir werden nicht erfahren, warum Ansol diesen Beruf gewählt, welche Hochschule er abgeschlossen und ob er überhaupt studiert hat.

Für ihn ist wichtiger, wer er heute ist. Er bezeichnet sich selbst als Praktiker für sexuellen Austausch oder Ersatzpartner beim Geschlechtsverkehr – eine Person, die dazu beiträgt, Schwierigkeiten und Herausforderungen auf dem Gebiet des Sex durch Praktiken zu lösen, die sowohl Gespräche als auch sexuelle Interaktion einschließen.

In Russland gibt es offiziell keine „Ersatzpartnerschaft“, dabei haben viele Russen Probleme mit dem Sex. Laut einer Umfrage von Gesundheit Mail.ru für das Jahr 2017, in dem 15.000 Menschen das Portal besuchten, leidet die Hälfte von ihnen an zu wenig Geschlechtsverkehr und 13 % von ihnen hatten überhaupt keinen Sex. Gleichzeitig waren 36 % der Befragten mit der Qualität ihres Intimlebens unzufrieden und die Hälfte von ihnen zog es vor, die Probleme beim Sex nicht mit ihrem Partner zu diskutieren.

Entwicklung einer Ersatzpartnerschaft

„Meine Eltern und ich haben nie über Sex gesprochen. Ich bin also ein Autodidakt – mein Wissen über Sex habe ich aus Porno-Spielkarten und unter der Hand verbreiteten  Sex-Geschichten. Die Art von Porno, die damals gerade in Russland auftauchte, wurde für mich zu einem Lehrbuch über die Vielfalt der Stellungen, und das Gespür habe ich mir selbst erworben“, erzählt Ansol.

Er hatte 15 Jahre lang traditionelle Beziehungen mit vier verschiedenen Frauen. Es sei nicht so gewesen, dass ihm diese Beziehungen nicht gefallen hätten, aber die Moralprinzipien haben ihn frustrierten.

„Sobald ich einmal Sex mit jemanden hatte, setzte ich mich einer Million Verpflichtungen aus, die ich gar nicht eingehen wollte“, sagt Ansol.

Nach seiner letzten monogamen Beziehung, die in einer lang anhaltenden Depression endete, beschloss er, dass er so viele Partner haben werden würde, wie er wollte. „Ich überlege mir jeden Tag, mit vielen Frauen ich Sex haben will. Das kann eine Frau sein, aber auch fünf oder acht für eine Weile oder sogar gar keine. Es ist nämlich so, dass meine Monogamie meine bewusste Wahl ist und nicht ein aufgezwungenes Verhaltensmodell“, erklärt Ansol.

Irgendwann einmal landete er auf seiner ersten Sexparty – eine Freundin nahm ihn mit auf eine Kinky Party. Dort traf er mit den Organisatoren zusammen und begann bald in dem Club zu arbeiten – er prüfte den Dresscode der Gäste und kontrollierte den Auf- und Abbau der Kulissen. Nachdem er in dieser Community an Popularität gewonnen hatte, begann er, Yoni-Massagen (intravaginale Massagen) durchzuführen, Vorträge über Shibari (auch als Japan-Bondage bekannt) und verschiedene andere sexuelle Praktiken zu halten.

Ansol kann sich nicht mehr erinnern, wann genau er zum Ersatzpartner wurde – eines Tages begriff er, dass er schon immer einer war.

„Die Frauen kamen oft zu mir, um Sex mit mir zu haben, aber schließlich wurde unser Kontakt therapeutisch. So erkannte eine von ihnen zum Beispiel, dass sie nicht frigide war und dass alles bei ihr ,funktionierteʻ. Eine andere hatte den ersten Orgasmus ihres Lebens“, erzählt Ansol.

Er fühlte sich manchmal, wenn die Frauen gingen, vollkommen ausgelaugt, weil er so viel emotionale Energie und Zeit auf die „Behandlung“ verwendet hatte.

„Dann trennte ich mein Privatleben von diesen Praktiken und fing an, Geld für [die Therapiesitzungen] zu nehmen wie für eine normale Dienstleistung“, erklärt er. Die Zeit in Ansols Gesellschaft zu verbringen  kostet 2.000 Rubel (25 Euro) pro Stunde. Jede Sitzung dauert bis zu etwa 4 Stunden.

Therapie und Nebenwirkungen

Stellen Sie sich vor, Sie kommen zu Besuch zu jemandem, den Sie nicht kennen. Sie werden von einem Mann empfangen, der Ruhe und Zuversicht ausstrahlt. Beim Tee erzählen Sie ihm über Ihre Sex-Probleme. Alkohol ist dabei streng verboten. Vielleicht sind Sie zu schüchtern, Ihren Nächsten davon zu erzählen. Möglicherweise gefällt es Ihnen sogar, sich jemandem mitzuteilen, den Sie nicht kennen. Vielleicht haben Sie es nicht bemerkt, aber die „Therapie“ hat bereits begonnen.

„Sie kommen zu mir, wenn Psychologen und Sexologen nicht mehr weiterhelfen. Ich habe kein eigenes Programm, ich garantiere nicht für das Ergebnis, veranstalte keine ,Rabattaktionenʻ und versuche auch nicht, Sie mit aller Gewalt als Kunden zu halten. Sie sagen mir innerhalb von anderthalb Stunden, was Sie wollen. Dann entscheiden wir, was Sie brauchen und wie ich Ihnen helfen kann – ich kann mich einfach zu Ihnen legen, ich kann Sex mit Ihnen haben, ich kann Sie massieren. Oder beantworte nur Ihre Fragen zum Thema Sex – manchmal reicht das schon“, erläutert Ansol seinen Arbeitsprozess.

Der Sex sei notwendig, wenn der Klient etwas Neues lernen oder ein neues Verhaltensmodell im Bett praktizieren möchte. Die meisten Kundinnen klagen über ausbleibenden Orgasmus oder Schmerzen beim Sex. Es sei weniger wahrscheinlich, dass sie ihr erstes sexuelles Erlebnis haben wollen. Es gebe aber auch Kundinnen, die lernen möchten, wie man sexuell erregten Männern Intimität verweigert.

„Nicht jede kann nein sagen, weil die Gesellschaft in Russland ein bestimmtes Verhaltensmodell auferlegt. Es heißt, dass eine Frau immer Sex mit ihrem Partner haben sollte und so weiter. Nun, Männer versuchen oft auch, Frauen ,herumuzukriegenʻ. Aber Sex durch Überreden ist kaum das, was eine Frau wirklich will“, ist Ansol sich sicher.

Die meisten Kunden sind Frauen, seltener Paare, aber auch bei den Paaren werden die Probleme meist von den Frauen vorgebracht.
Werbung muss Ansol nicht schalten – die Mundpropaganda reicht aus.

Emotionen als Geschenk und „Legalisierung“ von Sex

„Ich bin immer sehr schnell beim Sex. Wenn wir danach Tee trinken und plaudern, werde ich von meiner Tochter abgelenkt – entweder muss ich ihr Tee zubereiten oder einen Trickfilm einschalten“, schreibt Maria Tschesnokowa, eine beliebte russische Sex-Bloggerin, die eine Therapie mit Ansol erlebt hat, auf ihrem Kanal bei Telegram.

„Er sagte mir: Ich habe herausgefunden, worum du es so eilig hast. Wegen deiner Tochter. Du bist ständig auf Abruf. Und selbst wenn du zu einer Verabredung gehst und sie nicht in der Nähe ist, spürst du den Zeitdruck, denn du weißt, dass du pünktlich zu Hause sein musst, wenn das Kindermädchen geht, und du willst möglichst alles aus dieser Zeit herausholen“. Ihr zufolge erwies sich diese Erklärung als Volltreffer und nun lernt Maria, sich Zeit zu lassen.

Ansol nennt die Konzentration auf den Partner und nicht auf sich selbst als Hauptgrund für die Probleme beim Sex mit russischen Frauen. „Niemand wird normalen Sex haben, wenn er nicht an sein eigenes Vergnügen denkt“, glaubt Ansol.

In Russland seien Ersatzpartnerschaften notwendig, aber Sex sei in dem Land immer noch ein Tabu, ist sich Ansol sicher.

„Wir reden immer noch über Sex als etwas Schmutziges, Sündhaftes, etwas, von dem man eine ansteckende Krankheit bekommen kann. Klar, dass die Menschen Probleme mit dem Sex haben“, erklärt Ansol. „Über Sex sollte man nicht nur in Bezug auf die Vermeidung von Geschlechtskrankheiten sprechen, sondern auch erklären, dass es ein angenehmer Vorgang ist, wenn man es nur richtig anstellt.“

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