Eltern, die mit ihren Kindern gerne ein Sixpack genießen; schwangere Frauen, die sich an öffentlichen Orten an dem Gerstensaft laben und Autofahrer, die sich vor Fahrtantritt ein paar Gläser gönnen - so haben sich viele Ausländer sicher das Russland der Vergangenheit vorgestellt, als sie herausfanden, dass Bier hier vermeintlich erst seit 2011 als alkoholisches Getränk gilt.
Die Wahrheit ist jedoch etwas vielschichtiger und komplizierter, als es auf den ersten Blick erscheint: Es stimmt, die russische Regierung hat Bier erst 2011 als alkoholisches Getränk deklariert. Es ist aber nicht zutreffend, dass die Russen vorher Bier als ein alkoholfreies Getränk ansahen.
Bis 2011 galt Bier mit einem Alkoholgehalt von weniger als zehn Prozent in Russland als Lebensmittel und sein Verkauf wurde als solches geregelt. Der Grund für diese Auslegung waren internationale Handelsabkommen, an die sich Russland gebunden fühlte.
Das sogenannte Nizza-Abkommen stufte starke alkoholische Getränke einerseits und Bier anderseits in zwei getrennte Warengruppen ein. Obwohl die Spirituosenhersteller aus Gründen eines fairen Wettbewerbs die russische Regierung dazu drängten, Bier als Alkohol zu klassifizieren, ging diese nicht auf diese Forderung ein.
In jener Zeit wurde Bier in Russland rund um die Uhr an Verkaufsständen und Kiosken verkauft. Es war üblich, Menschen an öffentlichen Orten und auf der Straße Bier trinken zu sehen. Von den Herstellern wurde es als gesündere Alternative zu hochprozentigen Spirituosen vermarktet.
Alles änderte sich jedoch 2011, als der damalige Präsident Dmitri Medwedew ein Gesetz unterzeichnete, das Bier als Alkohol einstufte.
Auch weitere weitreichende Einschnitte fanden statt: Den Menschen wurde verboten, auf Straßen und in Parks Bier zu trinken. Einzelunternehmer verloren die Lizenz, Bier an Verkaufsständen und Kiosken zu vertreiben. Der Handel mit Bier in der Nähe von Bildungs- und Sporteinrichtungen für Kinder wie Schulen und Kindergärten sowie in der Nähe von Bushaltestellen wurde als illegal erklärt. Außen- und Fernsehwerbung wurden eingeschränkt.
Vielleicht am wichtigsten war jedoch, dass die Geschäfte das Recht verloren, Bier im Zeitraum zwischen 23:00 Uhr abends und 8 Uhr morgens zu verkaufen. Diese Maßnahmen zielten darauf ab, dem wachsenden Alkoholkonsum in Russland entgegenzuwirken.
Was die Russen betrifft, so waren sie sich natürlich bewusst darüber, dass Bier Alkohol enthielt, noch bevor das neue Gesetz im Jahr 2011 in Kraft trat. Das Fahren unter Alkoholeinfluss, einschließlich Bier, war schon immer illegal. Schwangere Frauen wurden auch schon vor den neuen Regelungen über die negativen Auswirkungen von Bier informiert. Und Jugendliche unter 18 Jahren konnten Bier nicht frei in Geschäften kaufen.
Gleichzeitig ist die Wirkung des Gesetzes nicht zu unterschätzen. Heute ist es selten geworden, dass jemand auf der Straße oder an anderen öffentlichen Orten Bier trinkt. Die Polizei würde in so einem Fall höchstwahrscheinlich eingreifen.