„Ich bin nicht perfekt und mache, wie jeder Mensch, Fehler. Und wir sind leider alle Sünder. Es ist mein Fehler und ich kann mir nur selbst die Schuld geben“, sagt der Kapitän der russischen Fußballnationalmannschaft Artjom Dsjuba in einer Videobotschaft.
Diese musste er aufnehmen, nachdem in der Nacht zum 8. November in mehreren Kanälen auf Telegram und Twitter, die sich auf das Leaken intimer Fotos und Videos von Prominenten spezialisiert haben, ein Video mit Dsjuba erschienen war. Der Clip, den der Fußballer selbst aufgenommen hat, zeigt ihn beim Masturbieren. Es ist nicht klar, wer das Video zuerst veröffentlichte. Einige Tage zuvor war nach Angaben des Portals Baza das Telefon des Spielers gehackt worden. Er löschte zwar den Speicher, aber das half nicht. Die Hacker schickten ihm keine Forderungen und veröffentlichten das Video sofort.
Die für Dsjuba ärgerliche Episode hätte ein weiterer Leak von „Nudes“ Prominenter bleiben können, hatte aber viel größere und umstrittene Folgen.
Am selben Tag fand ein Spiel der St. Petersburger Mannschaft Zenit gegen Krasnodar statt, bei dem Dsjuba als Kapitän antreten sollte. Doch vor dem Spiel wurde ihm die Kapitänsbinde abgenommen.
„Das Privatleben sollte nicht öffentlich bekannt werden oder zur Diskussion stehen“, erklärte der Generaldirektor des Fußballclubs, Alexander Medwedew, der nichtsdestotrotz eine Sanktion gegen seinen Fußballspieler verhängte.
Am selben Tag verbannte der Cheftrainer der Nationalmannschaft, Stanislaw Tschertschessow, den Stürmer für alle Novemberspiele aus der Mannschaft. „Wir haben immer betont, dass sowohl auf dem Spielfeld, als auch außerhalb des Platzes alle Spieler dem Niveau und dem Ansehen der Nationalmannschaft zu entsprechen haben“, kommentierte Tschertschessow. Er sagte, die Entscheidung sei getroffen worden, um „sowohl die Mannschaft, als auch den Spieler vor einem unnötigen negativen Image und Spannung zu schützen“.
Dieser Entschluss wurde auch vom russischen Fußballverband unterstützt, der der Ansicht war, die Suspendierung sei wahrscheinlich „zum Besten" gewesen. „Viele sagten, dass er müde und nicht in guter Form sei. Jetzt ist es Zeit für einen Neustart. Ich kann nicht abschätzen, ob er in die Nationalmannschaft zurückkehren wird“, sagte Andrej Sosin, Mitglied der Ethikkommission.
Für Dsjuba sei die Partie gegen Krasnodar, nach eigenen Worten, die schwierigste in seiner Karriere gewesen. „Ich war eine Zeit lang in der Hölle und konnte meine Emotionen deshalb nicht einmal auf dem Rückweg im Auto unterdrücken“, berichtete er danach.
Im Internet verstand man die Sanktionen gegen den Spieler jedoch nicht. Zu seiner Unterstützung wurde eine Medienkampagne lanciert, im Rahmen derer sich Medienmanager, Fernsehmoderatoren, Schriftsteller und andere Persönlichkeiten äußerten.
„Es ist eine ekelhafte Geschichte mit Dsjuba. Nicht wegen dem, was Dsjuba getan hat (was hat er eigentlich getan?), sondern wegen dem, was ihm angetan wurde. Ich bin jemand, der in seinen Videos noch nie Intimität gefilmt hat, bin aber nichtdestotrotz schockiert, dass Dsjuba ein Intimleben unterstellt wird, das er absolut nicht der Öffentlichkeit preiszugeben gedachte. Ach, ihr Heuchler“, schrieb Margarita Simonjan, Chefredakteurin von RT, an Telegram.
Die ehemalige Präsidentschaftskandidatin und Fernsehmoderatorin Ksenia Sobtschak erinnerte an den Fall des New Yorkers Jeffrey Toobin, der im Oktober 2020 bei einem Zoom-Call mit Kollegen ebenfalls wegen Masturbation suspendiert wurde. „Vor nicht allzu langer Zeit diskutierten wir in #Gently News, dass The New Yorker (die legendäre amerikanische Zeitung) einen der größten Journalisten wegen Wichsens in Zoom suspendierte, nachdem dessen Redaktion vergessen hatte, den Bildschirm auszuschalten. Er wurde mit der Formulierung „Die Redaktion wird eine Untersuchung durchführen“ von seinen Verpflichtungen freigestellt. Es schien nicht so, als würde solch ein Unsinn auch bei uns Einzug halten. Aber plötzlich wird beschlossen, einen talentierten Sportler für ein persönliches Video zu bestrafen“, schrieb Sobtschak bei Instagram und verglich die „neuen ethischen Standards“ mit denen der UdSSR, wo man auf Parteiversammlungen wegen „unanständigen Verhaltens“ gerügt werden konnte.
An das Recht auf Privatsphäre erinnerte die Chefproduzentin des föderalen Senders Match TV Tina Kandelaki: „Ich möchte noch einmal das Tüpfelchen auf das ,i‘ setzen: Artjom Dsjuba trägt keine Schuld. Er hat nicht die Aufnahme einer Party mit Champagner zu 500 Dollar pro Flasche in Auftrag gegeben, er hat keine Umkleidekabine zertrümmert und nicht die Achillessehne eines Gegners mit einer Blutgrätsche zerfetzt. Respekt vor der Privatsphäre eines anderen heißt, nicht über diese Privatsphäre zu diskutieren, selbst wenn man den Clip, Artikel oder Beitrag selbst auf Telegram sieht“, sagte sie und bemerkte, dass dies im Idealfall für Artjom natürlich keinerlei Konsequenzen haben dürfe.
Der Vorfall erregte jedoch in den sozialen Netzwerken sehr große Aufmerksamkeit und löste eine Welle von Memen und humorvollen Tweets sowie eine Kampagne unter dem Hashtag #YamyDsjuba (Ich/Wir sind Dsjuba) aus – dort begannen russische Prominente, ihre eigenen Nacktfotos zu posten.
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