Dom-2: Die weltweit längste und im russischen TV erfolgreichste Reality-Show macht dicht

TNT, 2020
Die russische Reality-TV-Show „Dom-2“ („Haus-2“) lief mehr als 16 Jahre. Was hat die Zuschauer daran fasziniert und warum wurde die Sendung abgesetzt?

Am 30. Dezember 2020 zeigte der Fernsehsender „TNT“ die letzte Folge der beliebten russischen Fernsehsendung „Dom-2“. Im Kommentarbereich der offiziellen Community schickten die Zuschauer tränenreiche Smileys mit dem Motto der Show: „Wir sind glücklich!“ Viele hofften, dass das Projekt nicht eingestellt würde, sondern nur auf einen anderen Kanal wechselte. 

Die erste Folge wurde 2003 ausgestrahlt. Das Format wurde von „Under Construction“ übernommen, einer Show der britischen Firma Zeal Entertainment, in der verheiratete Paare drei Monate lang beim Bau eines Hauses begleitet wurden.

Bei der nächsten „Dom“-Staffel ab Mai 2004 nahmen statt verheirateter Paare Singles teil, die hofften, beim Hausbau auch ihre zukünftige bessere Hälfte zu finden. Sie lebten in einem Raum, nahmen an Wettbewerben teil, mussten Sketche aufführen und jeden Abend gab es am Lagerfeuer Gespräche. Den Zuschauern gefiel das: laut dem Forschungsunternehmen Midiascope sahen 2005 etwa 2,5 Millionen Menschen (rus) die Show.

Während der gesamten Laufzeit brachte „Dom-2“ etwa 30 Ehepaare und 14 Kinder hervor, berichtete (rus) „Interfax“ unter Berufung auf den „TNT“-Pressedienst. Das Projekt hatte eine eigene Zeitschrift und die ersten Teilnehmer gaben Konzerte im Moskauer Olympiastadion, dem größten Sportkomplex Russlands.

Die Show lief nicht ohne Skandale und Pannen ab. Es gab explizite Sexszenen, lautstarke Auseinandersetzungen und Kämpfe auch zwischen Männern und Frauen. Mehrfach hatte es Bemühungen gegeben, die Sendung verbieten zu lassen. Nach einem Gerichtsurteil (rus) wurde sie ein ganzes Jahr lang (2009 bis 2010) nur nachts ausgestrahlt, kehrte aber später auf einen Sendeplatz am Tag zurück. 

Ein Teil des Lebens  

Trotzdem war das Publikum fasziniert und viele blieben der Sendung die ganzen 16 Jahre ihrer Ausstrahlung treu. „Für mich persönlich war es interessant, die Charaktere der Teilnehmer zu beobachten und mitzuerleben, welche Tiefen sie ausloteten. Ich fragte mich, ob ich auch an solch einer Show teilnehmen könnte und kam zum Ergebnis, dass es nichts für mich wäre. Und auch meinen Kindern hätte ich es nicht erlaubt. Dennoch wurde die Sendung zu einem Teil meines Lebens“, berichtet die Zuschauerin Tamara Tomina. 

Ein weiterer Fan des Projekts, Elena Solnzewa, beschreibt „Dom-2“ als Heilmittel gegen Einsamkeit. „Nichts in meinem Leben ist so schön oder interessant oder bunt. Ich bin eine Hausfrau. Ich schaute jeden Tag ‚Dom-2‘ und fühlte mich weniger gelangweilt und einsam. Jetzt muss ich mich daran gewöhnen, ohne diese Leute zu leben, die für mich wie eine Familie waren“, erzählt sie. 

Ortswechsel und sinkende Einschaltquoten 

Laut einem der ersten Kandidaten, Roman Tretjakow, war alles authentisch, auch die Auseinandersetzungen. Die Zuschauer fühlten dies und es zog sie tiefer in den Bann: „Die Suche nach Beziehungen, Liebe und allem, was dazu gehört, ist ein endloses Shakespeare-Thema, von dem man sich nicht losreißen kann. Sicher, die Produzenten bringen die Teilnehmer in unterschiedliche Situationen und zwingen sie, sich selbst und ihre Interessen und Werte zu verteidigen. Es sah alles nach einem gut vorbereiteten Drehbuch aus, doch alle Teilnehmer waren authentisch und kreativ. Es war wirklich interessant zu sehen“, so Roman.  

Verschiedene Wettbewerbe und neue Standorte trugen ebenfalls dazu bei, die Zuschauerzahlen zu halten: Autos, Ausflüge, Apartments am Meer und Geldpreise winkten den Gewinnern. Einige Teilnehmer lebten in schicken Häusern oder Stadtwohnungen, andere drehten auf den Seychellen.

„Die Einführung neuer Standorte verschärfte den Wettbewerb, da die Teilnehmer jedes Mal, wenn sie mit neuen Bedingungen konfrontiert waren, erneut beweisen mussten, dass ihre Beziehung aufrichtig war. Sie mussten sich mehr Herausforderungen stellen.  All dies hat das Interesse der Zuschauer noch mehr geweckt“, meint Tretjakow. 

Er glaubt sogar, dass „Dom-2“ einen neuen gesellschaftlichen Klebstoff eingeführt habe: „Neben dem Glauben an Gott und der Verteidigung des Mutterlandes stellte sich heraus, dass dieser ‚Klebstoff‘ die Liebe ist“. 

„In den ersten zwei bis drei Jahren gab es wirklich viel Positives zu sehen: Menschen, die nach Liebe suchten. Mittlerweile mache ich viel Stand-up-Auftritte, ich reise durch Russland und die Kandidaten und Szenen sind noch immer in den Köpfen der Menschen präsent. Sie lieben es, in diese Erinnerungen an Jugend oder Kindheit einzutauchen. Die meisten Menschen haben angenehme Erinnerungen an mich, sie erinnern sich mit Wärme und Liebe, darauf bin ich sehr stolz“, sagt Tretjakow.

Im Laufe der Jahre sind die Einschaltquoten der Sendung jedoch stark gesunken, und laut Alexander Scharow, Leiter von Gazprom Media, ist sie wirtschaftlich nicht mehr rentabel.

„Sicher, es war anfangs ein sehr beliebtes Format. Doch in den letzten Jahren hat es Zuschauer verloren. In den letzten zwei Jahren ist es unrentabel geworden“, sagte (rus) Scharow gegenüber dem Nachrichtensender „Russia 24“. Seiner Ansicht nach ist das Projekt zu teuer und verlustbringend, und die Versuche von „TNT“, das Format zu ändern, sind bisher gescheitert. 

Der Generaldirektor des „Dom-2“-Projekts, Alexander Rastorgujew, sagte wiederum, dass die Show nicht abgesetzt, sondern auf einem anderen, noch nicht bekannten Kanal, wechseln würde. „Es endet nicht ganz, sondern nur auf ‚TNT‘. Mehr sage ich dazu nicht. Sie werden es selbst im Fernsehen erleben“, erklärte (rus) Rastorgujew. 

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!