Warum haben die Russen im Januar ganze elf Tage frei?

Lifestyle
ALEXANDRA GUSEWA
Nach Neujahr haben die Russen acht bis elf Tage frei, an denen sie weiter feiern, spazieren gehen oder einfach nur auf dem Sofa liegen und Filme schauen können. Diese Zeit ist den Russen heilig. Manchem fällt es danach schwer, wieder in den gewohnten Arbeits- oder Schulrhythmus zurückzufinden.

Stellen Sie sich die folgende Situation vor: ein russischer Minister schlägt vor, die langen Neujahrsferien abzuschaffen, um die Produktivität des Landes zu steigern. Das macht ihn sofort zur am meisten gehassten Person im Land, und viele Russen, selbst diejenigen, die sich sonst mit allen Gesetzen und Beschränkungen der Regierung abfinden, beginnen massive Unruhen, um ihr Recht auf die Neujahrsferien zu verteidigen.

Dies ist die Handlung der neuesten russischen Neujahrsserie „Der letzte Minister“. Allzu weit von der Realität entfernt ist der Plot nicht. Initiativen zur Reduzierung der Neujahrsferientage, die die Wirtschaft des Landes immer stark belasten, gibt es jedes Jahr (rus), doch immer ohne Erfolgsaussichten. Sogar Präsident Wladimir Putin schlug im Februar 2012 (als er Premierminister war) vor, mindestens einige Feiertage von Januar auf Mai zu übertragen (rus) - aber nichts passierte. 

Die langen Neujahrsferien sind eine relativ junge Tradition. Es gibt sie erst seit 2004. Für die Russen wurde sie jedoch schnell zu einer heiligen Kuh. Nach einem langen Jahr harter Arbeit, dem Wahnsinn der Festvorbereitungen und dem emotionalen Burnout… verdienen die Menschen einfach die Zeit, sich zu entspannen und Zeit mit der Familie zu verbringen. Zumindest funktionierte die Logik des Gesetzgebers so - und die Russen stimmten dem voll und ganz zu.

Wie kam es zu diesen langen Ferien? 

Das neue Jahr wurde erst seit Stalins Zeiten gefeiert. Vor der Revolution von 1917 feierten die Russen wie die Katholiken am 25. Dezember orthodoxe Weihnachten. Dann wechselten die Bolschewiki zum gregorianischen Kalender und alle Daten wurden um 13 Tage verschoben. Das orthodoxe Weihnachtsfest fiel auf den 7. Januar. Doch weil die UdSSR ein atheistischer Staat war, wurden alle Feierlichkeiten untersagt.  

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Nicht alle winterlichen Traditionen wurden aufgegeben. Stalin hat den Weihnachtsbaum wiederbelebt, aber in Neujahrsbaum umbenannt. Die Ferien waren vor allem für die Kinder gedacht, die sich verkleideten und Geschenke erhielten.

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Um den sowjetischen Arbeitern nach dem mörderischen und erschöpfenden Zweiten Weltkrieg etwas mehr Ruhe zu gönnen, machten die Behörden den 1. Januar 1947 zum gesetzlichen Feiertag. Am nächsten Tag, dem 2. Januar, sollten jedoch alle zur Arbeit zurückkehren. Nur die Kinder durften zu dieser Zeit eine Woche Winterurlaub genießen.

Während der Perestroika 1991 wurde das orthodoxe Weihnachtsfest am 7. Januar ebenfalls zum Staatsfeiertag erklärt. 1992 wurde auch der 2. Januar in die Liste der Feiertage aufgenommen. Ende 2004 erhielten die Russen volle fünf Ruhetage. Die Initiative wurde von einer Gruppe von Abgeordneten der Staatsduma verschiedener Parteien ins Leben gerufen, die erklärten, so hätten Eltern mehr Zeit für ihre Kinder, was die Familien stärken würde. 

Fünf Tage enthielten unweigerlich ein Wochenende oder waren direkt damit verbunden, und der 7. Januar (ein anderer Staatsfeiertag, wie oben erwähnt) war nicht zu weit entfernt… Ein  Staatsfeiertag an einem Wochenende wurde als unfair betrachtet. Also entstand die Praxis, einen solchen auf ein Wochenende fallenden Feiertag am darauffolgenden Montag oder einem anderen Tag nachzuholen. 

So wurden aus fünf Ruhetagen häufig acht, zehn oder sogar elf Tage Erholungszeit. Diese perfekte Kombination aus Wochenenden und Feiertagen mit elf freien Tagen in Folge gab es 2015. 

Schließlich beschlossen die Behörden 2012 (genau in dem Jahr, in dem Putin vorschlug, die Neujahrsferien zu kürzen!), sich nicht auf den Zufall zu verlassen, sondern gleich den 1. bis 8. Januar zu offiziellen Feiertagen zu machen, egal was passiert. Wenn ihnen zufällig ein Wochenende folgt - wie es 2020 geschah - dann soll es so sein. Darüber hinaus wurde der 31. Dezember im Jahr 2020 zum arbeitsfreien Tag erklärt.

Was bedeuten die Feiertage für die Menschen und für das Land? 

Laut dem russischen Forschungszentrum für öffentliche Meinung (WZIOM) hielten Anfang 2020 bis zu 51 Prozent (rus) der Russen die langen Ferien für eine gute Idee. Altersgruppen, die dies am meisten befürworteten, waren junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren (75% von ihnen sprachen sich positiv für die langen Januarferien aus) und 25 bis 34 Jahren (66%).

33 Prozent der Menschen waren jedoch mit den langen Ferien nicht einverstanden. Und ungefähr drei Prozent der Befragten befürworteten die Idee zwar im Allgemeinen, schlugen jedoch vor, die Tage auf den Monat Mai zu verschieben.

Zu Beginn des Jahres 2020 errechneten (rus) Experten, dass jeder Tag der Feiertage Russland 120 bis 150 Milliarden Rubel (ca. 1,3 bis 1,6 Milliarden Euro) kostet, was ungefähr einer Billion Rubel (ca. 13,3 Milliarden Euro) für den gesamten Zeitraum entspricht.

Die Produktivität in Fabriken und Werken während dieser Winterferien sinkt um etwa 15 bis 20 Prozent, gleichzeitig steigt die Nachfrage im Einzelhandel um 30 bis 50 Prozent. Geschäfte, Theater, Kinos und Cafés sind weiterhin in Betrieb. Die Menschen geben mehr Geld beim Einkauf und für Unterhaltungsangebote aus. 

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