Wie Hochzeiten und Scheidungen in Russland ablaufen

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Gespräche mit einem Priester, das Sakrament der Kommunion, Fasten und obligatorische Spenden sind nur ein kleiner Teil dessen, was nötig ist, um sich in einer russischen Kirche trauen zu lassen. Und es ist fast unmöglich, eine kirchliche Trauung zu annullieren.

Eine junge Frau in einem weißen Kleid und einem langen durchscheinenden Schleier sowie ein junger Mann in einem schwarzen Anzug stehen in der Mitte der Kirche mit einer Kerze in der Hand. Der Priester in weißem Gewand liest Gebete, die Trauzeugen halten rote, vergoldete Kronen über das Paar.

„Das ist meine zweite Ehe – ich habe mit meinem Sohn [aus meiner ersten Ehe] im Arm einen Jugendfreund geheiratet. Wir wollten unbedingt Kinder, aber die Ärzte teilten mir mit, ich könne nicht mehr gebären. In einer Kirche riet man uns, erst zu heiraten, bevor wir Gott um ein Kind bitten. Die Wunder begannen in unserer Familie, gleich nachdem wir uns entschieden hatten, uns trauen zu lassen. Und so ist es bis heute“, erinnert sich die 36-jährige Raisa Posdnjakowa. Nach ihren Worten war es dank der Trauung und den Gebeten möglich, noch zwei weitere Söhne zu gebären.

Im Gegensatz zu Raisa glaubt nicht jeder an die Notwendigkeit der Ehe – es gibt in Russland keine offiziellen Statistiken über die Zahl der verheirateten Paare, aber 48 % der Russen lehnen jede Initiative zur Einführung einer obligatorischen kirchlichen Trauung ab. Gleichzeitig sinkt auch die Zahl der Eheschließungen im Land. Laut einer Statistik von Rosstat für das Jahr 2020 kommen in Russland auf 770.000 Ehen 564.000 Scheidungen, und mehr als die Hälfte der Ehen brechen auseinander, berichteteRIA Novosti unter Berufung auf russisch-orthodoxe Priester.

Wie läuft dieses an Popularität verlierende Ritual, wer darf auf keinem Fall trauen lassen und wie wird man „enttraut“, wenn die Ehe in einer Scheidung endet?

Zulassung zur Hochzeit und Vorbereitung darauf

Im Jahr 2017 veröffentlichte die Moskauer Diözese der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK) auf ihrer Website das Dokument Über kanonische Aspekte der kirchlichen Ehe, das eine Reihe von Verordnungen über die Zulassung und Auflösung von kirchlichen Ehen enthält. Demnach dürfen in Russland nur heterosexuelle Paare heiraten, die auf dem Standesamt eine offizielle Ehe geschlossen haben. Die Russisch-Orthodoxe Kirche erkennt eine nicht registrierte Lebensgemeinschaft nicht an. Die einzigen Ausnahmen sind Paare, bei denen einer der Partner im Begriff ist, an militärischen Einsätzen teilzunehmen oder schwer erkrankt ist.

Die ROK verbietet auch die kirchliche Trauung, wenn mindestens einer der Partner:

  • bereits standesamtlich verheiratet oder kirchlich getraut ist;
  • sich zu einer anderen Religion bekennt oder nicht an die Orthodoxie glaubt (eine Ausnahme kann für einen Nicht-Christen gemacht werden, wenn das Paar bereits Kinder hat);
  • bereits dreimal standesamtlich verheiratet oder kirchlich getraut war;
  • Mönch und Nonne ist;
  • unter 18 Jahren alt ist;
  • psychische Probleme hat
    oder wenn die Partner:
  • älter als 60 Jahre (Frauen) und 70 Jahre (Männer) sind (nur wenn sie vorher nicht standesamtlich verheiratet waren und nicht längere Zeit zusammengelebt haben);
  • blutsverwandt sind.

Ansonsten wenden sich die Paare, die heiraten wollen, an den Priester der örtlichen Kirche und bitten um einen Segen für die Trauung. Vor der Hochzeit führt der Priester mehrere Gespräche mit ihnen, in denen er sie über die Bedeutung der Trauung und den Ablauf der Zeremonie aufklärt.

„Der Priester riet uns, vor der Trauung zu fasten und zu beichten sowie die Kommunion zu empfangen. Er lehrte uns, was wir bei der Trauung zu sagen haben und bat uns, nicht aufreizend gekleidet und ohne grelles Make-up zu erscheinen. Mich bat er, mit bedecktem Kopf zu kommen. Wir hatten für die Zeremonie Kerzen, einen Ruschnik (ein langes Stofftuch mit Stickereien) und Ikonen zu kaufen. Aber da wir wenig Geld hatten, kauften unsere Verwandten sie für uns“, erinnert sich Posdnjakowa.

Voraussetzung für die Trauung war auch eine Spende an das Gotteshaus, wobei die Höhe des Betrags keine Rolle spielte, so dass das Paar 2.000 Rubel (22,50 Euro) spendete. In den Regionen und in vielen Moskauer Kirchen sind die Spenden meist nicht höher als 10.000 Rubel (111,30 Euro). Einige Kirchen, wie z.B. die Moskauer St.-Klemens-Kirche, verlangen jedoch 50.000 Rubel (557,50 Euro) für die Zeremonie, den Ruschnik, vom Kirchenchor gesungene Hymnen und ein feierliches Glockengeläut einschließt, berichtete die Zeitschrift Wedding.

Tag der Trauung

Laut Anna Blochina aus St. Petersburg ähnelt der Morgen vor der Hochzeit dem Morgen einer gewöhnlichen Braut.

„Mein Mann und ich haben sieben Jahre nach unserer standesamtlichen Hochzeit geheiratet, als wir bereits eine siebenjährige Tochter hatten. Es war ein warmer Tag im Mai, ich habe mein blaues Brautkleid angezogen, mich frisiert und geschminkt. Dann stiegen mein Mann, die Verwandten und ich in die Limousine und fuhren zur Kirche“, erzählt Anna.

Vor der Zeremonie kommt der Priester zum Brautpaar, das in Weiß gekleidet ist, was die reinen Seelen symbolisiert, die im Begriff sind, eine Vereinigung vor Gott einzugehen.

Während der Zeremonie spricht der Priester der Kirche viele Gebete, segnet das Paar und bittet Gott, auch das Paar zu segnen. Die Brautleute halten eine brennende Kerze in der Hand, um die Liebe zu symbolisieren, die sie füreinander empfinden sollen.

Nach den Gebeten übergibt der Priester den Brautleuten die Ringe, die sie als Zeichen der Liebe und Hingabe dreimal austauschen. Dann stellen sie sich in der Mitte des Gotteshauses auf den Ruschnik – es heißt, wer sich zuerst auf das Tuch stellt, wird das Oberhaupt der Familie sein.

Das Paar drückt noch einmal seinen Wunsch aus, sich vor Gott trauen zu lassen, dann küssen Braut und Bräutigam das Bild des Erlösers auf den Kronen, und die Trauzeugen helfen ihnen, die Kronen auf den Kopf zu setzen oder halten sie einfach über ihre Köpfe, während der Priester die Zeremonie durchführt.

Nach dem Gebet befiehlt der Priester dem Paar, sich vor Gott zu verneigen und bringt einen Kelch mit Rotwein, der die Gemeinschaft der Eheleute symbolisiert. Jeder trinkt drei kleine Schlucke aus dem Gefäß, dann stellt der Priester den Kelch zur Seite, vereinigt die Hände des Mannes und der Frau, bedeckt sie mit dem Epitrachelion, legt seinen Arm darauf und führt sie dreimal im Kreis um das Chorpult, wobei er gleichzeitig einen kurzen Hymnus singt. Dieses Gehen symbolisiert die Prozession des Paares, die vor Gott ewig sein wird.

Schließlich werden die Neuvermählten zum königlichen Tor geführt, einer besonderen Tür, die das Tor zum Himmel symbolisiert. Der Bräutigam küsst die Ikone des Erlösers und die Braut das Bild der Mutter Gottes; dann tauschen sie die Plätze, woraufhin der Priester ihnen ein Kreuz zum Küssen gibt und ihnen zwei Ikonen überreicht: Der Bräutigam erhält das Bild des Erlösers und die Braut das Bild der Heiligen Jungfrau.

Die Feier dauert zwischen einer und eineinhalb Stunden. Die Kinder des Paares können an der Zeremonie teilnehmen, wenn sie es wünschen.

„Unsere Tochter ging mit einer Kerze mit uns im Kreis – es war unvergesslich und sehr berührend... Wir haben lange darauf hingearbeitet – es war also nicht alles nur für die schönen Bilder“, sagt Anna.

Es ist nicht verboten, die Trauung wie eine gewöhnliche Hochzeit zu feiern, so dass Anna und ihr Mann sowie deren Gäste eine Bootsfahrt unternahmen und anschließend ein Restaurant besuchten.

Die lange göttliche Scheidung

Kirchliche Ehen sind schwer aufzulösen – die ROK kennt kein Ritual der „Enttrauung“ –  eine formale Scheidung ist kein Grund, eine kirchliche Verbindung aufzulösen und die Entscheidung darüber wird von der Verwaltung der Diözese getroffen. Die ROK kann eine Ehe jedoch für ungültig erklären, wenn einer der Ehegatten:

  • fremdgegangen ist;
  • verstorben ist;
  • vermisst und seit drei Jahren nicht aufgefunden wird;
  • sich für ein Leben als Nonne bzw. Mönch entschieden hat;
  • zu einer anderen Religion konvertiert ist;
  • eine neue standesamtliche Ehe geschlossen hat;
  • an Lepra, Syphilis oder AIDS erkrankt oder als chronischer Alkoholiker oder Drogensüchtiger aufgefallen ist;
  • unfähig ist, aus medizinischen Gründen die ehelichen Pflichten zu erfüllen;
  • häusliche Gewalt angewendet hat;
  • eine Abtreibung ohne Zustimmung des Partners vorgenommen (im Falle der Frau) oder eine Abtreibung erzwungen (im Falle des Mannes) hat;
  • den Ehepartner absichtlich verlassen hat oder
  • für psychisch krank erklärt wurde.

Der Ehepartner kann bei der Diözese die Annullierung der Ehe zwei Jahre nach der Trauung beantragen. Der Bischof prüft den Antrag und stellt, wenn er entscheidet, dass die Ehe nicht gerettet werden kann, eine Bescheinigung aus, die die kirchliche Ehe für null und nichtig erklärt und dem unschuldigen Ehepartner erlaubt, sich ein zweites oder drittes Mal trauen zu lassen. Der Schuldige erhält diese Erlaubnis, wenn er bereut und eine kirchliche Strafe erhalten hat, zum Beispiel in Form der Exkommunikation für eine vom Kirchenvorstand bestimmte Zeit.

„Ich beschloss, mich scheiden zu lassen, nachdem mein Mann mich betrogen hatte, und wollte ein zweites Mal heiraten. Die Prozedur war sehr kurz: Ich sprach mit dem Priester und der sagte mir, dass bei Ehebruch die Krone automatisch abgenommen wird und keine Erlaubnis [für die Auflösung des Bündnisses] nötig ist. Jetzt lebe ich glücklich bis an mein Lebensende“, sagte Lilia aus Krasnodar über ihre Erfahrung (sie bat darum, ihren Nachnamen und ihr Alter nicht zu nennen).

Manchmal wird die Entscheidung, eine Ehe aufzulösen, von einer Kommission getroffen, die aus mehreren Priestern oder Geistlichen besteht. In diesem Falle kann sich die „kirchliche Scheidung“ hinziehen.

Auch in Frauen- und orthodoxen Foren im Internet wird die Annullierung der Ehe diskutiert. Nach Aussagen von Forenteilnehmern warten manche geschiedene Ehepartner mehrere Jahre auf die Auflösung des von der Kirche geschlossenen Bündnisses.

„Ich habe vor zwei Jahren nach der Scheidung eine Petition an das Oberhaupt der Kirche der Altai-Region eingereicht, aber es wurde bis heute nicht darauf reagiert. Wann es eine Antwort geben wird, teilten sie nicht mit. Die Kirche führt diese Prozedur nicht gerne durch“, beschwerte sich Jewgenija aus Barnaul.

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