Wie der russische Schwarzmarkt für COVID-19-Impfzertifikate funktioniert

Russia Beyond (Photo: Double_Vision/Getty Images; Moskva agency)
„Sputnik-V-Impfzertifikat in 15 Minuten, bei der Bestellung für mehr als drei Personen gibt es einen Rabatt“, solche Anzeigen können in Kanälen des Telegram-Messengers gefunden werden. Wir erklären, wer und wie solche Zertifikate verkauft und warum Russen diese kaufen, anstatt sich tatsächlich impfen zu lassen.

„Wir sind ein Labor, eines der einflussreichsten in Russland. Wir stellen Zertifikate sowohl über Antikörper als auch darüber aus, dass Sie gegen COVID-19 geimpft sind. Wir registrieren das Zertifikat in Gosuslugi [dem größten russische Portal für öffentliche Dienstleistungen wie Arzttermine oder Steuerzahlungen – Anm. d. Red.], sämtliche Kontrollen sind möglich“, erklärt ein Mann, der sich mir als Dmitrij vorstellt. Er hat mich selbst auf Instagram abonniert. Der Account hat den einfachen Namen Справки (dt.: Bescheinigung) und enthält mehrere Posts mit grundlegenden Informationen über das Coronavirus.

Am Telefon bot er ein Impfzertifikat ohne erfolgte Vakzinierung für 1.900 Rubel (26,2 Euro) an und sagte, „das ist sehr relevant heute.“

Vom 1. bis 24. Juni 2021 stieg die Zahl der mit dem Coronavirus infizierten Menschen in Russland von 9.500 auf 20.000 pro Tag – das ist mehr als das Doppelte. In der zweiten Junihälfte begannen Moskau und eine Reihe von Regionen, strengere Restriktionen für Ungeimpfte zu verhängen. So wurde in Moskau und elf Regionen eine Impfpflicht für Angestellte von Geschäften, Cafés und Restaurants, Schönheitssalons, Hotels, Krankenhäusern und Kliniken, Mitarbeiter öffentlicher Verkehrsbetriebe, Kuriere und andere eingeführt. Diejenigen, die sich weigern, können ohne Lohnfortzahlung von der Arbeit suspendiert werden

Ebenfalls in Moskau darf seit dem 28. Juni Restaurants und Cafés nur noch besuchen, wer gegen das Coronavirus geimpft ist und ein Zertifikat mit einem QR-Code vorweisen kann, wer in den letzten sechs Monaten an COVID-19 erkrankt war und genesen ist (und ebenfalls einen QR-Code) hat, sowie Personen mit einem höchsten drei Tage alten negativen PCR-Test. In der Region Moskau gelten die gleichen Regeln für Besucher von Hotels. In Baschkortostan darf man ohne Bescheinigungen und Zertifikate keine Schönheitssalons, Fitnessclubs, Saunen, Studentenwohnheime besuchen oder mit Linienbussen fahren. Die Anforderungen gelten auch für Besucher der Urlaubsregion Krasnodar: Dort werden ab dem 1. Juli Touristen ohne QR-Code oder negativen PCR-Test nicht mehr in Hotels gelassen.

Inmitten dieser neuen Einschränkungen tauchten auf Telegram und Instagram Angebote zum Kauf von Impfzertifikaten mit QR-Code ohne vorherige Vakzinierung auf. Es gibt keine Garantie, dass der QR-Code funktioniert, aber einige Russen ziehen den Kauf eines gefälschten Zertifikats immer noch einer echten Impfung vor.

Fragwürdige Bescheinigungen

Angebote zum Kauf von Zertifikaten und Referenzen werden am häufigsten über die Suche nach dem Stichwort Covid-Bescheinigung gefunden. Auf Telegram gibt es mehrere Kanäle und Chatrooms mit Anzeigen gleichen Inhalts: Ein Zertifikat ist in 15 – 20 Minuten ausgefertigt, das Dokument wird im PDF-Format mit einem „echten“ QR-Code und Registrierung auf dem Portal der öffentlichen Dienste gesendet, eine Übersetzung ins Englische ist möglich, bei der Bestellung von Dokumenten für drei oder mehr Personen wird ein Rabatt in Höhe von 15 % gewährt. Die Preise reichen von 2.500 bis 20.000 Rubel (34,5 bis 276,5 Euro). Unter den Beiträgen befinden sich Links zu verschiedenen Profilen im Messenger – allesamt ohne Telefonnummer oder Name, es gibt nur ein Login.

In der Korrespondenz fragt der anonyme Verkäufer nach dem vollständigen Namen, dem Geburtsdatum, der Wohnanschrift und der Passnummer, um das Zertifikat auszufertigen. Nach 15 Minuten sendet er ein Bild mit dem ausgefüllten Dokument inklusive einem Wasserzeichen, das erst nach der Zahlung auf das E-Wallet entfernt wird. Zur „Beruhigung“ schickte einer der Accounts einen Link zu einem anderen Kanal mit Screenshots positiver Rückmeldungen von unbekannten Benutzern, die jedoch nicht kontaktiert werden konnten.

„Das kann ihrer und unserer Sicherheit abträglich sein. Wenn Sie besorgt sind, arbeiten wir auch mit einer Anzahlung von 50 % – die Restzahlung nehmen Sie nach der Überprüfung auf der Website der öffentlichen Dienste vor. Wir schreiben, dass Sie Ihre erste Injektion in der Stadtpoliklinik Nr. 5 und die zweite in der Poliklinik Nr. 220 erhalten haben – wir haben dort eigenes Personal“, schrieb einer der anonymen Verkäufer.

Instagram-Konten für den Verkauf von Zertifikaten funktionieren nach demselben Schema, aber der oben erwähnte Dmitrij rief per Telefon an und stellte sich als Mitarbeiter eines Labors eines medizinischen Zentrums im Moskauer Bezirk Kolomenskij vor. Er erklärte, Labormitarbeiter erstellten persönlich Zertifikate für jeden Kunden und tragen die Informationen in das Register ein, die Ampulle mit dem Impfstoff werde entsorgt. Danach schicke er die „Bankverbindung“ für die Zahlung, inklusive Klinikadresse, Steuer-ID und Kontonummer.

Die Adresse der Klinik ist korrekt, aber die Steuer-ID und das Konto gehören einem gewissen Denis Jewdokimenko. Laut RusProfile registrierte er sich im September 2020 als Einzelunternehmer mit einer Lizenz für den Handel mit Lebensmitteln. Die Telefonnummer ist ebenfalls auf Jewdokimenko registriert. Nach der Abfrage auf Getcontact [einer App, mithilfe derer man herausfinden kann, unter welchem Namen eine Person im Adressbuch anderer Teilnehmer verzeichnet ist – Anm. d. Red.], wird er von anderen als „Denis Crypta“, „Anlagebetrüger“, „Betrügt Leute um Geld“ und „Betrügt Rentner“ geführt.

Auf die Frage, wer Jewdokimenko sei, werde ich von Dmitrij sofort auf dessen Telefon blockiert.

Lenta.ru teilt mit, die Zertifikate werden auch im Darknet auf einer Drogenhandelsseite verkauft, aber die Inserenten geben an, dass die Dokumente eine Echtheitsprüfung nicht bestehen würden.

„Ich will wegen der Anordnungen der Regierung kein Risiko eingehen.“

Laut den befragten Russen, die es geschafft haben, ein Impfzertifikat zu kaufen, kann man die echten Verkäufer finden, aber nicht in Messengern und sozialen Netzwerken, sondern über Bekannte, die in städtischen Kliniken arbeiten.

„Ich habe einen Monat lang nach Leuten gesucht, die tatsächlich in einem Labor in Moskau arbeiten und solche Zertifikate erstellen, ein Bekannter hat mir den Kontakt vermittelt. Meine Daten wurden sofort auf die Seite der öffentlichen Dienste hochgeladen, nachdem ich 10.000 Rubel (116 Euro) gezahlt hatte. Aber am 24. Juni haben sie damit aufgehört, weil in ihrem Labor Kameras installiert wurden“, erzählt die 25-jährige Marina (Name durch die Redaktion geändert), die in Moskau ein solches Zertifikat erwarb.

Sie habe das Zertifikat gekauft, weil sie Angst vor den Nebenwirkungen der Impfung gehabt habe.

„Ich habe Probleme mit meiner Leber, eine seltene Krankheit. Und ich weiß nicht, wie der Impfstoff sich bei dieser Krankheit auswirken wird, mein Hausarzt konnte mir das auch nicht sagen. Ich will keine Risiken eingehen, nur weil die Regierung es anordnet“, argumentierte Marina.

Eine andere Frau, Margarita, die in der Nähe von Moskau lebt, kaufte das Zertifikat im Labor einer städtischen Poliklinik für nur 1.500 Rubel (17,40 Euro).

„Ich glaube nicht an die Qualität unserer Impfstoffe, das ist alles. Ich habe es über einen Bekannten gekauft, der in einer Klinik arbeitet. Das Zertifikat habe ich noch nicht erhalten, bekomme es aber heute oder morgen zugeschickt. Sie tragen auf der Website der öffentlichen Dienste ein, dass ich die erste Stufe der Impfung erhalten haben, in zwei Wochen werden sie das gleiche dann für die zweite Impfung tun“, erzählt Margarita. 

Sergej, ein Fitnesstrainer aus Moskau (Name durch die Redaktion geändert), bestätigte ebenfalls, dass er das Zertifikat gekauft hat, weigerte sich aber, dies zu kommentieren. „Wegen Leuten wie euch, den Journalisten, wird dieser Markt bald geschlossen sein“, erklärte Sergej.

Erste Strafverfahren und Haftbarkeit

Bis zum 18. Juni 2021 hatten die Strafverfolgungsbehörden allein in Moskau 24 Strafverfahren wegen gefälschter Zertifikate eingeleitet, berichtete die Rossijskaja Gaseta unter Berufung auf den Pressedienst der Behörde.

Auch der Vorsitzende der Staatsduma Wjatscheslaw Wolodin sprach in seinem Telegram-Kanal über die Gefahr des Kaufs gefälschter Zertifikate.

„Es ist der Impfstoff, der schützt, und nicht das (gefälschte) Zertifikat. Die gerissenen ,Geschäftsleuteʻ, die sich durch die Pandemie bereichern wollen, werden bestraft werden. <...> Es ist offensichtlich: Gegen das illegale Geschäft mit dem Verkauf gefälschter medizinischer Dokumente muss vorgegangen werden. Dies ist die Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden. Aber es ist auch die Pflicht eines jeden, keine gefälschten Zertifikate zu kaufen“, schrieb Wolodin.

Er erwähnte, dass die Verantwortung für gefälschte Zertifikate sowohl bei den Verkäufern als auch bei den Käufern liege, die andere infizieren können. Rechtsanwalt Jurij Kapschtyk erklärte, dass für gefälschte Zertifikate sowohl eine verwaltungsrechtliche als auch eine strafrechtliche Haftung vorgesehen ist.

„Für die Fälschung des COVID-19-Impfzertifikats droht den Verkäufern nach § 327 StGB eine Freiheitsbeschränkung von bis zu zwei Jahren oder eine Zivilhaft von bis zu sechs Monaten oder eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren“, erklärt Kapschtyk.

Dem Käufer droht außerdem eine Freiheitsbeschränkung oder eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr für die Verwendung des Dokuments.

Der § 19.23 des Ordnungswidrigkeitsgesetzbuches der RF „Fälschung von Dokumenten, Stempeln, Siegeln oder Formularen, deren Verwendung, Übertragung oder Verkauf“ sieht eine Geldstrafe von 30.000 bis 50.000 Rubel (von 348 bis 580 Euro) vor.

Wenn der Inhaber einer gefälschten Bescheinigung oder eines Zertifikats nicht nur selbst erkrankt, sondern auch versehentlich eine Massenerkrankung provoziert, falle die Strafe noch härter aus, mahnt der Jurist.

„Der Person droht eine Geldstrafe von 500.000 bis 700.000 Rubel (5.800 bis 8.125 Euro) oder eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren. Wenn mindestens eine Person stirbt, drohen ihr zwei bis vier Jahre Gefängnis, wenn zwei oder mehr sterben – fünf bis sieben Jahre“, sagte Kapschtyk.

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