Russland ist ein multinationales Land. Neben den Russen leben hier etwa 190 andere Völker, die 270 Sprachen sprechen. Viele von ihnen haben noch immer keine Schriftsprache oder eine solche ist erst vor relativ kurzer Zeit entstanden. Alle diese ethnischen Gruppen sind zahlenmäßig unterschiedlich groß. Hier finden Sie eine Liste der seltensten Sprachen, die im Alltag noch gesprochen werden.
- Aleútisch
Eines der kleinsten Völker Russlands (etwa 300 Menschen) lebt auf der abgelegenen Beringinsel, dem westlichsten Ausläufer des Aleuten-Kommandeur-Inselbogens, östlich von Kamtschatka. Sie halten zwar Kontakt zu den amerikanischen Aleuten in Alaska, aber es gibt kaum noch Muttersprachler. Auf der Insel lebt nur eine Person, die fließend Aleútisch spricht, es gibt jedoch auch noch ein paar Personen, die die Sprache erst als Erwachsene erlernt haben und anderen helfen: Sie erstellen Lehrmaterial, organisieren Sprachkurse, veranstalten Vorträge. Die russischen Aleuten verwenden im Gegensatz zu den amerikanischen Aleuten das kyrillische Alphabet zum Schreiben, aber im Gespräch verstehen sie sich natürlich ohne Probleme.
- Hinuchisch
Diese Sprache wird von den Bewohnern des Hochlanddorfes Hinuch in Dagestan gesprochen. Einige Wissenschaftler betrachten dieses Volk als Unterethnie der Awaren, des größten Volkes Dagestans. Dennoch sind ihre Sprachen völlig unterschiedlich. Das Hinuchisch ist vom Aussterben bedroht: Während es 2002 noch von über 500 Menschen gesprochen wurde, gibt es laut der Volkszählung 2010 nur noch fünf aktive Sprecher. Eine eigene Schriftsprache gibt nicht, aber existieren noch vereinzelte Aufzeichnungen über das Alltagsleben, die von der älteren Generation in Awarisch angefertigt wurden.
- Ketisch
In den abgelegenen Siedlungen der Region Krasnojarsk an den Ufern des Flusses Jenissei lebten einst sechs Völker, die alle ihre eigene Sprache hatten. Im Laufe der Zeit wurden die Völker assimiliert und heute ist hier nur noch die von dem Volk der Ket gesprochene Sprache zu hören. In Russland gibt es etwa 1.200 Angehörige dieses Volks, aber nur etwa 200 von ihnen sprechen diese Sprache noch. Während der Sowjetzeit verwendeten die Ket sowohl das lateinische als auch das kyrillische Alphabet, heute wird jedoch nur noch Kyrillisch verwendet. Das moderne Ketisch-Alphabet besteht aus 39 Buchstaben und wird hauptsächlich im Bildungswesen verwendet.
- Aljutorisch (Oljutorisch)
Die Aljutoren sind Ureinwohner der Halbinsel Kamtschatka und leben dort im Norden der Region im Bezirk Olutorski. Das Volk gilt ebenso wie seine Sprache als vom Aussterben bedroht: Laut der Volkszählung von 2010 gibt es in Russland nur noch 25 Aljutorisch-Sprecher. Die lokale Zeitung Aborigeny Kamtschatki (Ureinwohner Kamtschatkas) veröffentlicht jedoch manchmal Artikel in Aljutorisch und der ihm verwandten Sprache Korjak.
- Enzisch
In Taimyr (im Norden der Region Krasnojarsk) leben etwas mehr als 200 Angehörige des indigenen Volkes der Enzen, von denen etwa 40 als Muttersprachler gelten. Obwohl dieses Volk keine eigene Schriftsprache hat, sind in Russland mehrere Russisch-Enzisch-Wörterbücher auf der Grundlage des kyrillischen Alphabets herausgegeben worden. Auch die Zeitung Taimyr veröffentlicht gelegentlich Kurzmeldungen in Enzisch.
- Tschulymisch
Die Sprache des indigenen sibirischen Volks der Tschulymer ist vom Aussterben bedroht. Die Tschulymer (manchmal auch Tschulym-Tataren genannt) sind ein Turkvolk, das an den Ufern des Flusses Tschulym in der Region Krasnojarsk und dem Gebiet Tomsk lebt. Von den 355 Angehörigen sprechen nur 44 ihre Muttersprache. Bis vor kurzem existierte noch eine Schriftsprache, aber Anfang der Zweitausenderjahre begannen sich Linguisten für die Sprache zu interessieren und veröffentlichten das erste Russisch-Tschulymisch-Wörterbuch. Das Alphabet, das auf dem Kyrillischen basiert, besteht aus 40 Buchstaben. Das erste Buch in Tschulymisch, das Markusevangelium, wurde 2019 veröffentlicht.
- Orokisch (Ulta)
Die Orok-Sprache wird vom Volk der Ulta auf Sachalin gesprochen, wobei nur 47 von 295 Personen die angestammte Sprache sprechen, die meisten von ihnen ältere Menschen. In den Ulta-Siedlungen gibt es Grundkurse für Kinder zum Erlernen der Orok-Sprache. Es sei angemerkt, dass die Sprache der Ulta sehr kompliziert und schlecht erforscht ist. So wurde beispielsweise erst in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts ein Alphabet ausgearbeitet und das erste Wörterbuch erschien 2008.
- Wotisch
In der Nähe von Kingisepp im Leningrader Gebiet leben etwa 60 Angehörige des indigenen Volkes der Woten. Es gibt nur noch sechs bis zehn Wotisch sprechende Menschen, aber Enthusiasten veranstalten Sprachkurse (im Museum des Dorfs Luschizy) und Feste der Woten-Kultur für alle Interessierten. Das Wotische gehört zur gleichen Sprachfamilie wie das Estnische.
- Itelmenisch
Die Itelmenen auf Kamtschatka werden als Verwandte der nordamerikanischen Indianer angesehen. Heute hat das Volk noch etwa 3.000 Angehörige, aber nur 80 von ihnen sprechen die itelmenische Sprache. Noch im Altertum sprach das Volk drei Sprachen, die bis zum 19. Jahrhundert jedoch ausstarben. Die Sprache der Itelmenen gilt ebenfalls als vom Aussterben bedroht. Heutzutage beherrschen alle Itelmenen auch Russisch und einige sogar Korjak, was die Kommunikation mit dem Nachbarvolk erleichtert. Eine interessante Tatsache: Itelmenische Wörter enthalten bis zu 7 Konsonanten hintereinander!
- Tofalarisch
In der undurchdringlichen Taiga der Region Irkutsk, westlich des Baikalsees, leben die Tofalar-Nomaden seit Jahrhunderten. Heute bezeichnen sich von den 800 Angehörigen dieses Volkes etwa 90 als Tofalarisch-Sprecher (anderen Quellen zufolge nicht mehr als 30). Erst kurz vor dem Zusammenbruch der UdSSR begannen sowjetische Sprachwissenschaftler ein Alphabet zu entwickeln – ein Prozess, der immer noch nicht abgeschlossen ist. Die aktuelle Version des Tofalarisch-Alphabets enthält 41 Buchstaben. Die Kultur und die Folklore werden größtenteils von lokalen Enthusiasten bewahrt.