Die Mitbegründer einer russischen Kryo-Firma teilen sich gefrorene Körper. Wie bitte?

Alexander Avilov / Moskva agency/Legion Media
Nein, das ist nicht die Handlung eines Horrorfilms. Es ist der spannende Kampf in einer russischen Firma für die Kryonisierung verstorbener Menschen (ja, das gibt es und es ist legal). Um ihr Unternehmen zu retten, entschloss sich eine der Gesellschafterinnen zu einer verzweifelte Entführung.

Als im Jahr 2006 acht Anhänger der transhumanistischen Bewegung CryoRus gründeten, das einzige Unternehmen in Russland, das gerade erst verstorbene Menschen und Tiere einfriert, um sie in der Zukunft wiederzubeleben, hätte niemand gedacht, dass alles so enden würde.

Anfang September 2021 brach eine der Gesellschafterinnen von Cryorus, Valeria Udalowa, helllichten Tag in die Kryo-Konservierungsanlage ein. Ein im Netz aufgetauchtes Video zeigt, wie ein Kran versucht, aus einem Loch in der Wand der Lagerhalle, das zuvor mit einem Schneidbrenner heraus geschnitten worden war, Dewar-Gefäße (Behälter für die Langzeitlagerung bei Minusgraden) zu ziehen. In ihnen befinden sich mehrere Dutzend Körper von „Kryopatienten“.

Udalowa läuft unruhig umher und versucht, den Prozess zu kontrollieren. Aus den Gefäßen entweicht ein dichter weißer Nebel – das ist Stickstoff, in dem die Körper gelagert werden. Ein Großteil des Gases musste abgelassen werden, so dass gerade noch genug in den Dewar-Gefäßen übrig blieb, um die Leichen horizontal zu transportieren.

Nachdem die Gefäße auf zwei Lastwagen verladen worden waren, versuchte Udalowa, sie in ein mehrere hundert Kilometer entferntes, noch nicht fertig gestelltes Lager zu transportieren, kam aber nicht weit. Sie wurde von der Polizei an der Ausfahrt des Geländes festgenommen. Die Aufnahmen der Lastwagen mit den riesigen Dewar-Gefäßen, die von der Polizei umstellt am Straßenrand standen, während aus den Behältern weiterhin Stickstoff austrat, beunruhigten selbst ausländische Kryonisten.

„Bitte teilen Sie alles, was Sie von CryoRus hören. Ich bin sehr interessiert – und besorgt – über das, was dort passiert", hieß es auf einem entsprechenden Telegram-Kanal.

Das ist die kurze Beschreibung, wie die Gesellschafter einer russischen Kryofirma ihr Unternehmen aufteilen, nachdem sie sich getrennt haben. Da sie sich nicht einigen konnten, erreichte die Auseinandersetzung nun dieses kritische Stadium: Sie begannen, ihre Patienten – die gefrorene Körper – buchstäblich zu teilen. Udalowa versuchte heimlich, sie ihrem Ex-Ehemann und Geschäftspartner Danila Medwedjew wegzunehmen, stieß aber auf Widerstand.

„Dieser Plan wurde drei Monate lang ausgearbeitet“, gab Udalowa zu. Die gesamte komplizierte technische Umsetzung (das Loch mit dem Schneidbrenner in die Wand schneiden und das Aufladen der „Patienten“) dauerte 15 Stunden. Und dies war nicht die einzige verzweifelte List, zu der sie griff, um die Kontrolle über das Unternehmen wiederzuerlangen.

Wie alles begann

Es gibt weltweit noch zwei weitere große Unternehmen mit eigenen Kryo-Konservierungsanlagen, und beide befinden sich in den USA. Es ist ein legales Geschäft, obwohl es weder einen wissenschaftlichen Nachweis, noch einen Präzedenzfall für die Wiederbelebung von Menschen nach dem Einfrieren gibt. Diejenigen, die den Dienst in Anspruch nehmen, glauben, dass in Zukunft ein Weg gefunden werde, sie wiederzubeleben.

CryoRus ist inzwischen das einzige Kryounternehmen in Europa. Diese Exklusivität wird auf dem Markt geschätzt: 2019 gab es so gut wie keinen Leerstand in ihrem Lager (obwohl das Unternehmen keine Wiederbelebung garantiert). Nach Angaben auf der Website des Unternehmens haben bisher etwa 500 Menschen einen Vertrag unterzeichnet und 81 Menschen sowie 47 Tiere wurden zu „Kryopatienten“. Der Vertrag hat eine Laufzeit von 100 Jahren und wird alle 25 Jahre automatisch und ohne zusätzliche Kosten verlängert. Einige der Kunden wurden für 36.000 Dollar vollständig kryonisiert, andere ließen lediglich ihre Gehirne einfrieren (was nahezu halb so viel kostet).

Im Laufe der Jahre hat die Kryonik an Popularität gewonnen. Das Unternehmen eröffnete Büros in St. Petersburg, New York, Mailand und Südkorea und erhielt monatlich etwa 150 Anrufe von potenziellen Kunden. Es gibt sogar Außenstände. „Einer unserer Kryopatienten starb im Vereinigten Königreich und wurde in unser Lager gebracht. Sein Sohn hat uns die erste Rate – 15 % – gezahlt. Und jetzt verkauft er ein Anwesen in Indien im Wert von 300.000 US-Dollar, um seine Schulden bei uns zu begleichen“, erklärte Udalowa im April 2019.

Der erste Generaldirektor war Danila Medwedjew. 2009 zog er sich aus dem operativen Geschäft zurück und wurde durch Valeria Udalowa ersetzt. 2019 versuchten die Gesellschafter jedoch, sie zu entlassen, da sie mit der Entwicklung des Unternehmens unzufrieden waren.

„Bei der Kryonik geht es darum, eine Technologie zu entwickeln, mit der Menschen besser konserviert und in Zukunft wiederbelebt werden können. Ein Kryo-Konservierungsunternehmen muss also etwa die Hälfte seiner Ressourcen für die Forschung aufwenden, und Valeria hatte nur Geld für das laufende Geschäft ausgegeben. Es gab eindeutige Beschwerden, dass sich die Qualität der Lagerung in den 10 – 15 Jahren der Arbeit unseres Unternehmens nicht verbessert habe“, erklärte Medwedjew.

Doch Valeria weigerte sich, trotz des Gesellschafterbeschlusses die Firma zu verlassen und die Kontrolle über die Bankkonten abzugeben. Bei derselben Gesellschafterversammlung kamen noch weitere unerwartete Details ans Licht. „Eine klassische feindliche Übernahme, ausgerechnet in einem so innovativen Bereich wie der Kryonik“, so beschrieb Alexej Samykin, einer der Gesellschafter von CryoRus, das Geschehen.

„Sie beschloss, aufs Ganze zu gehen und alle Patienten zu stehlen.“

Wie sich herausstellte, hatte Udalowa zum Zeitpunkt der Versammlung bereits einige der Verträge auf ihre neue juristische Person übertragen und ihre Zweizimmerwohnung in Moskau mit einer Hypothek belastet, um mit dem Geld ein großes neues Lager irgendwo „im Nirgendwo des Gebiets Twer“ zu bauen, so Medwedjew.

Danila Medwedjew

Am Tag vor der Versammlung verlegte sie außerdem die Hälfte ihrer Neuro-Patienten (mit anderen Worten: Gehirne) von einem Lager in der Region Moskau in eine Flüssigstickstoffanlage in Twer, da ihr eigenes Lager noch nicht fertig war.

Als die CryoRus-Gesellschafter davon erfuhren, verklagten sie Udalowa und hofften, den unternehmensinternen Konflikt schnell beenden zu können. Doch im Jahr 2020 begann die Corona-Epidemie und der Prozess zog sich hin. Im März 2021 verklagte Udalowa ihren Ex-Ehemann im Namen von CryoRus und forderte von ihm die Herausgabe der Website-Domain und eine Entschädigung von 5 Millionen Rubel (59.000 Euro). Das Gericht gab der Klage nicht statt und wies auch die Berufung zurück.

„Und Valeria erkannte, dass man ihr auf jeden Fall die Kontrolle entziehen würde, wenn sie nichts unternähme, also beschloss sie, aufs Ganze zu gehen und alle Patienten und Dewar-Gefäße zu stehlen“, erklärte Medwedjew.

„Wir versuchen jetzt herauszufinden, wem das Gehirn gehört.“

Medwedjew glaubt, dass seine Ex-Ehefrau Patienten sowie auf seinen Namen registrierte Geräte aus dem Gebäude, das ihr nicht mehr gehört, gestohlen habe: „Valeria zahlt keine Miete mehr dafür und sie stellt auch kein Geld oder flüssigen Stickstoff für die Instandhaltung der Kryonikanlage zur Verfügung. Wir unterhalten die kryonische Einrichtung jetzt mit Hilfe der Angehörigen einiger Patienten und mit unseren eigenen Mitteln“, beschrieb er die Situation in einem Chat mit Ausländern auf Telegram.

Udalowa bestreitet alle Vorwürfe des Diebstahls: „Wir haben nichts gestohlen, sondern das Unternehmen hat beschlossen, die Ausrüstung aus den gemieteten Räumlichkeiten in andere, eigene Räumlichkeiten zu verlegen“. Sie behauptet, dass der Mietvertrag auf ihren Namen abgeschlossen worden sei und ihr Ex-Ehemann die Verträge über das Eigentum an den Luftentfeuchtern gefälscht habe. Aber das wird wiederum das Gericht klären müssen.

Die Polizei, die Udalowa im September mit Dutzenden von tiefgefrorenen Leichen festgenommen hatte, beschloss stirnrunzelnd, dass die Dewar-Gefäße dorthin zurückgebracht werden sollten, von wo sie geholt worden waren. Zusammen mit einem anderen Kryonik-Aktivisten meldete Medwedew Open Cryonics an, eine andere Firma mit demselben Geschäftsfeld wie CryoRus, und erhielt die Kontrolle über die Hälfte der Kryopatienten zurück.

Die Schäden an den Kryopatienten und der Lagereinrichtung müssen jedoch noch bewertet werden. Allein der Stickstoff hatte einen Wert von einer Viertelmillion Rubel (ca. 3.000 Euro). Ganz zu schweigen von der Schädigung des Ansehens der gesamten russischen Kryonik-Industrie. An diesem Tag wurde neben den Lieferwagen mit „dampfenden“ Dewar-Gefäßen auch ein unauffälliger Kleinbus auf der Straße angehalten. Darin befanden sich keine Leichen, sondern das Gehirn eines der Kryopatienten – wessen genau, ist noch unbekannt. „Wir versuchen jetzt herauszufinden, wem das Gehirn gehört, denn es gab keine Unterlagen dafür, als es gestohlen wurde“, sagt Medwedjew.

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