„Sie haben mich sehr oft interviewt, es waren immer die gleichen Fragen, ähnlich wie bei einer kaputten Schallplatte. Ich wollte bloß so schnell wie möglich zur Arbeit kommen. Wahrscheinlich kommen jetzt noch mehr Fragen auf mich zu", sagt Olga Burawlewa, 24 Jahre alt, die die Linie Filewskaja fährt, über ihre Anfänge.
Um die Stelle zu bekommen, musste die junge Frau ein Vorstellungsgespräch, eine umfassende medizinische Untersuchung, einen neunmonatigen Kurs, ein Praktikum und schließlich mehrere Prüfungen bestehen (bei einer davon war sogar der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin anwesend).
Frauen bedienten die Züge der Moskauer Metro bereits von 1936 bis in die 1980er Jahre hinein, bis die UdSSR die Einstellung weiblichen Personals untersagte, da der Beruf als zu körperlich anstrengend galt.
Am 1. Januar 2021 hob das Arbeitsministerium dieses Verbot auf. Zwölf Frauen ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen und bewarben sich umgehend als Zugführerinnen. Weitere 42 befinden sich derzeit in Ausbildung, wie die Pressestelle der Moskauer Metro mitteilte.
Die russischen Medien interviewten die Frauen häufig, darunter auch Olga. In den sozialen Medien wurde die Nachricht von Frauen als Zugführerinnen kontrovers aufgenommen.
„Wir gehen 40 Jahre zurück“ oder „Gott bewahre, dass ich eine Frau als Fahrer bekomme! Nie wieder einen Fuß in die U-Bahn!“ So lauteten die Kommentare einiger VK-Nutzer. Zum Glück gab es aber auch andere Meinungen und viele freuten sich über die Fahrerinnen.
Monotone Arbeit und Zeichnen als Ausgleich
Olga Burawlewa begann ihre Karriere bei der U-Bahn schon vor sechs Jahren. Sie hatte bereits viele Freunde unter den Fahrern, und als diese ihr vorschlugen, sich zu bewerben, dachte sie schnell: Warum nicht?
„Ich wusste schon viel über die Metro. Aber dass es dennoch schwierig werden würde, war mir sofort klar", erinnert sich Burawlewa.
Zunächst müssen alle Triebfahrzeugführer zu einem Vorstellungsgespräch. Danach folgt eine psychologische und dann eine körperliche Untersuchung. Anschließend gibt es eine zweiwöchige Probezeit als Triebfahrzeugführerassistenten. In dieser Zeit lernen die Aspiranten die Funktionsweise der Wagen und der Ausrüstung kennen sowie alles über Sicherheit und den Umgang mit Notsituationen. Im Anschluss folgen mehrere Monate Fahrpraxis und die dazugehörigen Prüfungen - und erst danach dürfen sie einen Metrozug fahren. Die Auszubildenden erhalten monatlich etwa 26.000 Rubel (ca. 350 Euro). Nach der Qualifizierung können sie ihre Fähigkeiten noch ausbauen.
„Wir wurden vom Metro-Management genau beobachtet und sogar von Sobjanin und Liksutow [dem Verkehrsminister] besucht... Während unserer Ausbildung durften wir einen Simulator fahren, der einer alten Moskauer Metro nachempfunden war, aber das war nur ein Spielzeug, und ich wollte unbedingt wissen, wie sich der echte Zug anfühlt", erzählt Burawlewa.
Sie erinnert sich auch an negative Kommentare in den sozialen Medien, aber sie hat ihnen keine große Beachtung geschenkt.
„Das sind Meinungen, die Leute können denken, was sie wollen. Ich hatte ein Ziel und ich habe es erreicht. Mein Leben wird sich nicht ändern, nur weil ein Typ mich eine Tussi nennt und mir sagt, dass dies nicht der richtige Ort für mich ist."
Das Schwierigste an ihrem Job sind für Olga die unüblichen Arbeitszeiten. Ihr Tag beginnt bereits um 6:00 Uhr morgens. Sie benötigt anderthalb Stunden zu ihrem Arbeitsplatz, dann verbringt sie 20 Minuten damit, sich ärztlich untersuchen zu lassen und vor ihrer Schicht ein letztes Mal die Regeln und Vorschriften durchzugehen.
„Es ist natürlich ein eintöniger Job. Es gibt Zeiten, da fragt man sich, wann man endlich wieder zu Hause ist. An anderen Tagen ist das Wetter schön, die Vögel zwitschern und die Schicht vergeht wie im Fluge. Es kommt also ganz auf die Stimmung an. Und man kann auch nicht träumen oder sich entspannen - alles muss überwacht und kontrolliert werden. Es ist immer eine stressige Arbeit, da jeden Moment eine Notfallsituation eintreten kann", sagt Burawlewa.
In ihrer Freizeit ist sie gerne zu Hause und malt, das hilft ihr nach einem harten Arbeitstag abzuschalten.
Schwierige Ausbildung und „Bagels“
„Ich kam also zu meinem Vorstellungsgespräch, betrat den Raum und überall waren Männer! Ich war die einzige Frau, und alle schauten mich schräg an. Außerdem hatte ich ziemliche Angst, weil ich schon so lange davon geträumt hatte, Fahrerin zu werden, und man dort keine Frauen akzeptierte. Mir wurde sofort gesagt, dass ich komplexe Maschinen studieren müsste. Ich weiß noch, dass ich dachte: 'Verdammt, okay, wir werden einfach abwarten'", sagt Anastasia Mamkina, 25, eine weitere frischgebackene Lokführerin.
Ihre Eltern wollten, dass sie Buchhaltung lernt. Sie machte einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften und arbeitete in einem Geschäft, dann als Beraterin bei einer Bank, aber die Arbeit im Verkauf gefiel ihr nicht. Als sie im Internet nach Stellenangeboten suchte, stieß sie auf eine Anzeige, in der Metro-Zugführerinnen gesucht wurden. Sie schickte sofort ihren Lebenslauf ein und wurde nur zwei Stunden später zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.
Anastasia sagt, sie habe gehört, dass viele Frauen nicht einmal den mentalen Eignungstest bestanden hätten.
„Es wurde viel auf Knöpfe gedrückt, um die Reflexe und die Bereitschaft zu monotonen Aufgaben zu testen. Diejenigen, die das nicht aushielten, gingen einfach. Bei mir war das EKG auffällig und ich wurde zu einer weiteren ärztlichen Untersuchung geschickt. Als der Arzt schließlich sagte, ich sei tauglich, war ich so glücklich, dass ich zu weinen begann, so sehr wollte ich diesen Job“, berichtet Anastasia.
Insgesamt wurden 68 Personen in den Kurs aufgenommen, davon 20 Frauen. Am Ende waren nur noch 17 Personen übrig. Und Mamkina war die einzige Frau.
Anastasia sagt, dass viele nicht bereit waren, sich mit der komplexen Terminologie auseinanderzusetzen, die Mechanismen des Zuges in- und auswendig zu kennen und zahlreiche Handlungsalgorithmen für alle möglichen Notfälle zu studieren.
Mamkina beendet gerade ihre Ausbildung, auf die ein Praktikum, eine Prüfung und schließlich ihre ersten Tage als Lokführerin folgen. Sie hat bereits als Assistenzfahrerin gearbeitet und freut sich, dass ihre Schichten wie im Flug vergehen.
„Wir fahren aus dem Depot heraus, erreichen die Endstation, kehren um - wir nennen das ‚Bagel‘. Und wenn man zwei davon gemacht hat, kann man eine Pause machen, vielleicht zu Mittag essen, nach draußen gehen, die Anweisungen noch einmal lesen, wenn nötig. Dann noch zwei ‚Bagels‘ und es ist Zeit, nach Hause zu gehen. Allerdings muss man wirklich pünktlich sein und hat keine Atempause. Das ist schwierig, aber auch interessant", sagt Anastasia.
Sie fügt hinzu, dass sie nur im Internet negative Erfahrungen zur Einstellung gegenüber weiblichen Lokführern gemacht hat. Im wirklichen Leben zeigen die Leute oft Interesse an ihrer Arbeit und gestehen, dass auch sie davon geträumt haben, Lokführer zu werden, aber Angst hatten, zu versagen.