Wer waren die Bogatyri, Russlands Helden?

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BORIS JEGOROW
Die Erzählungen über die russischen Bogatyri stammen offenbar aus heidnischen Zeiten und wurden in russischen Sagen überliefert. Gab es sie überhaupt?

Woher stammt das Wort „Bogatyr“? 

Das Wort hat keinen russischen Ursprung. Es wurde aus den Turkprachen entlehnt, wo „*baɣatur“ „Held; Krieger; Kriegsführer“ bedeutet. Im Russischen wurden solche herausragenden Krieger chrabr (храбр, „Tapferer“), witjas (витязь, „Recke“) oder molodez (молодец, „ganzer Kerl“) genannt. Warum brauchten die Russen dann ein türkisches Wort? 

Die Mongolen nannten ihre besten Krieger „Bogatyri“, die Russen wiederum übernahmen diesen Namen für ihre Helden und stellten damit klar, dass sie nicht schwächer waren als die mongolischen Bogatyri. Später wurden die Helden in den russischen Sagen und Märchen ebenfalls als Bogatyri bezeichnet. 

In welchen Quellen wird über Bogatyri berichtet? 

Die russische Bylina war ein episches Lied, das berühmten historischen (oder pseudohistorischen) Ereignissen in der russischen Vergangenheit gewidmet war. Sie wurde mündlich überliefert. Die ersten Aufzeichnungen in Buchform stammen aus dem Jahr 1804. Im 19. Jahrhundert begann man sie zu studieren und zu sammeln. Historiker kennen mehrere Hundert Bylini, die je nach Ort der Handlung in den Kiewer Zyklus, den Nowgoroder Zyklus und die gesamtrussischen Bylini unterteilt werden.  

Die Bogatyri, die in den Bylini die besungen werden, sind keine exakten Darstellungen geschichtlich realer Helden der Vergangenheit. Es handelt sich eher um kollektive Bilder archetypischer Helden, die Geschichten über verschiedene Krieger enthalten. Sie sind auf der Grundlage alter Mythen entstanden.   

Die „älteren“ Bogatyri 

In den Bylini werden Dutzende von Bogatyri erwähnt. Es gibt drei ältere Bogatyri: Swjatogor, Wolga Swjatoslawitsch und Mikula Seljaninowitsch.  

Swjatogor ist der älteste und bedeutendste. Historiker und Philologen sind sich einig, dass Swjatogor höchstwahrscheinlich ein vorchristlicher Held der russischen Sagenwelt ist. Swjatogor ist ein gewaltiger Riese, der in den Heiligen Bergen lebt. Wenn er geht, bebt Mutter Erde, die Wälder schwanken und die Flüsse treten über die Ufer. In verschiedenen Überlieferungen wird erzählt, dass Swjatogor entweder in der Erde gefangen ist (nachdem er versucht hat, das gesamte Gewicht der Erde in einem Sack zu heben) oder in einem Steinsarg festsitzt. 

Wolga Swjatoslawitsch ist ein weiterer vorchristlicher Bogatyr. Seine Mutter war eine Prinzessin und sein Vater eine magische Schlange. Daher kann sich Wolga in verschiedene Kreaturen verwandeln und die Sprache der Tiere verstehen. 

Mikula Seljaninowitsch ist der typische bäuerliche Bogatyr. Sein Vatersname, Seljaninowitsch, bedeutet „Sohn eines Dorfbewohners“, und er ist unbesiegbar, denn „Mutter Erde liebt seine Verwandten“. Mikulas Name ist eine Abwandlung des Namens Nikolaj (Nikolaus), und in Russland wird der Heilige Nikolaus bis heute verehrt. Historiker vermuten daher, dass es sich bei Mikula Seljaninowitsch um eine Art alten heidnischen Bauerngott handeln könnte, der später als Heiliger Nikolaus verehrt wurde. 

Die drei Bogatyri

Alle anderen Bogatyri werden als „jüngere“ Bogatyri betrachtet. Es gibt Dutzende von ihnen in den Bylini. Jeder kennt Viktor Wasnezows berühmtes Gemälde „Drei Recken“. Das Gemälde, an dem der Künstler fast 20 Jahre arbeitete (1881-1898), ist Ausdruck der Liebe der russischen Gesellschaft zu den Natursagen ihrer Heimat. Die dargestellten Bogatyri sind die bekanntesten Helden der Bylini, Dobrynja Nikititsch (links), Ilja Muromez (Mitte) und Aljoscha Popowitsch (rechts).   

Ilja Muromez ist der bekannteste aller russischen Bogatyri. Er gilt als der „Beschützer Russlands“. Seine Geschichte, die in verschiedenen Bylini erzählt wird, ist sehr charakteristisch für Russland. In den ersten 33 Jahren seines Lebens konnte Ilja aufgrund einer unbekannten Krankheit nicht laufen. Einmal, als er allein in seinem Haus war, kamen drei Pilger und baten um Wasser. „Ich kann mich nicht bewegen“, soll Ilja gesagt haben, aber die Pilger bestanden darauf, dass er aufstand und ihnen Wasser holte. Überraschend stand Ilja auf und brachte einen Eimer mit Wasser. Die Alten wiesen ihn an, das Wasser zu trinken, und er wurde geheilt. Danach verspürte Ilja enorme Kraft und ging nach Kiew, um Fürst Wladimir zu helfen, das russische Land zu schützen, heißt es in den Bylini.  

Die Geschichten von Dobrynja Nikititsch und Aljoscha Popowitsch ähneln einander in den Bylini. Beide bekämpften böse Schlangen: Dobrynja kämpft gegen den Slawischen Drachen Zmej Gorynytsch, während Aljoscha es mit Tugarin Zmej aufnimmt. Sie beschützen beide das russische Volk und sind Brüder füreinander. Beide Bogatyri werden als gebildet und wortgewandt beschrieben. Dobrynja spricht 12 Sprachen und Aljoscha spielt auf einer Gusli, einer slawischen Zither (auf dem Gemälde ist die Gusli über Aljoschas rechte Schulter gehängt). 

Gab es die Bogatyri wirklich? 

Die Bylini wurden jahrhundertelang mündlich überliefert und unzählige Mal abgewandelt und ergänzt. Bei weitem nicht alle Bylini wurden niedergeschrieben. So mischen sich in den Geschichten der Bogatyri reale Ereignisse aus der Vergangenheit mit Fiktion, und so ist es auch mit den Helden. 

Es wird etwa angenommen, dass Aljoscha Popowitsch aus den Bylini in Wirklichkeit Alexander Popowitsch war, ein Bojar aus der Region Rostow, der 1223 in der Schlacht von Kalka fiel. Im 13. Jahrhundert war Aljoscha Popowitsch jedoch bereits ein berühmter Sagenheld, so dass die reale Person offenbar von den Sagen geprägt wurde und nicht umgekehrt. 

Das Gleiche gilt für Ilja Muromez. Man geht weithin davon aus, dass sein echtes Vorbild der heilige Ilja Petscherskij ist, ein Mönch aus dem Kiewer Höhlenkloster, der im Jahr 1188 starb. Seine sterblichen Überreste ruhen in den Höhlen dieses Klosters, Historiker datieren die Bestattung auf das 12. bis 13. Jahrhundert. 

Im Jahr 1988 untersuchten Mediziner die Gebeine des Heiligen Ilja. Die Untersuchung ergab, dass er ein großer Mann war und eine Körpergröße von etwa 177 cm hatte. Wirklich bemerkenswert ist, dass der Körper Anzeichen einer Wirbelsäulenerkrankung aufwies - was mit der Geschichte von Ilja Muromez übereinstimmt, der 33 Jahre lang auf einem Ofen gelegen haben soll. Die Schädelknochen sind ungewöhnlich dick, und die Handgelenke und Schlüsselbeine deutlich größer als im Durchschnitt bei Menschen. Die Todesursache war wahrscheinlich ein Schlag mit einer scharfen Waffe (Speer oder Schwert) auf die Brust.  

Könnte es sein, dass der Heilige Ilja Petscherskij in die historische „Vorlage“ und Inspiration von Ilja Muromez war? Wie dem auch sei, Ilja Muromez gilt als Schutzpatron der russischen strategischen Raketentruppen und des russischen Grenzschutzdienstes. Und dort tut er noch immer seinen Dienst.

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