Dank der günstigen Lage innerhalb des Fürstentums Wladimir-Susdal hatte sich im XVII. Jahrhundert im Dorf Palech eine starke Schule der Ikonenmalerei entwickelt. „Die Palech-Künstler übernahmen viele Stile, da sie häufig reisten. Sie reisten, um den Facettenpalast im Moskauer Kreml, das Nowodewitschi-Kloster und das Dreifaltigkeitskloster von Sergijew-Possad zu bemalen und zu restaurieren, sie reisten nach St. Petersburg und in den Ural und nahmen teure Aufträge für Ikonen entgegen. Sie wurden herbeigerufen, manchmal sogar mit Gewalt“, sagt Swetlana Schtschirowa, Künstlerin und Leiterin des Künstlerverbandes von Palech.
I. Bakanow, 1934.
Public domain1917, nach der Oktoberrevolution, standen die Palecher Ikonenmaler vor der Wahl, ihr Meisterkönnen verkommen zu lassen oder sich an die neuen Bedingungen anzupassen. Diese brachten mit sich, dass alles, was mit dem religiösen Glauben zu tun hatte, beseitigt wurde.
Sie probierten vieles aus, darunter auch das Malen auf Holz, ihre Wahl fiel jedoch auf die Traditionen der Lackminiaturenmalerei aus Fedoskino, bei der Pappmaché auf schwarzem Grund bemalt wird. An die Stelle religiöser Motive traten weltliche: „Die Fedoskino-Schatulle hatte eine besondere Bedeutung. Die Traditionen aus dem XVII. Jahrhundert wurden in der Bemalung beibehalten: Wenn auf der Schatulle Bäume abgebildet sind, werden sie in Form, Farbe und mit Gold wie auf einer Ikone gemalt“.
„Jermak erobert Sibirien“, 1935
Public domainAuf diese Weise wurde die älteste Tradition der Ikonenmalerei in um das Hundertfache verkleinerten Kunstobjekten bewahrt. Diese Kunsterzeugnisse fanden hauptsächlich im Ausland Käufer.
Die Ikonen von Palech zeichneten sich durch ihre feine Linienführung, die kunstvollen Details, ihre Fülle an Gold und die transparenten, leuchtenden Farben aus. Die Handwerkskunst wurde von Vater zu Sohn weitergegeben. Die Palecher Ikonenmalerei war berühmt für kleine Ikonen mit mehreren Motiven. Auch dies spielte eine Rolle bei der Umwandlung in die Palech-Lackminiatur.
Iwan Golikow, „Wahrsagerei auf Kränzen“, 1920er Jahre
Public domainIwan Golikow, einer der Epigonen der Ikonenmalerei von Palech, fand sich nach der Revolution und seiner Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg in einem Land wieder, in dem Ikonen keinen Platz mehr hatten. Er arbeitete im Bühnenbild und bemalte 1921 seine erste Pappmaché-Schatulle.
Sein Stil begeisterte die Leitung des Moskauer Kunstmuseums und den Kunsthistoriker Alexander Bakuschinski. Mit ihrer Hilfe gründete er 1924 die „Genossenschaft für altrussische Malerei“ (artel drewnjej schiwopisi). Demonstrationsobjekte des neuen Handwerks wurden zu internationalen Ausstellungen in Italien und Frankreich geschickt.
Iwan Golikow, „Die Dritte Internationale“, 1927
Public domain„Nach dem Aufsehen, das die italienischen Ausstellungen erregten, wendete sich das Blatt. Der Staat kontrollierte den Prozess und wurde zum Auftraggeber, aber fast alles wurde nach Amerika verkauft - 99 % der Lack-Miniaturen wurden exportiert, womit man auf starke Nachfrage auf ausländischen Märkten reagierte. Die Themen waren russisch, die Handlungen der Welt der Heldensagen und Märchen entnommen, manchmal handelte es sich auch um reine sowjetische Propaganda“, erläutert Swetlana Schtschirowa.
Die Herstellung von Palech-Miniaturen ist ein komplexer Prozess. Jedes Stück, sei es eine Schatulle, eine Brosche, eine Haarspange oder ein Nadelbehältnis, ist klein und bis ins winzigste Detail bemalt.
Die Herstellung von Pappmaché-Rohlingen dauert bis zu sechs Monate. Die Pappe wird mehrfach bearbeitet: geklebt, in kochendes Leinöl getaucht und in Öfen getrocknet. Dadurch wird das Werkstück so hart „wie Knochen“.
Ivan Golikov erster von links
Svetlana Shchirova archive„Dann wird es ausgespachtelt, innen rot und außen schwarz grundiert und mit Alkydlack überzogen. Um die Farbe zum Glänzen zu bringen, werden die „Rohlinge“ getüncht und vorbereitet: Die gesamte Komposition wird umrissen, jeder kleine Finger, jedes Händchen und jedes Auge, darauf folgt die eigentliche Malerei. Die fertigen Motive werden dreimal lackiert, mit Bimsstein bearbeitet und vergoldet. Das Gold wird mit dem Reißzahn eines Wolfs oder dem Stoßzahn eines Fuchses poliert, um es zum Glänzen zu bringen. Danach werden sieben weitere Lackschichten aufgetragen. Jede Schicht wird mindestens einen Tag lang in einem nicht zu heißen Ofen getrocknet“, lacht Schtschirowa.
Die Farben, wie auch auf den Ikonen, sind spezielle Temperafarben. Die Maler stellen sie mit Eigelb und Essigwasser selbst her. Die Vorbereitung des Blattgoldes, mit dem das Gemälde verziert wird, ist sehr aufwändig: Entweder wird aus Draht ein hauchdünnes Blatt ausgewalzt und auf die Schatulle geklebt oder das Gold wird in Gummiarabikum, dem Exsudat verschiedener Akazienbäume, aufgelöst. „Es ist ein sehr komplizierter Prozess. Die Feinheit der Linienführung setzt voraus, mit diesem aufgelösten Gold schreiben zu können. Kaum andere Künstler auf der Welt können das“, sagt sie.
„Die Pinsel werden immer noch von den Künstlern selbst hergestellt, und zwar aus dem buschigen Fell von Eichhörnchenschwänzen“, so Schtschirowa, „nicht so, wie man sie in den Geschäften findet: Man kann die Spitze nur mit einer Lupe sehen. Solche Pinsel braucht man für die feine Goldmalerei“.
Die Palech-Miniatur ist nicht nur wegen ihrer Goldornamente und der strengen traditionellen Regeln bemerkenswert, sondern auch wegen ihrer Technik, die Schtschirowa wie folgt beschreibt: „Wenn der Zaun zum Beispiel grün ist, dann ist er einfach grün. Im Palecher Kunstwerk ist das Grün leuchtend und setzt sich aus mehreren Farbtönen zusammen. Unter dem Grün liegt zum Beispiel Gelb. Die Emulsionen werden fein geschmolzen, damit die Farben transparent sind. Es ist eine sehr komplexe Technik für dieses Farben-Spiel erforderlich“.
Mit dem Zusammenbruch der UdSSR zerfielen die Werkstätten der „Genossenschaft für altrussische Malerei“ in zwei Teile: in die „Künstlervereinigung von Palech“ (Objedenenije chudoschnikow Palecha) und die „Palech-Gesellschaft“ (towarischtschestwo Palech). Die in diesen Organisationen zusammengeschlossenen Künstler betreiben ausschließlich Miniaturmalerei. Das Gewerbe aber stand kurz vor dem Aus, trotz staatlicher Unterstützung und der Palech-Schule, die seit den 1930er Jahren fortbesteht.
Palech-Schule
Svetlana Shchirova archive„Die Weitergabe des traditionellen Könnens ist nicht gesichert“, stellt Schtschirowa, Leiterin des Künstlerverbands von Palech, fest. „Heute arbeiten die jungen Künstler zu Hause, sie haben keine Gelegenheit, wie früher Erfahrungen voneinander zu sammeln. Ein junger Mensch absolvierte die Hochschule und verstand erst nach 7 Jahren, warum die Farben in einem Bild so intensiv sind. Ich bin 59 Jahre alt, keines der Kinder meiner Altersgenossen hat Miniaturmalerei studiert. Nach der Hochschule muss man immer noch lange und ausdauernd lernen, um eine gute Miniatur zu malen, die ein Sammler, der schöne Kunst zu schätzen weiß, kaufen wird. Die Hochschule, auch wenn sie gegründet wurde, um Miniaturmalerei zu lehren, kann diese Aufgabe nicht erfüllen. Sie vermittelt auch nicht die Liebe zur Miniaturkunst.“
Palech-Schule
Svetlana Shchirova archiveWie zu sowjetischen Zeiten war das Palech-Kunsthandwerk bis Februar 2022 für den Export tätig: Vor allem ausländische Sammler warteten auf Werke, die sie als Kunstwerke schätzten. In Russland gibt es nur wenige Sammler, und Souvenirs werden von Palech-Künstlern nicht hergestellt.
Ein Künstler mit einer Lupe
Svetlana Shchirova archive„Die Palech Kunst ist sehr komplex und einzigartig: Jedes Stück ist ein Unikat. Kopien werden nur in Hochschulen während des Studiums angefertigt. Für einen normalen Menschen ist diese Kunst unverständlich: Warum ist sie so teuer, warum werden genau diese Motive und diese Komposition abgebildet, was bedeutet der schwarze Hintergrund? Warum sind die Figuren langgestreckt? Überhaupt, warum führen die Traditionen auf den Schatullen auf die Ikonenmalerei zurück?“, erzählt Schtschirowa über die Probleme des Handwerks.
„Genossenschaft für altrussische Malerei“
Svetlana Shchirova archiveSie fügt hinzu, dass eine kleine Schatulle nicht weniger als 5.000 Rubel kosten dürfe, sonst könne sie sofort als Fälschung betrachtet werden. Von diesen 5.000 Rubeln bleibt dem Künstler nach Steuern und abzüglich der Kosten für Strom und Material 1.000 Rubel. Mit der Herstellung einer kleinen Schatulle wird er mindestens eine Woche lang beschäftigt sein. Eine Arbeit kann schon für hunderttausend Rubel verkauft werden, aber das ist der Preis für ein Werk eines angesehenen Künstlers.
Palech-Miniaturmaler
Svetlana Shchirova archive„In unserem Verband gibt es verschiedene Werkstätten mit insgesamt etwa 50 Künstlern, wir versuchen alle jungen Leute anzuwerben. Aber nur etwa zehn von unseren Künstlern sind jung, der Rest ist im Durchschnitt 65 Jahre alt. Die Dynastien sind noch lebendig: Junge Leute aus Palech-Familien können von ihren Eltern Erfahrungen sammeln. Andere, die die Schule verlassen haben und danach „zu Hause“ arbeiten, sehen ihre Fehler nicht, sie können keine Komposition zeichnen - das ist der Anfang vom Ende des Handwerks. Nach dem Abschluss gehen sie in den Bereich der Kirchenmalerei oder Fingernägel lackieren. Das bringt mehr Geld ein. In Kirchen gibt es viel Arbeit, und man muss nicht durch zwei Gläser und eine Lupe schauen“.
Sowjetische Palech-Vereinigung feiert 50-jähriges Bestehen.
Trotz aller Schwierigkeiten werden die Palech-Lackminiaturen überleben, glaubt Swetlana Schtschirowa. Mit staatlicher Hilfe begannen die Palech-Künstler, mit der Uhrenfabrik Poljet zusammenzuarbeiten und Zifferblätter zu malen: „Es ist eine Miniatur der Miniatur, selbst aus unseren Reihen wäre nicht jeder in der Lage, dies zu tun. Menschen in fortgeschrittenem Alter kommen dafür nicht in Frage: Es ist eine zu feine Arbeit, ihre Sehkraft ist zu schwach. Und manche schaffen es einfach nicht: zehn von zwanzig sind geblieben. Aber für Palech ist nichts unmöglich.“
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