Proteste in Moskau: Die Opposition geht auf die Straße

Die Kundgebung fand eine Woche nach den Regionalwahlen statt, bei der die Oppositionspartei Parnas nur zwei Prozent der Stimmen erhalten hatte.

Die Kundgebung fand eine Woche nach den Regionalwahlen statt, bei der die Oppositionspartei Parnas nur zwei Prozent der Stimmen erhalten hatte.

Reuters
Am vergangenen Sonntag fand am Rande Moskaus die zweitgrößte Oppositionsveranstaltung des Jahres statt. Bis zu 7 000 Menschen kamen zusammen, um unter dem Motto „Für die Absetzbarkeit von Staatsbeamten!“ zu demonstrieren. Experten bezweifeln jedoch, dass die Opposition in ihrer jetzigen Form eine Zukunft haben wird.

Am Sonntagabend veranstaltete die Opposition am Moskauer Stadtrand eine Kundgebung unter dem Motto „Für die Absetzbarkeit von Staatsbeamten!“. Sie fand zum Jahrestag der sogenannten „Rochade“ von 2011 statt, als Wladimir Putin die Kandidatur für seine dritte Amtszeit als Präsident verkündete und der amtierende Präsident Dmitrij Medwedjew auf eine eigene Kandidatur verzichtete.   

An der von der Stadtverwaltung genehmigten und ursprünglich für bis zu 40 000 Teilnehmer ausgelegten Demonstration nahmen nach Angaben des Innenministeriums 4 000, nach Einschätzung der Organisatoren bis zu 7 000 Menschen teil. Es war damit die zweitgrößte Oppositionsveranstaltung in diesem Jahr. Lediglich der Trauerzug für den im Februar 2015 ermordeten ehemaligen Vize-Ministerpräsidenten der Russischen Föderation und führenden Oppositionspolitiker Boris Nemzow mit nach offiziellen Angaben 16 600 Teilnehmern war größer.

Die Veranstalter zeigten sich zufrieden mit der Veranstaltung: „Obwohl wir an den Rand der Hauptstadt verdrängt wurden, kamen recht viele Leute“, erklärte der stellvertretende Vorsitzende der Partei Parnas Ilja Jaschin gegenüber RBTH. „De facto gibt es keine andere oppositionelle politische Kraft, die in Anbetracht des Drucks und der ständigen propagandistischen Attacken in der Lage wäre, so viele Anhänger zu mobilisieren.“

Die falsche Tagesordnung

Die Opposition erklärte sich damit einverstanden, die Veranstaltung inmitten des Satelliten-Wohnbezirks Marino durchzuführen, nach dem sie für das Stadtzentrum keine Genehmigung der Stadtverwaltung erhalten hatte. Während die Organisatoren bei früheren Veranstaltungen einen solch entlegenen Veranstaltungsort als unzumutbar bezeichnet hatten, entschieden sie sich dieses Mal dafür, ihr „Recht auf das Zentrum“ nicht mit einem Boykott zu erkämpfen. „Wenn wir tatsächlich politische und ökonomische Forderung an diese Regierung haben, so können wir diese auch in Marino äußern“, schrieb der Initiator der Kundgebung und Führer der liberalen Opposition Alexej Nawalnyj in seinem Blog.

Neue wirtschaftliche Forderungen wurden letztlich jedoch nicht aufgegriffen. Stattdessen blieb es bei den politischen Anliegen: Aufhebung der Zensur, die in Russland offiziell gar nicht existiert, da sie durch die Verfassung verboten ist, Freilassung der politischen Gefangenen, die Beendigung des Kriegs in der Südost-Ukraine, ein verstärkter Einsatz gegen Korruption und einen „bedingungslosen Zugang der Opposition zu den Wahlen“.

Die Kundgebung fand eine Woche nach den Regionalwahlen statt, bei der die Oppositionspartei Parnas rund zwei Prozent der Stimmen erhalten hatte und deshalb in keines der Regionalparlamente eingezogen war. Nach dieser Niederlage habe Alexej Nawalnyj nicht einfach „im Hintergrund bleiben“ können, glaubt der Leiter der unabhängigen Politischen Expertengruppe Konstantin Kalatschew. Mit der Hauptforderung – der Absetzbarkeit von Staatsbeamten – hätte die Opposition aber wohl verfehlt, ein entscheidendes Thema anzusprechen: „Die Absetzbarkeit ist eine gute Idee, aber auf Regionalebene, zum Beispiel in Irkutsk, gibt es sie. Die Menschen in den Regionen sorgen sich jedoch viel mehr um soziale Probleme“, so Kalatschew. Seiner Meinung nach stünde die Opposition noch viel schlechter dar, würde sie mit dieser Forderung eine Kampagne auf föderaler Ebene starten. „Mit so einer Losung bei den Wahlen zur Staatsduma anzutreten, bei denen 14 Parteien an den Start gehen, die das Recht haben, ohne Unterschriftensammlung an den Wahlen teilzunehmen, wäre irgendwie seltsam. Die Mehrheit der Bevölkerung würde das nicht akzeptieren.“

Geschwächt, aber nicht geschlagen

Gleichzeitig ließe sich jedoch nicht behaupten, dass die beiden Projekte der Opposition – die Wahlen und die Kundgebung – völlig gescheitert wären, sagt der Generaldirektor des unabhängigen Zentrums für politische Informationen Alexej Muchin. Sie hätten dennoch für Aufmerksamkeit gesorgt. „Allerdings ist es leider nur die Aufmerksamkeit ausländischer Beobachter. Das ist etwas beunruhigend, da es die Opposition als eine dubiose Fünfte Kolonne erscheinen lässt.“ Auch ohne das unglücklich gewählte Anliegen würde der Einfluss „recht effektiv“ geschmälert, glaubt Muchin, und spielt damit auf den sich entfaltenden Kampf gegen die Korruption an. Die Opposition müsse die Liste der Themen, mit der sie sich an die Gesellschaft wende, erweitern. Den Menschen reichten Proteste ausschließlich des Protestes wegen nicht mehr. „Die Kundgebung in Marino hat das deutlich gezeigt“, so Muchin.  

Indessen glaubt die Opposition selbst nicht an ein Aussterben der Proteststimmung. Auch der Rückgang an demonstrationswilligen Menschen in den vergangenen Jahren sei zu erklären: „Nach Kundgebungen wurden Teilnehmer festgenommen, vor Gericht gebracht und mussten Hausdurchsuchungen und Verhöre über sich ergehen lassen. Der Führer der Opposition, Boris Nemzow, wurde ermordet. Vor diesem Hintergrund ist die Zahl der Demonstranten zurückgegangen, aber die Zahl der Unzufriedenen wächst“, glaubt Jaschin.

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