Fragen und Antworten: Der Prozess gegen Nadija Sawtschenko

Die ukrainische Pilotin Nadija Sawtschenko.

Die ukrainische Pilotin Nadija Sawtschenko.

Reuters
Die ukrainische Pilotin Nadija Sawtschenko ist am Montag der Beihilfe zum Mord an zwei Journalisten für schuldig gesprochen worden. Nun droht ihr bis zu 23 Jahren Haft. Das genaue Strafmaß gibt das Gericht erst morgen bekannt. Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Skandal-Prozess.

Wer ist Nadija Sawtschenko?

Die Frau auf der Anklagebank ist Oberleutnantin der ukrainischen Armee und Abgeordnete des ukrainischen Parlaments. Den Abgeordnetenstatus erhielt sie, als sie bereits in Russland in Untersuchungshaft saß. In russischer Haft befindet sie sich seit Juli 2014.

Wie lautet die Anklage?

Die russischen Ermittler bezichtigen die Pilotin der Beihilfe zum Mord an Anton Woloschin und Igor Korneljuk, zwei Journalisten des russischen Staatsfernsehens. Diese waren am 17. Juni 2014 bei einem Artilleriebeschuss durch die ukrainische Armee in der Ostukraine ums Leben gekommen. Sawtschenko soll das Geschützfeuer angeblich gezielt auf die Reporter gelenkt haben.

Sie ist zudem des illegalen Grenzübertritts angeklagt. Die Ermittler behaupten, Sawtschenko habe sich als Flüchtling ausgegeben und sich ohne Papiere nach Russland abgesetzt. Zuvor hätte sie versucht, der Volksmiliz der selbst ernannten Lugansker Volksrepublik zu entkommen. Sie wurde in Russland im Verwaltungsgebiet Woronesch verhaftet.

Mehrere Zeugenaussagen belasten die Angeklagte. Die Aussagen stammen von Aufständischen aus der Lugansker Volksrepublik, die an den Kämpfen beteiligt waren und die Pilotin gefangen nahmen. Auch die Staatsanwaltschaft betont, dass Sawtschenko zuvor in einem Interview für eine russische Zeitung gesagt hätte, sie habe das Feuer auf die russischen Journalisten gelenkt. Später widerrief Sawtschenko ihre Aussage.

Die Anklage fordert 23 Jahre Haft für Sawtschenko – damit liegt sie nur knapp unter der Höchststrafe von 25 Jahren.  

Welche Position vertritt die Verteidigung Sawtschenkos?

Sawtschenko bestreitet jegliche Schuld. Die Verteidigung plädiert für einen Freispruch. Es soll Beweise geben, dass Sawtschenko zum Zeitpunkt des Beschusses der Journalisten bereits in Gefangenschaft der Rebellen war. Diese hätten sie später über die Grenze gebracht und dem russischen Geheimdienst übergeben. Die Verteidigung beruft sich dabei auf die Verbindungsdaten von Sawtschenkos Mobiltelefon sowie auf eine Videoaufnahme der Aufständischen. In diesem Video ist die verhaftete Pilotin zu sehen – mutmaßlich vor dem Tod der Journalisten.

Ihre Anwälte sprechen von einem Schauprozess. Sie hoffen, dass Sawtschenko nach der Urteilsverkündung gegen in der Ukraine vor Gericht stehende Russen ausgetauscht werden kann. Seit ihrer Verhaftung ist Sawtschenko mehrmals in Hungerstreik getreten. Seit einer Woche verweigert sie nun auch die Flüssigkeitsaufnahme. Sawtschenko drohte, sie werde so lange damit fortfahren, bis sie in die Ukraine zurückgebracht werde.

Was sagen die Ukraine und der Westen zum Prozess gegen Sawtschenko?

Der Fall wird von der internationalen Politik scharf kritisiert. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko bezeichnet den Prozess gegen die Pilotin als Farce, die das Völkerrecht verletze. Er fordert Russland zur sofortigen und bedingungslosen Freilassung der Pilotin auf.

Washington und Brüssel verweisen im Fall von Sawtschenko auf das Minsker Abkommen. Der US-Außenminister John Kerry sagte am Vorabend der Gerichtsverhandlung, dass dieser Prozess internationale Standards und Verpflichtungen verletze, die Russland im Rahmen der Minsker Vereinbarungen auf sich genommen hätte.

Im Zusammenhang mit diesem Prozess haben 57 Abgeordnete des Europäischen Parlaments neue Sanktionen gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin sowie weitere 28 Personen gefordert. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats weigert sich, der russischen Delegation ihre Stimmrechte zurückzugeben, solange Sawtschenko in Haft bleibt.

Welche Rolle spielen die Minsker Vereinbarungen?

Die Minsker Vereinbarungen regeln die Freilassung und den Austausch aller Geiseln und gesetzeswidrig festgehaltenen Personen im Ukraine-Konflikt. Doch wie der Leiter des Instituts für Politikanalyse Ewgenij Mintschenko bemerkt, finden sie in diesem Fall keine Anwendung: „Sawtschenko ist offiziell des Mordes angeklagt und zählt zu keiner der genannten Gruppen.“ Zudem betreffen die Minsker Vereinbarungen lediglich die Ukraine und die nicht anerkannten Volksrepubliken. Deswegen sei ein Gefangenenaustausch zwischen Moskau und Kiew de jure gar nicht möglich.

Welche Bedeutung hat der Sawtschenko-Fall?

Der Prozess gegen Sawtschenko steht eigentlich kaum im Zusammenhang mit den US-amerikanischen Sanktionen gegen Russland. Diese wurden aus einem ganz anderen Grund verhängt: der Eingliederung der Krim in die Russische Föderation. Doch die Politisierung des Prozesses gebe „einen neuen Vorwand, um Russland die Verletzung der Minsker Vereinbarungen vorzuwerfen“, bemerkt Dmitrij Danilow, stellvertretender Leiter der Abteilung für Europäische Sicherheit am Europa-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften. Und dieses Vorgehen könnte auch bei anderen Konfliktthemen eingesetzt werden.

Wie groß sind die Chancen, dass Moskau nachgibt?

Russische Experten behaupten, dass die Chancen fast gleich null sind. Bedenkt man die Schwere der Anschuldigungen sowie die öffentliche Aufmerksamkeit zu diesem Prozess, ist ein mildes Urteil sehr unwahrscheinlich. Der Prozess ist für Moskau zu einer Frage des Prinzips geworden. „Russland, als ein Staat mit Selbstachtung, muss zeigen, dass es dem offensichtlichen externen Druck nicht nachgibt“, erklärt Alexej Zudin, Politologe und Mitglied im Expertenrat des Instituts für sozioökonomische und politische Studien.

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