Moskaus neun Hauptbahnhöfe und ihre neun verschiedenen Geschichten

Reise
WLADIMIR KOSLOW, DARJA GONZALES
Seit Beginn der russischen Eisenbahn ist Moskau das Zentrum des russischen Schienennetzes. Die meisten der  insgesamt neun Bahnhöfe entstanden an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert. Ihre Entstehungsgeschichte ist eng verwoben mit der technischen und politischen Entwicklung des Landes.

1. Kiewer Bahnhof

Der Ort, an dem heute der Kiewer Bahnhof steht, war schon immer ein Verkehrsknotenpunkt Moskaus. Im späten 16. Jahrhundert arbeiteten in der nahen Dorogomilowskaja-Siedlung vor allem Pferdewirte und Kutscher, die den Einwohnern ihre Dienste als Taxi anboten. Dass dann gerade hier Ende der 1890er Jahre ein Bahnhof entstand, der Moskau mit Brjansk, Woronesch und eben Kiew verband, hat dann auch kaum jemanden überrascht.

Das heute noch bestehende Bahnhofsgebäude wurde dann als Monument zum 100. Jubiläum des russischen Sieges über Napoleons Armee 1812 geplant. 1912 wurde also das alte Bahnhofsgebäude, das gerade einmal etwas mehr als 20 Jahre gestanden hatte, abgerissen. Angeblich hassten die Moskauer das alte Gebäude, warfen der Eisenbahngesellschaft Geiz vor und verglichen das Gebäude mit einer Dorfhütte.

Das neue Bahnhofsgebäude entwarf der Architekt Iwan Rerberg im zum Klassizismus gehörenden Empire-Stil und Elementen des Neoklassizismus. Der außergewöhnlichste Teil ist das Glasdach über den Bahnsteigen – eine Konstruktion des berühmten Ingenieurs Wladimir Schuchow.

Baubeginn war im Mai 1914, nur wenige Wochen vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Die Arbeiten zogen sich dann durch die Wirren rund um das Revolutionsjahr 1917 und konnten erst 1920 völlig abgeschlossen werden.

Zunächst trug der Bahnhof den Namen Brjansker, erst 1934 wurde er in Kiewer Bahnhof umbenannt.

2. Belorussischer Bahnhof

Der Weißrussische Bahnhof wird oft als Moskaus “Fenster nach Europa” bezeichnet, weil hier aus die Nachtzüge nach Warschau, Prag, Berlin und Paris abfahren. Seit seiner Eröffnung 1870 hat er immer wieder seinen Namen gewechselt: Smolensker, Brester (nach den Städten auf dem Weg gen Westen) und Alexander-Bahnhof hieß er schon, bevor er 1936 seinen heutigen Titel erhielt.

Der Bahnhof war Dreh- und Angelpunkt vieler historischer Ereignisse: 1896 wurde hier ein Zarenpavillon für Nikolaj II. eingerichtet, der zu seiner Krönung nach Moskau reiste. Zu Sowjetzeiten begrüßten die Menschen hier den legendären russischen Piloten Walerij Tschkalow nach seinem Rekordflug von Moskau über den Nordpol nach Vancouver (US-Bundesstaat Washington). Während des Zweiten Weltkriegs starteten von hier aus die Einheiten der Roten Armee an die Westfront – und wer überlebte, kehrte 1945 über diesen Bahnhof unter großem Jubel wieder heim.

Das Bahnhofsgebäude, wie wir es heute sehen, ist von dem Architekt Iwan Strukow entworfen und 1912 eröffnet worden.

3. Kursker Bahnhof

Der Eisenbahn-Boom im Russland der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde noch angeheizt durch den desaströsen Krim-Krieg. Die schlechten Straßen bremsten die Truppen aus. Darum wurde 1857 die Russische Eisenbahngesellschaft gegründet, die das Schienennetz schnell ausbauen sollte. Dafür heuerte sie unter anderem französische Ingenieure und deutsche Firmen an.

Eines dieser dringenden neuen Projekte war der Bau der Verbindung Moskaus mit Nischnij Nowgorod, Kursk und Murom. Der dazugehörige Kursker Bahnhof entstand 1896. Auch bei der Rekonstruktion wurde das Ausgangsbild weitestgehend beibehalten.

Erst 1972 wurden junge Architekten mit der Umgestaltung des Bahnhofs beauftragt. Inspiration holten sie sich damals beim Hauptbahnhof in Rom. Darum wurde beispielsweise das gesamte historische Gebäude mit einer moderneren Glasfassade eingefasst. In den 2000er Jahren folgte dann noch der Bau des riesigen Atrium-Einkaufszentrums, dass direkt an den Bahnhof angeschlossen ist, sodass der Kursker Bahnhof sich heute deutlich von seinen Kollegen, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert gestaltet wurden, abhebt.

4. Leningrader Bahnhof

Der Leningrader Bahnhof ist der älteste Bahnhof Moskaus. Bei seiner Eröffnung im Jahr 1849 erhielt er zu Ehren des damaligen Zaren Nikolaus I. den Namen „Nikolai-Bahnhof". 1923 wurde er dann zum Gedenken an die Oktoberrevolution von 1917 in „Oktober-Bahnhof" umbenannt. Erst 1937 erhielt der Bahnhof seinen heutigen Namen: Leningrader Bahnhof. Seither treten dort täglich unzählige Bahngäste ihre Reise nach St. Petersburg (zur Sowjetzeit Leningrad), Welikij Nowgorod, Helsinki oder Tallinn an.

Russlands erste Eisenbahn, die Nikolaibahn, verband Sankt Petersburg und Moskau. Der Bau begann im Jahr 1843. Architekt Rudolf Scheljasewitsch entwarf Pläne für dazwischenliegende Stationen und reichte einen Entwurf für den Sankt Petersburger Bahnhof ein, der jedoch abgelehnt wurde. Nikolaus I. entschied sich für den Vorschlag des bereits erfahrenen Konstantin Ton. Der nach dessen Entwurf errichtete Bahnhof Zarskosselski war schön und gefiel den Passagieren. Von 1849 bis 1852 wurde der aus Holz errichtete Bahnhof in ein Steingebäude umgebaut.

Der Bau der Bahnhöfe in Moskau und Sankt Petersburg begann zeitgleich im Jahr 1844. Der Ort, an dem sich heute der Moskauer Bahnhof in Sankt Petersburg (1849 fertiggestellt) befindet, lag damals am Stadtrand der nördlichen Hauptstadt.

Seit 1851 verkehren regelmäßig Züge zwischen den zwei russischen Hauptstädten.

5. Jaroslawler Bahnhof

Wo heute am Platz der drei Bahnhöfe der Jaroslawler Bahnhof neben dem Leningrader und Kasaner Bahnhof steht, befand sich einst ein Artilleriegericht, eine Waffenfabrik und ein Einkaufszentrum. Im Krieg gegen Napoleon 1812 jedoch brannte die gesamte Gegend nieder. Auslöser waren Explosionen im Waffenlager der Fabrik.

Das erste Bahnhofsgebäude, das damals noch Troizkij hieß, entstand 1862 und bediente unrsprünglich die Vorortverbindung Moskau – Sergijew Possad. Mit der Erweiterung des Schienennetzes erhielt die Station den Namen Nordbahnhof.

Das neue Bahnhofsgebäude wurde 1904 nach Plänen des deutschstämmigen Moskauer Jugendstil-Architekten Fjodor Schechtel errichtet, der dabei Elemente der Architektur des russischen Mittelalters in den Neubau einbrachte. Seit 1955 heißt der Bahnhof nun Jarowslawler bahnhof.

Interessant ist, dass gleich mehrere Personen, die mit dem Bau des Bahnhofs und der Bahnstrecke betraut waren, Verbindungen zur russischen Literatenszene unterhielten. Der Ingenieuw Fjodor Tschichow, der den Bau überwachte, war parallel auch Lektor für Nikolaj Gogols Texte. Und der Hauptgeldgeber des Baus, Abdrej Delwig, war der Neffe des berühmten Dichters Anton Delwig.

6. Kasaner Bahnhof

Der Kasaner Bahnhof ist die wohl aufgeregteste Zugstation Moskaus. Hier steigen 20 Prozent aller Moskauer Eisenbahnfahrgäste ein, aus und um.Von hier schwärmen Eisenbahnen in drei völlig verschiedene Richtungen aus: in den Süden, den Osten und den Südosten – nach Woronesch, Rostow am Don, Krasnodar und Sotschi/Adler sowie die Kaukasusregion und natürlich Kasan, die Hauptstadt Tatarstans sowie in Richtung Sibirien. 

Das erste Bahnhofsgebäude entstand in den frühen 60er Jahren des 19. Jahrhunderts für die Strecken nach Rjasan und Kasan. Für den Neubau im Neo-Russischen Stil, den Sie bis heute bewundern können – erst recht nach der Renovierung im vergangenen Jahr! – wurde 1913 der Grundstein gelegt, vollendet wurde er 1940.

7. Sawjolowo-Bahnhof

Der Sawjolowo-Bahnhof ist der einzige der neun Moskauer Hauptbahnhöfe, der nach einer relative unbekannten Kleinstadt benannt ist. Die Idee zu der Strecke in das kleine, nur 130 Kilometer von Moskau entfernte Sowjolowo stammte von Sawwa Mamontow, dem damaligen Chef der Moskau-Jaroslawler-Eisenbahngesellschaft.

Nach langem Hin und Her zwischen der Moskauer Stadtregierung und dem Gebiet um die Stadt herum wurde der Bahnhof 1902 dann doch eröffnet. In den 2000er Jahren erwägte man zeitweise eine völlige Schließung und Zusammenlegung mit dem Rigaer Bahnhof.

Heute fahren am Sawjolowo-Bahnhof ausschließlich Regionalbahnen, die längeren Strecken in Richtung Uglitsch und Rybinsk wurden an andere Bahnhöfe verlegt.

8. Rigaer Bahnhof

Der Bau des Rigaer Bahnhofs began 1897 und dauerte vier Jahre. Hauptziel war es, die Wirtschaft durch neue Direktverbindungen an die Ostsee anzukurbeln. 1902 wurde das Bahnhofsgebäude im russischen Neo-Renaissance-Stil dann eröffnet.

Vom Rigaer Bahnhof aus verkehren heute noch Züge über Toropez nach Welikije Luki und natürlich ins lettische Riga. Auf dem Bahnhofsgelände befindet sich außerdem ein Eisenbahnmuseum. Hier können Sie Touren und Führungen zu alten Dampfloks und mit historischen Zügen buchen.

9. Pawelezer Bahnhof

Der Pawelezer Bahnhof unddie ihm angeschlossenen Strecken waren zunächst vor allem zur Bedienung der Eisenbahngesellschaft Rjasan-Ural gedacht. diese war der damals größte private Verkehrsanbieter. 1900 gehörten ihr über 3500 Streckenkilometer. Das Rjasaner Gebiet, wohin die Hauptstrecke führte, war für das Russische Zarenreich als Verbindung in den Brot liefernden Süden von größter Bedeutung. Heute verkehren von hier aus Züge nach Almaty in Kasachstan, nach Wolgograd, Astrachan, Saratow sowie zu der Schwarzmeerhafenstadt Noworossijsk.