„Ich habe nur fünf Tage in Naryan-Mar verbracht. Aber ich habe in diesen fünf Tagen sehr viel erlebt. Ich besuchte einen Schlittenwettbewerb, probierte die Produkte der Fleischfabrik Naryan-Mar, bereitete Hirschchips zu, machte einen Ausflug in die Malozemelskaya-Tundra und wohnte bei einer Familie mit zehn Kindern! Ich habe im Timan-Museum und -Restaurant einen salzigen Kuchen aus Mürbeteig gebacken, einen Tipi-Bauer getroffen und Zwiebeltee getrunken", schreibt der Reisende John Warren, ein Koch und Fernsehmoderator, im Vorwort zu seinem Buch-Projekt „Naryan-Mar. Das ist mein Land“.
Hier, so Warren, habe er verstanden, dass die Menschen umso optimistischer sind, je härter die Lebensbedingungen und das Klima sind, und dass sie die kleinen Freuden des Lebens sehr viel mehr wertschätzen als die Menschen in den Großstädten.
Naryan-Mar ist das Zentrum und die einzige Stadt im Autonomen Gebiet der Nenzen. Diese abgelegene Region befindet sich jenseits des Polarkreises, ganz nah am Nordpolarmeer. Die einheimische Bevölkerung sind die Nenzen, ein Volk von Nomaden und Rentierzüchtern. Aus ihrer Sprache übersetzt bedeutet der Name Naryan-Mar „Rote Stadt“.
Wir haben die Beteiligten von Warrens Literaturprojekt gebeten, uns etwas über Naryan-Mar zu verraten.
Warum ist die Stadt einen Besuch wert?
Juri Tjuljubajew, Leiter des Reiseunternehmens Red City: „Das Autonome Gebiet der Nenzen ist der einzige Ort in Europa, an dem ein einheimisches Nomadenvolk seine jahrhundertealte Lebensweise bewahrt hat. Hier können Besucher das wahre - nicht rekonstruierte oder ‚digitalisierte‘ - Leben der Nomaden kennen lernen und den am dünnsten besiedelten Teil Russlands besuchen.“
Andrej Suleikow, Autor und Sponsor des Projekts: „In Naryan-Mar haben viele Häuser ihre eigenen Namen - Titanic, Bastille, Rotkäppchen - und jedes hat seine eigene Legende. Die Stadt hat auch ihre eigene Chinesische Mauer: So nennen die Anwohner die zusammenhängenden Wohnblöcke Nr. 12 und 14 in der Wjutschejskij-Straße, deren Standort, wie sie sagen, nach der bekannten Feng-Shui-Methode gewählt wurde. Die Legende besagt, dass beim Bau dieser Wohnblocks das Prinzip „Baum und Berg“ der chinesischen Architektur angewandt wurde, bei dem Säulen Bäume und Türme Berge symbolisieren. Die aneinandergereihten Wohnblöcke haben Türme, während die Bäume symbolisch durch rote, rechteckige Erker dargestellt werden, die über die Fassadenlinie hinausragen.
Dies ist auch von oben zu sehen. So berichten besonders aufmerksame Bewohner von Naryan-Mar, dass sie mehr als einmal beobachtet haben, wie sich Zugvogelschwärme am Himmel über der örtlichen Chinesischen Mauer drehen. Das heißt, die Vögel orientieren sich an diesem Bauwerk.
Was gibt es zu sehen? Welche Unternehmungen werden empfohlen?
Juri Tjuljubajew: „Sie müssen unbedingt ein Tipi besuchen, mindestens einen Kilometer mit einem Rentierschlitten fahren und ‚ayburdat‘ - frisches blutiges Rentierfleisch - probieren. Vielleicht wird es Ihnen zunächst wild vorkommen, aber Sie werden sich fühlen, als wären Sie kurz zu Ihren Wurzeln zurückgekehrt, denn so haben unsere Vorfahren gelebt und gegessen.“
Andrej Suleikow: „Jenseits des Polarkreises blühen Pflanzen in Büschen. Dieser Busch ist komplett weiß - das sind Moltebeeren und Blaubeeren. Diese rosafarbenen Büsche sind Weideröschen. Außerdem wachsen hier Eberesche, Mittagsblumen, wilder Rosmarin und Geranien. Stellen Sie sich vor, jede Blume hier hat zwei-, dreimal so viel Nektar wie gewöhnliche Blumen, und jede Blume wartet auf eine Biene, schrieb der sowjetische Schriftsteller Michail Prischwin in seinem Essay ‚Polarhonig‘.
In Naryan-Mar sollten Sie also unbedingt den regionalen Honig und die damit gebackenen Lebkuchen probieren. Beides gibt es ausschließlich in dieser Region. Sie werden traditionell aus Lebkuchenhäusern verkauft. Wenn man einem Fremden einen köstlichen Lebkuchen schenkt, darf man sich etwas wünschen und der Wunsch geht garantiert in Erfüllung.“
Welche Souvenirs sollte man mit nach Hause nehmen?
Juri Tjuljubajew: Das beste Souvenir, das man mitnehmen kann, sind schöne Erinnerungen an das, was man gesehen hat. Erinnerungen an die starken Menschen, denen man begegnet ist und an die interessanten Orte, die man besucht hat. Was materielle Souvenirs angeht, so gibt es im Autonomen Gebiet der Nenzen eine Vielfalt an handgefertigten Gegenständen aus natürlichen Materialien, sowohl traditionelle (wie die Ukko-Puppe) als auch moderne (wie zum Beispiel Kühlschrankmagnete aus Hirschhörnern).
Andrej Suleikow empfiehlt eckiges Brot: „Es ist eine gute Tradition, handgeknetetes Brot von seinen Reisen mitzubringen, denn so nimmt man nicht nur das Essen mit, sondern auch die Wärme der Hände der Menschen, die es gebacken haben. Aber es ist nicht nur das. In Naryan-Mar gibt es eine Legende: Wenn du ein guter Mensch bist, kannst du Schmuck im Brot finden. Dieses Brot wird auf quadratischen Blechen gebacken und nicht mit einem Messer, sondern mit Rentiersehnen geschnitten.