Willkommen in Gus-Chrustalnyj: Die Heimat des russischen Kristallglases (FOTOS)

Sergej Bobylew/TASS
Kristall stand schon immer auf der Wunschliste jeder sowjetischen Familie: Es war sehr teuer und galt als Luxusgut. Und es wird von vielen Familien immer noch geschätzt. Das begehrteste Kristall in Russland war das aus der Stadt Gus-Chrustalnyj (heute 60.000 Einwohner) – hier werden seit über 250 Jahren kunstvolle Gläser, Karaffen und Vasen hergestellt! Schauen wir uns an, wie der „Kristalltourismus“ dort organisiert wird.

Warum russisches Kristall so berühmt ist

Das Denkmal für Akim Malzow.

Im Jahr 1756 errichtete der Industrielle Akim Malzow am Ufer des Flusses Gus eine Glasfabrik. Dort gab es reichlich Sand, Wasser und Holz, die für die Herstellung benötigt wurden, sowie eine gute Lage in der Nähe der Städte des Goldenen Rings. Seine Nachkommen führten das Unternehmen später weiter.

Altes Malzow-Glas.

Weltweite Berühmtheit erlangte der Gus-Kristallglas Mitte des 19. Jahrhunderts durch ein tragisches Ereignis. Im Jahr 1828 diente der Fabrikbesitzer Iwan Malzow (ein Enkel von Akim Malzow) in der russischen diplomatischen Mission in Persien, die von dem Schriftsteller Alexander Gribojedow geleitet wurde. Malzow war der einzige Überlebende der Erstürmung des Botschaftsgebäudes durch einen aufgewiegelten Mob, bei der alle Diplomaten ermordet wurden. Der Schah von Persien gewährte Malzow als Entschuldigung das Recht auf zollfreien Handel mit Kristallglas und schon bald verbreiteten sich die Gus-Glaswaren in anderen Ländern und erlangten internationalen Ruhm.

Die Fabrik zu Zeiten der Sowjetunion.

Während der Sowjetzeit wurde das Werk in Gus-Chrustalnyj verstaatlicht, blieb aber dennoch das Hauptunternehmen der Stadt, das rund um die Uhr Kristallglas herstellte. Jeder kann sich bei einer Besichtigung selbst davon überzeugen.

Erleben Sie die Geburt des Kristallglases

Glasblasen.

Heute sind in der Kristallfabrik etwa hundert Mitarbeiter beschäftigt, darunter Designer, Handwerker und Polierer. Ihre Arbeit ist körperlich unglaublich anstrengend.

All diese Vasen und Karaffen werden mit einem Metallrohr bei einer Temperatur von 1.250 Grad Celsius geblasen. Man stelle sich nur die Hitze in den Öfen vor! Und solange das Kristallglas zähflüssig ist, bringen die Glasbläser es mit ihren Instrumenten in die gewünschte Form.

Einzelne Stücke – Souvenir-Figuren von Pferden oder Blumen – werden in speziellen Formen „gebacken“. Dann wird das Stück zum Brennen und Polieren geschickt.

Andere Kunsthandwerker markieren die Facetten, die künftige Zeichnung und gehen zur Finischbearbeitung über.

„Hier bilden wir die Glasbläser-Meister direkt am Arbeitsplatz aus. Aber es gibt keine Fluktuation – sie wollen mit Eintritts des Rentenalters einfach nicht in den Ruhestand gehen“, sagt der Fremdenführer des Werks.

Um ein gefärbtes Objekt zu erhalten, werden der Glasmasse verschiedene chemische Elemente zugefügt, die als Farbstoffe wirken: Blau entsteht aus Kobalt, Purpur aus Mangan, Rot aus Selen und Lila aus Neodym. Die Artikel mit einer Pink-Färbung sind die teuersten, weil diese Farbe aus dem Element Erbium erzeugt wird, das zu den Seltenen Erden gehört.

Das Werk fertigt sowohl in Serie als auch auf Bestellung. Die originellsten Werke sind im Museum des Werks ausgestellt: darunter eine Sau mit 15 Ferkeln, eine Kuh im Sarafan, Kokoschniks und viele andere Kuriositäten. Natürlich kann all dies nicht in einem kleinen Raum untergebracht werden. Deshalb werden die meisten Gus-Kristall-Erzeugnisse aus verschiedenen Epochen – und das ist wirklich einzigartig – in einer nahen gelegenen Kirche ausgestellt.

Tempel des Kristalls

Das Museum des Kristalls.

Zunächst ist es schwer zu glauben, dass dieses majestätische Gebäude aus rotem Backstein tatsächlich eine orthodoxe Kirche ist. Wo sind die Kuppeln? Wo ist der Glockenturm? Noch vor einem Jahrhundert verfügte das Gebäude über all diese Attribute. In den 1890er Jahren beschloss der Fabrikbesitzer Juri Netschajew-Malzow, neben dem Werk eine orthodoxe Kirche bauen zu lassen, die in ihrer Form einer europäischen Basilika ähneln, aber im russischen Stil gestaltet sein sollte. Das Projekt wurde von dem Architekten Leon Benois und dem Künstler Wiktor Wasnezow entwickelt.

So sah die Kirche aus.

Die St.-Georgs-Kathedrale erhielt einen basilikaähnlichen Innenraum, einen traditionellen russischen Glockenturm und eine neorussische Architektur. Mitte der 1920er Jahre entfernten die Bolschewiki den Glockenturm, die Kuppeln, den Altar und andere religiöse Elemente und verwandelten die Kathedrale in ein Kino. Im Jahr 1983 wurde beschlossen, dort ein Museum einzurichten, da das Werk nicht alle Exponate aufnehmen konnte. So wurde die orthodoxe Kathedrale in einen „Kristall-Tempel“ verwandelt. Dennoch sind ein Mosaik im Altarbereich, das Gemälde Das Jüngste Gericht von Wasnezow und einer der zwölf im Werk von Gus-Chrustalnyj angefertigten Kristalllüster erhalten geblieben.

Im Inneren des Museums.

Heute gibt es mehr als 2.000 einzigartige Stücke aus normalem und aus Kristallglas. Es gibt Vasen, die Gus-Chrustalnyj einst nach Persien schickte, Agit-Kristall mit bolschewistischen Motiven sowie kreative Stücke moderner Handwerkskunst.

Malzows Häuser

Malzow Häuser, Oktjabrskaja Straße.

Die Arbeit im Werk war sehr hart, aber die Malzows boten, wie wir heute sagen würden, ein beeindruckendes Leistungspaket, allem voran eine Betriebswohnung in einem neuen Backsteinhaus mit allen Annehmlichkeiten. Solche Sozialleistungen und Lebensbedingungen waren für einen gewöhnlichen Arbeiter zu dieser Zeit die absolute Ausnahme. Insgesamt wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 425 solcher Häuser gebaut, aber nur 247 sind bis heute erhalten geblieben. Sie alle sind als Objekte des kulturellen Erbes der Stadt – und als Wahrzeichen – anerkannt.

„Jedes Haus ist in mehrere Wohnungen unterteilt, und die Bewohner haben auch einen kleinen Garten Unser Haus hat zum Beispiel nur sieben Wohnungen, jede hat ihre eigene Heizung“, sagt eine Frau aus dem Ort. Es ist jedoch verboten, diese Häuser umzubauen: Die Eigentümer sind verpflichtet, den Zustand dieser Baudenkmäler zu bewahren. Allerdings werden die Wohnungen nur sehr selten auf dem Immobilienmarkt angeboten, und wenn eine auftauchen, wird sie sofort gekauft. Das liegt daran, dass viele Menschen in solchen Häusern leben wollen.

Mehr Kristall!

Ein Geschäft im Zentrum von Gus-Chrustalnyj.

Eine alte russische Stadt ohne Einkaufspassagen ist kaum vorstellbar. Das Zentrum von Gus-Chrustalnyj ist voll von typischen Gebäuden aus der Mitte des 19. Jahrhunderts mit eleganten Säulen und Balkonen und beherbergt auch das offizielle Geschäft des Kristallwerks. Der Preis für gewöhnliches Glas beginnt bei etwa 2.000 Rubel (ca. 35 Euro). Ein Paar Kristall-Trinkgläser kostet das Fünffache. „Sie können unsere Produkte von Fälschungen wie folgt unterscheiden:“, erklärt ein Verkäufer, „Erstens stellt die Fabrik nur klassisches Kristallglas her, kein normales Glas, und zweitens sind unsere Produkte sehr teuer, da sie handgefertigt sind.“

Auf dem örtlichen Markt.

Wenn Ihre Seele nach Kristallglas verlangt, Ihr Budget aber begrenzt ist, gibt es eine andere Möglichkeit. In der Stadt existieren etwa 10 Glasmanufakturen. Sie stellen Kronleuchter, Geschirr, Souvenirs und technisches Industrieglas her. All das und noch viel mehr kann man auf dem größten Glasmarkt sehen, der neben einheimischen Waren auch Glas und Kristall aus ganz Russland und dem Ausland anbietet.

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