Was treibt Touristen ins Lenin-Mausoleum?

Legion Media
Kulturelle Erfahrung, kommunistische Nostalgie? Oder geht es einfach nur darum, eine touristische Destination abzuhaken?

Um ehrlich zu sein, gibt ein Besuch des Lenin-Mausoleums nicht viel her. Höchstwahrscheinlich werden Sie nicht einmal Details erkennen, da die Beleuchtung mäßig ist. Und man darf nicht lange bleiben, denn es ist verboten, auch nur für ein paar Sekunden stehen zu bleiben, während man den kugelsicheren Glassarkophag umrundet, in dem Lenins Leichnam aufgebahrt ist. De Sicherheitskräfte werden einen sofort auffordern, den Platz zu verlassen. Trotzdem entscheiden sich viele Besucher der Hauptstadt für einen Besuch - wir haben sie gefragt, warum.

Wie kam Lenin dorthin?

Lenins Gesundheitszustand verschlechterte sich ab 1922 aufgrund einer Arteriosklerose des Gehirns, und am 21. Januar 1924 starb der Revolutionär. Zunächst dachte niemand daran, seinen Körper so lange zu konservieren. Er wurde lediglich für eine öffentliche Abschiedsfeier einbalsamiert. Sechs Tage nach Lenins Tod, als die Trauerfeierlichkeiten vorbei waren, wurde ein hölzernes Mausoleum gebaut, um ihn zu begraben, aber der Strom der Besucher riss nicht ab. Dank des Arztes Alexej Abrikosow, der den Kommunistenführer einbalsamierte, war der Leichnam gut erhalten. Die Regierung beschloss daher, die Beisetzung zu verschieben. 

Da das hölzerne Mausoleum in aller Eile errichtet worden war, entschied man im Frühjahr 1924, ein neues Grab zu bauen. Gleichzeitig zeigten sich die ersten Anzeichen der Verwesung, so dass die Parteispitze über eine würdige Bestattung ihres Führers nachdenken musste. Am 5. März kamen sie schließlich zu dem Schluss, dass es besser wäre, den Leichnam für künftige Generationen zu konservieren - und Ende Juli hatten zwei Chemiker namens Wladimir Worobjew und Boris Sbarski die Arbeit an einer experimentellen Langzeiteinbalsamierung abgeschlossen. Während Lenins Leichnam ein weiteres Mal einbalsamiert wurde, baute der Architekt Alexej Schtschussew ein neues, besseres, aber immer noch hölzernes Mausoleum. Das Granitmausoleum, das Sie heute auf dem Roten Platz sehen, wurde erst 1930 von demselben Architekten errichtet. Niemand wusste, wie lange Lenins Leichnam überleben würde. Heute, neunundneunzig Jahre später, liegt derselbe Leichnam in dem Grab.

Seit der Auflösung der UdSSR sprachen sich viele für eine reguläre Beisetzung von Lenins Leichnam aus. Die Begründung: Er repräsentiere nicht das heutige Russland und seine neuen Ideen und Werte, die nichts mit dem Kommunismus zu tun hätten. Bisher wurde jedoch noch keine Entscheidung über den Umgang mit seinen sterblichen Überresten getroffen.

Einblicke in die Werte der Nation und die gemeinsame Geschichte

Imdre Wanof aus Indonesien ist der Meinung, dass die Erfahrung viel tiefgreifender ist, als sie vielleicht klingt, und dass es nicht nur darum geht, den Körper zu sehen: „Als Studentin, die sich für globale Geschichte und verschiedene Kulturen interessiert, wollte ich den Ort, an dem eine der einflussreichsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts begraben ist, unmittelbar erfahren. Außerdem bieten die Architektur und die feierliche Aura solcher Stätten oft einzigartige Einblicke in die Werte, die Narrative und die Art und Weise, wie die Nation ihren Führern ein Denkmal setzt. Der Besuch solcher historischer Stätten trägt dazu bei, mein Verständnis und meine Wertschätzung für die reiche Geschichte Russlands zu vertiefen. Die Erfahrung ist tiefgreifender, als sie klingt. Es geht nicht nur darum, die Leiche zu sehen, sondern auch darum, sich mit einem bedeutenden Moment der Geschichte zu verbinden, die Verehrung zu verstehen, die viele dieser Persönlichkeit entgegenbringen, und über das Gewicht von Lenins Einfluss auf das moderne Russland nachzudenken.“

Nach Ansicht von Imdre kann das Mausoleum einfach nicht langweilig sein. Ein Ehepaar aus China sagt, sie hätten sich aus demselben Grund für einen Besuch entschieden. Russland und China haben eine gemeinsame Geschichte in Bezug auf den Kommunismus, und Lenin war ein großer Revolutionsführer. Was das Erlebnis selbst angeht, so gaben sie zu, dass es nichts Besonderes war, aber sie wollten diesen geschichtsträchtigen Ort aufsuchen - und sie haben es nicht bereut, in der langen Schlange gewartet zu haben.

Imdre Wanof aus Indonesien

Atatürk als Vorbild  

Denis aus der Türkei war auf einer Geschäftsreise in Moskau und beschloss, das Mausoleum zu besuchen, da er Lenin für eine wichtige Figur der Geschichte hält. Er hat auch viel über ihn gelesen, und er sagt, dass ihm der Besuch gefallen hat und er seinen Freunden empfehlen würde, auch dorthin zu gehen. Gleichzeitig ist er der Meinung, dass es besser wäre, das Mausoleum an einen anderen Ort zu verlegen, damit es nicht auf dem zentralen Platz des Landes steht - so wie in seinem Heimatland. Atatürks Mausoleum (Anitkabir) in Ankara befindet sich zwar in der Nähe des Stadtzentrums, jedoch nicht auf dem Kizilay-Platz. 

Denis' Landsfrau Berke erzählt uns, dass dies ihre zweite Russlandreise sei - und beide Male habe sie das Mausoleum besucht. Beim ersten Mal war sie allein gekommen, und jetzt wollte sie ihrem Mann und ihren Söhnen das Land zeigen. Sie gibt zu, dass das Mausoleum selbst kein großes Erlebnis war, da es nichts eigentlich Interessantes darin zu sehen gibt. Aber sie hält Lenin für eine sehr wichtige historische Figur. Und schließlich ist es einfach etwas, das man gesehen haben muss, wenn man Moskau besucht!

Ehrlicherweise muss man erwähnen, dass nicht alle Touristen das Mausoleum auf ihre Besichtigungsliste setzen, Wir trafen zwei Mädchen aus Dubai (Vereinigte Arabische Emirate), die, wie wir dachten, auf dem Weg zum Mausoleum waren. Aber es stellte sich heraus, dass sie gar nicht wussten, was das Gebäude war. Es war der erste Tag ihres Städtetrips. Und sie steuerten nur den Moskauer Kreml und den Roten Platz an.

>>> Wie hätte das Lenin-Mausoleum aussehen können? (FOTOS)

>>> 5 Dinge, die sich vor Lenins Mausoleum auf dem Roten Platz befanden (FOTOS)

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