Schlemmen, nicht schlingen: Was russische Küche von Fast Food á la McDonald's unterscheidet

Legion Media
Russische Gerichte wie Syrniki, Golupzy und Oliviersalat sind weltweit bekannt. Dennoch gibt es weit mehr Imbisse, die asiatische Wok-Gerichte oder amerikanische Burger anbieten. Warum nur gibt es nicht genauso überall Bliny und Pelmeni?

Für die russische Küche brauchte es immer schon eine ernsthafte Einstellung: Die Salate und Suppen setzen sich aus vielen Zutaten und Saucen zusammen, es sind Gerichte, die man erst probiert haben muss, um sie zu verstehen. Man muss „in sie eintauchen und sich auf sie konzentrieren, um all die bitteren, salzigen und sauren Geschmacksrichtungen herauszuschmecken“, sagt Aleksej Simin, der Redaktionsleiter der OnlinezeitschriftAfisha.Eda

Auch deshalb ist die russische Küche für den Massenkonsum schwer zugänglich. Die Kunden müssen auf sie vorbereitet sein. Darüber hinaus brauchen die meisten traditionellen Gerichte ihre Zeit und die gibt es in der modernen Welt immer weniger. Auch deshalb sind aufwändige Gerichte wie Cholodets oder die gefüllte Ente Feiertagen vorbehalten.

„Wir bieten jeden Tag ein anderes Menü an – ein Kotelett zwischen zwei Brotscheiben und etwas Schmackhaftem dazwischen, oder Gemüse mit Nudeln, die in einem Wok zubereitet werden", erklärt Pawel Sutkin, ein auf russische Kochkunst spezialisierter Historiker. Bei uns gibt es keine Tradition 'auf dem Sprung zu essen'. Die russische Küche sollte als langsames Essen, das ohne Hast und mit Genuss zu sich genommen wird, verstanden werden.“

Sowjet-Speiseplan vs. traditionelle Küche

Schauen wir uns die Erfahrungen eines anderen europäischen Landes an. In Wien dominieren viele Restaurants mit österreichischer Küche die kulinarische Landschaft, italienische und chinesische Lokale findet man hingegen verhältnismäßig seltener.

In Moskau jedoch findet man kaum ein Restaurant mit traditionellen russischen Gerichten, die vor 1917 gekocht wurden. Ein Grund dafür ist, dass der kulinarische Geschmack des russischen Zarenreichs heute vielen unverständlich erscheinen würde und vergessen worden ist. Ein gutes Beispiel hierfür liefert die Suppe Jurma, die aus Fisch und Hühnchen besteht sowie ein Dessert dieser Zeit, das Radieschen mit Honig mischt. 

„Die traditionelle russische Küche ist anspruchsvoll und nur wenige kochen ihre Gerichte daheim nach“, sagt die Foodbloggerin Daria Sokolowa. Natürlich gab es auf der sowjetischen Speisekarte auch ein paar traditionelle russische Gerichte wie Piroschki, Borschtsch und Pelmeni. „Aber alles andere war einfach zu aufwändig und zum Nachkochen zu kompliziert, die Zubereitung eines Fasans, zum Beispiel. Ich selbst weiß nicht einmal, wie einer aussieht.“

Stattdessen haben viele Restaurants in Russland ein sowjetisches Leitthema: Die bekanntesten darunter sind Warenitschnaja, Jolki-Palki, Mu-Mu und Grabli, die allesamt einfache sowjetische Gerichte wie Wareniki, Koteletts mit Kartoffelpüree oder Früchtekompott anbieten. Diese erfreuen sich vorrangig unter ausländischen Touristen, die einheimische Gerichte probieren wollen, großer Beliebtheit.

Die Zeitschrift „Time Out“ führt eine jährliche Bewertung der besten Restaurants in Moskau durch, die sowohl die Meinungen von Lesern als auch Experten miteinbezieht. Im Jahr 2016 wurde diese Liste von georgischen und marokkanischen Restaurants sowie einem Räucherhaus auf dem hippen Danilowskij Markt angeführt.

Die Frage, warum es keine Restaurants mit russischer Küche auf dieser Liste gibt, lässt sich indes einfach beantworten. Oftmals können die Russen Gerichte wie Bliny, Suppen und Koteletts selber besser zubereiten, als ein Restaurant. Warum sollten sie diese Gerichte also irgendwo auswärts essen? 

„Meist besuchen wir ein Restaurant, um etwas Neues und Erlesenes auszuprobieren“, sagt der berühmte Blogger Artjom Trofimow. „Warum sollten wir also im Restaurant Borschtsch, Kartoffelbrei und Koteletts essen und Früchtekompott trinken, wenn man es ebenso gut daheim tun kann. Aus diesem Grund haben Restaurants, die nichttraditionelle Gerichte anbieten, eher Zulauf – ein Trend, der auch in anderen Ländern bemerkbar ist. “

„Natürlich hat es auch etwas mit dem Eisernen Vorhang zu tun“, sagt Daria Sokolowa. „Die Leute haben 70 Jahre lang Koteletts gegessen, ohne irgendeine Alternative zu haben. Nun möchten sie ihre Cola trinken und ihre Croissants essen.“

Bliny als Exportprodukt

Mittlerweile experimentieren die Köche auch mit „neuer“ russischer Küche – oft mit einem wunderbaren Ergebnis. Andere Moskauer Restaurants wie „Puschkin“, „Kuchmisterskaja“ und „Dr. Schiwago“ hauchen alten russischen Rezepten neues Leben ein und erfinden alte Gerichte wie Schtschi, Cholodets und Pelmeni neu. Den begeisterten Kritiken der Gäste und der Gastronomieexperten nach zu urteilen, haben sie damit großen Erfolg.

In 2015 und 2016 nahm die britische Zeitschrift „Restaurant“ das Moskauer Restaurant „Das weiße Kaninchen“ in die Liste der weltweit besten Restaurants auf und merkte an, dass der Chef Wladimir Michin „an der Spitze einer neuen Generation von russischen kulinarischen Talenten steht.“

Und wie ist es um die russischen Restaurants im Ausland bestellt? Einige von ihnen, wie das „MariVanna“ und der „Russian Samovar“, zu Deutsch „der russische Samowar“, in New York sind durchaus beliebt.

Vor kurzem hat darüber hinaus die russische Fastfoodkette „Teremok“ zwei Cafés in New York eröffnet. Im Oktober erst lobte der “Business Insider” Teremok in den USA für seine „durchaus fairen Preise“, die zehn Euro nicht übersteigen, und seine „authentischen“ Gerichte.

Zeitgleich beschwerte sich Michail Gontscharow, der Leiter von „Teremok“, dass er die russischen Filialen in den nächsten Jahren schließen müsste. „Wir können die Miete nicht bezahlen. Wir konkurrieren mit Hackfleischburgern und asiatischer Küche“, twitterte er im Oktober.

Und obwohl seine Cafés in New York derzeit noch wirtschaftlich unrentabel sind, plant Gontscharow sein Geschäft außerhalb von Russland voranzutreiben. Die Firma befindet sich momentan in Verhandlungen mit „sehr großen westlichen Investoren, die sich für die Marke interessieren.“

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