Die Schachspieler Magnus Carlsen aus Norwegen (links) und Sergej Karjakin aus Russland überlegen sich ihre Züge während der ersten Runde des Weltmeisterschaftsfinales am 11. August 2016 in New York.
EPAZum ersten Mal seit fast zehn Jahren hat Russland eine reelle Chance, sich die Krone des Schachs zurückzuholen. Nachdem Wladimir Kramnik 2008 gegen Viswanathan Anand verloren hatte, war kein Russe mehr beim Finale der FIDE-Schachweltmeisterschaft vertreten.
Die Durststrecke wurde in diesem Jahr vom 26-jährigen russischen Großmeister Sergej Karjakin beendet. Im März gewann er überraschend das Kandidatenturnier, obwohl er damals nur den 13. Platz der Weltrangliste belegte. Zu Beginn des Finals in New York am 11. November wettete kaum jemand auf Karjakin: Fast alle Chancen wurden dem norwegischen Schachgenie Magnus Carlsen zugesprochen. Dieser hält den Titel seit 2013.
Viele halten Karjakin für den legitimen Nachfolger der großen sowjetischen Schachschule. Die Erfolgsgeschichte des sowjetischen Schachs begann mit dem Sieg Alexander Aljechins 1927, der nach der Revolution allerdings Russland verlassen hatte und seine Titel als französischer Staatsbürger gewann. Für zwei Jahre musste er die Krone an den Niederländer Max Euwe abgeben, danach aber blieb Aljechin bis zu seinem Tod im Jahr 1946 Weltmeister. Nach ihm regierte Michail Botwinnik jahrelang die Schachwelt. Er war Weltmeister von 1948 bis 1957 und dann erneut von 1958 bis 1960 und von 1961 bis 1963.
Bis 2007 kamen mit der Ausnahme des Amerikaners Robert Fischer (1972-1975) alle Weltmeister aus der Sowjetunion beziehungsweise Russland. Michail Tal, Tigran Petrosjan, Boris Spasski, Anatoli Karpow und Garri Kasparow – das sowjetische Schachfließband lieferte regelmäßig Könige des großen Schachspiels. Der letzte weltberühmte Schachmeister aus Russland war Wladimir Kramnik, der den Titel von 2000 bis 2007 hielt.
Wird auch Karjakin zu den großen Weltmeistern gehören? Das ist wohl noch nicht zu sagen. Eines ist jedoch klar: Genau wie auch Magnus Carlsen ist Sergej Karjakin ein Genie. Mit zwölf Jahren schaffte er es ins Guinnessbuch der Rekorde als jüngster Großmeister aller Zeiten.
Karjakin stammt gebürtig von der Krim und spielte für die Ukraine, bis er 2009 seine ukrainische Staatsbürgerschaft gegen einen russischen Pass eintauschte. Diese Entscheidung erklärte er damit, dass ihm seine Heimatregion keine Perspektive biete und er sich zudem immer als Russe empfunden habe.
Karjakin zeigte schnell auch auf Erwachsenenniveau seine Stärke: Er siegte bei einer Schacholympiade, dem FIDE WorldCup und einer Weltmeisterschaft im Schnellschach. Die Karriere Karjakins sieht jedoch nicht so atemberaubend aus wie die seines Gegners Carlsen. Dieser wurde mit 23 Jahren zum Weltmeister. Und trotzdem verbindet man in Russland mit große Hoffnungen mit dem Namen Karjakin. Anatoli Karpow, Weltmeister von 1975 bis 1985, sagte in einem Interview mit RBTH, Karjakin gehöre bereits zur modernen Schachelite, unabhängig davon, wie sich das Duell in New York entscheide.
Vor Beginn des Spiels in New York hatte Karjakin auch statistisch nur geringe Chancen: Carlsen und Karjakin hatten bis zum Finale bislang 21 Partien mit Bedenkzeit gegeneinander gespielt, von denen der Norweger vier gewann und lediglich eine verlor.
Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Spielern sei trotzdem sehr heftig, meint der sowjetische Großmeister Jewgeni Wassjukow, der als Trainer und Sekundant bei Weltmeisterschaften tätig war.„Veni, vidi, vici – das darf nicht sein. Bei solchen Spielen gibt es viele Nuancen, die nicht vorhersehbar sind. Ich glaube, dass die Mannschaft Karjakins sich schon gut überlegt hat, welche Probleme und welche Chancen auftauchen könnten“, sagte Wassjukow im Interview mit RBTH. „Carlsen hat in den letzten Jahren hervorragende Erfolge erzielt, aber das bedeutet nichts: Einige schaffen es schneller, andere langsamer, aber liefern trotzdem ausgezeichnete Ergebnisse.”
Anatoli Karpow glaubt, dass bei einem WM-Finale ganz viel vom Ausdauervermögen der beiden Spieler abhänge. „Es gibt ja keine Tests, die sagen können, in welcher Form man gerade ist. Als ich gespielt habe, musste ich mich erstmal ans Brett setzen und erst dann konnte ich einschätzen, wie fit ich heute bin. Ich weiß: Karjakin hat sich lange vorbereitet, und ich hoffe er ist gut drauf.“
Der Großmeister betont zudem, dass sich im Laufe der zwölf Spiele kaum eine Gelegenheit biete, originelle Züge einzusetzen. „Als ich an der Weltmeisterschaft teilgenommen habe, hatten wir 24 Partien. Das kann einem lang vorkommen. Es ist natürlich ein echter Kampf, manchmal bis man völlig erschöpft ist. Aber man kann riskieren und später wieder aufholen. Wenn das Spiel aber so kurz ist, dann muss man auf Nummer sicher gehen, um nicht zu verlieren.“
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!