/ Mikhail Metzel/TASS
Um den Baubeginn des Tiefwasserabschnitts der Pipeline Turkish Stream zu verkünden, rief Russlands Präsident Wladimir Putin seinen türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdoğan vom Spezialschiff „Pioneering Spirit“ aus an.
Putins „Segen“ für den Bau, der einst ins Stocken geraten war, dürfte die wirtschaftliche Bedeutung der neuen Gasarterie unterstreichen. Was aber möglicherweise wichtiger ist: Putins Geste betont die verbesserten Beziehungen zwischen Moskau und Ankara.
Als man im bulgarischen Sofia über die Verbindung zwischen Bulgarien und Griechenland, den sogenannten „Interconnector“ (ICBG), sprach, lautete die wichtigste Frage: Wo würde das Gas für diese Verbindungsleitung herkommen?
Der bulgarische Premierminister Bojko Borissow setze seine Hoffnungen vor allem auf kaspisches Gas aus Aserbaidschan, wie er in einem Interview mit der Deutschen Welle am 5. Januar 2016 erklärte. Dieses Gas sollte durch den Südkorridor gepumpt werden, der von der EU unterstützt wurde.
Die zweite Gasquelle, über die gesprochen wurde, war Turkmenistan – vorausgesetzt Aserbaidschan und China würden dem zustimmen. Die dritte Option waren neue Offshore-Lagerstätten im bulgarischen und rumänischen Schwarzen Meer. Gaslieferungen aus Russland schloss Borissow dabei allerdings nicht aus, solange diese im Einklang mit den Grundsätzen der Europäischen Union seien.Wer an Verschwörungstheorien glaubt, dürfte sich kürzlich gefreut haben, als Medien berichteten, dass der russische Energieriese Gazprom und der österreichische Öl- und Gaskonzern OMV angeblich im Geheimen darüber verhandeln, die South-Stream-Pipeline wieder zum Leben zu erwecken. Sollte sich dies bewahrheiten, dann wäre die ursprünglich geplante Route für russisches Gas wiederbelebt: durch das Schwarze Meer zur bulgarischen Küste und dann weiter nach Serbien, Ungarn und Österreich.
Ein Brief von Jean-Claude Juncker, dem Präsidenten der EU-Kommission, an den bulgarischen Präsidenten markierte vor einem Jahr eine wichtige Abweichung von einer bis dato rigiden Haltung. Der Kommissionspräsident stärkte zwar einem Gas-Hub in Bulgarien den Rücken, schloss jedoch Gaslieferungen aus Russland nicht aus, „vorausgesetzt sie sind in vollem Einklang mit EU-Bestimmungen“.
Gleich danach rief Borissow Putin an und informierte den russischen Präsidenten über die neue flexible Position der EU-Kommission. Zudem bekräftigte der Premier, die bulgarischen Seehäfen Varna und Burgas hätten Materialien für den Bau des South Stream gesammelt.
Beachtenswert: Ein Sprecher des Kremls betonte, Moskau spiele Turkish Stream nicht gegen South Stream aus. Beide Projekte hätten das Recht, erwogen und letztlich vielleicht sogar umgesetzt zu werden.
Die Berichterstattung europäischer Medien über den Start zum Bau des Turkish Stream war recht verhalten – außer den üblichen Erklärungen, zwei „starke Männer“ hätten eine gemeinsame Sprache gefunden. Ausschlaggebend dafür dürften zwei Gründe sein.
Erstens: Der desolate Zustand des Dialogs zwischen der EU und der Türkei auf offizieller Ebene schränkt die Aussichten auf bessere Beziehungen ein. Die Türkei könnte mittlerweile auf der „endlosen“ Warteliste für einen EU-Beitritt gelandet sein. Auch wenn das Thema für Erdoğan keine Priorität mehr hat: Die derzeit feindliche Stimmung ist für die Interessen beider Seiten von Nachteil.Zweitens: Einige europäische Nationen werden langsam wachsamer bei der Frage der künftigen Energieversorgung. Der angekündigte Südliche Gaskorridor, der die Lieferungen aus Aserbaidschan, Turkmenistan, dem Iran und möglicherweise dem Irak vereinfachen soll, wirkt zunehmend wie eine weniger passable Alternative.
Angesichts der Gewalt im Irak, einer weiteren Zuspitzung im verbalen Krieg zwischen Donald Trumps Amerika und dem Iran, sowie des Unwillens der Chinesen, die fossilen Reichtümer Turkmenistans zu teilen, ist offenbar nur Aserbaidschan bereit und fähig, Gas an europäische Verbraucher zu liefern.
Es gibt keinen Zweifel, dass Aserbaidschan die Verpflichtung einlösen wird, nach 2018 16 Milliarden Kubikmeter Gas an die Türkei und Europa über die TANAP/TAP-Pipeline zu liefern.
Die derzeitigen Gasvorräte unter dem Kaspischen Meer werden jedoch für nicht länger als 40 Jahre reichen. Dies stellt die von Aserbaidschan versprochenen Liefermengen in Frage.
Und außerdem: Die Offshore-Förderung erfordert Spitzentechnologie, was sich auf den Endpreis niederschlägt. Kaspisches Gas ist nicht günstig. Wenn zudem starke Winde oder gar Stürme auf dem Binnenmeer wüten, muss die Förderung gestoppt werden. Dies spricht nicht gerade für eine nachhaltige Produktion und Lieferung.
Das weiß auch die Türkei, jenes Land mit dem zweitgrößten Gasverbrauch der Welt nach China. Deshalb würde sich Ankara mit günstigerem Gas aus Russland oder dem Iran wohler fühlen.Die systemeigenen Nachteile aserbaidschanischer Gaslieferungen, die bislang nicht verwirklichten Träume von der Offshore-Förderung im östlichen Mittelmeer und die kostspieligen Flüssiggastransporte aus Katar und den USA werden die günstigen Lieferungen sibirischen Gases über Pipelines nicht ersetzen können.
Erinnert sich noch jemand an die Nabucco-Pipeline, die mit Gas aus kaspischen Feldern gespeist werden sollte? Das Projekt war ein Flopp gesamteuropäischen Ausmaßes.
Nach dem Abschuss einer russischen SU-24 durch ein Jagdflugzeug der türkischen Luftwaffe hatte niemand erwartet, dass sich die Beziehungen zwischen Russland und der Türkei innerhalb der nächsten sieben Monate normalisieren würden. Der brutale Mord am russischen Botschafter Andrej Karlow am 19. Dezember 2016 in Ankara hätte die Wiederannäherung erschüttern können. Dies ist nicht geschehen.
Jetzt, nach dem Baustart von Turkish Stream, sind die Schwarzmaler erneut desillusioniert worden. Ein weiteres Projekt, wenn auch in gestutzter Form, nimmt Gestalt an. Russland schaffte dies, indem es auf die selten leichte, immer turbulente und doch naturgemäß lukrative Beziehung zu seinem „großen“ Nachbarn im Süden, der Türkei, gesetzt hat.
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