„Oma zu mieten”: Wie ein Start-up russische Generationen zusammenbringt

Wirtschaft
KSENIA SUBATSCHJOWA
Vielen älteren Menschen in Russland fällt es schwer, in der Rente eine neue Aufgabe zu finden. Während sie im Sommer das Leben auf dem Land genießen können, haben sie im Rest des Jahres wenig zu tun. Ein neuer Service, der nun in Moskau seine Arbeit aufgenommen hat, könnte diesen Menschen helfen, zusätzliches Einkommen sowie eine neue Aufgabe im Leben zu finden.

Wussten Sie, dass es in Russland meist die Großeltern sind, die nach den Kindern schauen, während Eltern ihrer Arbeit nachgehen? In vielen Familien, die mit älteren Generationen unter einem Dach leben, ist das so. Für viele junge Eltern, die ihre Heimat für Arbeit in der Stadt verlassen haben, ist dies aber nicht möglich. Wie sollen sie Betreuung für ihre Kinder finden, wenn die Großeltern nicht zur Verfügung stehen?

Russen haben nun einen Ausweg gefunden. Ein neuer Service, der sich „Großmutter und Großvater für eine Stunde“ nennt, bietet jungen Familien die Möglichkeit, eine Großmutter oder eben auch einen Großvater zu mieten, damit diese Zeit mit den Kindern verbringen. Sie können die Kleinen sicher zur Schule bringen oder von dort abholen, ihnen bei den Hausaufgaben helfen oder auch einfach Geschichten aus ihrem Leben erzählen und den Kindern so von der großen Welt berichten. Das Projekt läuft in Moskau und Umgebung und wird bereits jetzt von vielen Organisationen gefördert.  

„Mir kam die Idee, während ich in Barcelona an meinem Doktortitel gearbeitet habe. Ich habe daran geforscht, wie Beschäftigung und intergenerationelle Interaktion die kognitiven Fähigkeiten älterer Menschen beeinflusst“, erzählt Natali Linkowa, die „Großmutter und Großvater für eine Stunde“ mitgegründet hat. „Es ist sehr wichtig für sie, gebraucht zu werden und das Gefühl zu haben, noch einen Beitrag leisten zu können. Und das zusätzliche Einkommen stört sie natürlich auch nicht.“

Es ist also eine Situation, in der alle gewinnen: Eltern haben eine Sorge weniger, während ältere Menschen einen neuen Sinn im Leben finden und ihre Rente aufbessern können. Der Stundensatz beträgt zurzeit 250 Rubel, 3,60 Euro also, und Großeltern müssen für mindestens drei Stunden am Stück bestellt werden. Mehr als 1 500 „Großmütter“ und „Großväter“ aus Moskau und Umgebung sind bereits mit dabei. Laut Linkow gehört der Großteil dabei zur „Intelligenzia“: 27 Prozent der aktiven Senioren haben einen akademischen Titel, mehr als 70 Prozent eine Universitätsausbildung, oft zwei oder gar drei Abschlüsse, und können auf eine sehr erfolgreiche Karriere in ihren Berufen zurückblicken.

Alle Teilnehmer werden geschult

Die Rückmeldung der Eltern ist bislang hervorragend. „Unsere Oma Ludmila hat sehr viel Energie. Sie hat uns und unseren Kindern von ihrer Zeit im Jemen und in Mosambik erzählt und wir haben gemeinsam Museen besucht“, heißt es in einem Kommentar. „Die Kinder sind super begeistert!“

„Oma Tatjana hat unseren Sohn so beeinflusst, dass er jetzt das Lesen liebt”, schreibt ein anderes Elternteil. „Sie lesen zusammen und spielen Geschichten nach. Sogar ein paar Gedichte haben sie schon auswendig gelernt!“

Das Projekt betreibt sogar eine eigene kleine Schule, um die über 45-jährigen Teilnehmer darauf vorzubereiten, wie sie mit Kindern und Eltern sprechen sollten, Konfliktsituationen lösen, Erste Hilfe leisten, die Sicherheit gewährleisten und die Kleinen zuhause unterhalten können. Die Schulung dauert zwei Tage und kostet 5 500 Rubel, rund 80 Euro, aber bezahlte Einsätze sind den Absolventen danach garantiert. Für all jene, die bereits für das Projekt registriert sind, ist der Kurs günstiger: 2 000 Rubel, 29 Euro, werden fällig. Einige Plätze werden zudem auch kostenfrei vergeben.

Jeder lernt von jedem

Ein ähnlicher Kurs wird auch für potenzielle Pfleger und Pflegerinnen angeboten. Neben der Betreuung von Kindern bietet das Projekt auch spezialisierte Hilfe für solche Menschen, die ständige Pflege benötigen. So können ausgebildete Pfleger für ältere Angehörige und bettlägerige Patienten leichter gefunden werden.

„Neben diesen Angeboten versuchen wir auch, Generationen durch „Instababuschka“-Kurse zueinander zu bringen. In diesen bringen junge Mädchen älteren Frauen die Nutzung von Instagram und anderen Onlineangeboten, wie zum Beispiel Datingportalen, bei. Zwei unserer „Großmütter“ haben so schon Liebe in Europa gefunden“, sagt Linkowa. „Unsere jungen Lehrer wie auch die Großmütter und Großväter bringen einander also viele Dinge bei.“

Ein ähnliches Projekt wurde auch schon in den russischen Regionen ausprobiert. 2012 startete die Baikal Wohltätigkeitsstiftung gemeinsam mit dem Ministerium für Soziale Sicherheit der Region Burjatien eine Großmütter-Initiative. Später wurde die Idee auch in den Regionen Iwanowo, Nischni Nowgorod, Orel und Wladimir übernommen. Dort wurden diese in das Sozialsystem integriert und kostenlos angeboten. In Moskau haben die lokalen Behörden bislang noch keine Unterstützung bereitgestellt. 

Linkowa glaubt jedoch auch nicht, dass solche Projekte eine langfristige Zukunft als soziale Programme haben können. „Diese Initiativen setzen im Normalfall auf Freiwilligenarbeit. Für ältere Menschen, insbesondere mit herausragenden Karrieren und Ausbildungen, ist das aber nicht fair. Ich bin gegen solch unbezahlte Arbeit: Sie sollten für ihre Mühen zumindest eine Art Entschädigung bekommen.“

>>>Berührende Geschichten: Wie Senioren in russischen Pflegeheimen wohnen

>>>Staatshaushalt: Nullrunde für Russlands Rentner?

>>>Arbeit in Russland: Warum Russen kein Grundeinkommen brauchen