Russlands niedrige Arbeitslosenquote – ein Zeichen für eine starke Wirtschaft?

Natalja Nosowa
Statistisch gesehen kann sich der russische Arbeitsmarkt mit den meisten Arbeitsmärkten der entwickelten Länder messen. Das heißt jedoch nicht, dass es keine Probleme gibt.

In der Zeit von Dezember 2018 bis Februar 2019 betrug die offizielle Arbeitslosenquote in Russland 4,9 % (rus). Verglichen mit dem internationalen Durchschnitt klingt das nicht einmal schlecht. So liegt die durchschnittliche Arbeitslosigkeit in der Eurozone bei 7,9 % (eng). Die große Anzahl der Erwerbslosen ist nicht nur ein Problem für die von der Finanzkrise besonders stark betroffenen Länder wie Italien (10,5 %) oder Spanien (14,9 %). Auch erfolgreiche Volkswirtschaften wie Frankreich (8,8 %) oder Schweden (6 %) haben verglichen mit Russland hohe Arbeitslosenquoten.

„Wir haben wirklich eine geringe Arbeitslosigkeit. Und natürlich können wir damit auch angeben“,  witzelte (rus) Pawel Trawkin, Forscher am Institut für Arbeitsmarktstudien der russischen Hochschule für Wirtschaft. Er fügt hinzu, dass die Arbeitslosenquote im Jahr 2017 noch bei 5,2 % lag, was ebenfalls sehr wenig ist. Trotzdem betonen Experten wie Trawkin, dass eine niedrige Arbeitslosenquote nicht zwangsläufig ein Zeichen für eine starke Wirtschaft ist.

Lohnkürzungen statt Entlassungen

“Russische Firmen haben Probleme, Leute zu entlassen“, erklärt Trawkin. „Arbeitnehmerschutzgesetze erlauben es nicht, jemanden grundlos zu kündigen. Stattdessen können Firmen die Löhne kürzen.“ Und das tun sie wenn nötig auch.

Der Report (rus) über den russischen Arbeitsmarkt des Zentrums für Strategische Forschung, der die Entwicklungen und Fluktuationen auf dem russischen Arbeitsmarkt zwischen 1991 und 2015 beobachtete, besagt: „In schlechten Zeiten sinkt die Beschäftigungsquote kaum. Dafür steigt sie in guten Zeiten aber auch nicht wirklich. Selbst während der schwersten Wirtschaftskrisen stieg die Arbeitslosenquote nicht im großen Ausmaß an.“

Doch das hat seinen Preis: Immer, wenn die russische Wirtschaft schrumpfte, schrumpften auch die Löhne in den Firmen. Wenn die Situation sich dagegen entspannt, steigen auch die Löhne wieder.

Das heißt, dass die Beschäftigungsquote in Russland relativ immun gegenüber wirtschaftlichen Schwankungen ist. Stattdessen gibt es starke Unregelmäßigkeiten bei den Gehältern. Ein Angestellter kann zwar auch in schlechten Zeiten kaum gefeuert werden, muss aber im Gegenzug drastische Kürzungen seines Lohns hinnehmen.

Nur wenig Arbeitslosengeld

Selbst wenn sie schlecht bezahlt werden, behalten Russen lieber ihre Arbeitsstelle. Der Grund dafür ist, dass man von der Arbeitslosenhilfe kaum überleben kann. Obwohl die Zahlungen dieses Jahr verdoppelt wurden, ist es immer noch sehr wenig. Die monatlichen Auszahlungen liegen (rus) zwischen 1.500 und 8.000 Rubel (momentan etwa 20 und 110 Euro).

Sogar im Vergleich zum ebenfalls relativ niedrigen Mindestlohn (rus) von 11.280 Rubel (154 Euro) ist das noch wenig. Die Rechnung ist entsprechend einfach: Wenn die Zeiten schlecht sind, ist selbst der nervigste, niedrigste und schlechtbezahlteste Job noch besser als Arbeitslosenhilfe. Zudem müssen Empfänger der Sozialleistung einen von zwei Jobs, die ihnen das Arbeitsamt anbietet, annehmen. Ansonsten verlieren sie die Beiträge komplett.

“Deshalb ist die offizielle Arbeitslosenquote in Russland so niedrig“, sagt (rus) Oleg Schein, Vizepräsident des russischen Gewerkschaftsbundes. “Die staatliche Arbeitslosenhilfe ist mehr symbolisch, weswegen viele Leute sich gar nicht erst registrieren lassen.“ Tatsächlich ist die reale Arbeitslosenquote vermutlich deutlich höher als 4,9 %, es gibt jedoch kaum verlässlichere Daten.  

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