Respektlos? Dieser Werbespot erhitzt Russlands Gemüter

Delivery Club
Delivery Club, einer von Russlands zwei größten Essenslieferdiensten, zeigte in einem Werbespot die verschiedenen Persönlichkeiten der Kuriere – und gerät in einen Shitstorm.

Am 16. März tauchten auf den digitalen Werbeanzeigen Moskaus einige ungewöhnliche Werbespots auf. Sie erzählen die Geschichte von sechs Menschen: Einer Reporterin, einem Literaturlehrer, einer Bergsteigerin, einem Fußballfan, einem Linguisten und einem Künstler der Russischen Föderation. Sie alle arbeiten für den großen Essenslieferdienst Delivery Club.  

„Deine Bestellung wird von einem Literaturlehrer geliefert“, sagt einer der Spots und zeigt dabei Abdisattar, einen mittelalten Mann zentralasiatischer Herkunft. „Abdisattar interessiert sich für Urlaub in den Bergen und hat drei Kinder.“ Auch die anderen Spots folgten diesem Muster: Sie stellen den Lieferdienstmitarbeiter vor und erzählen ein paar persönliche Fakten über ihn.

Doch auch, wenn die Kampagne vermutlich gut gemeint war, wurde sie in der Öffentlichkeit eher negativ aufgenommen.

Näher an die Menschen kommen

„Diesmal haben wir versucht, nicht Delivery Club zu bewerben, sondern den Job des Kuriers“, sagt (rus) Anastasia Schbanowa, Direktorin für Produkt-PR bei der Mail.ru-Gruppe, zu der auch Delivery Club gehört.

„Wir haben sechs Kuriere ausgewählt und sie nicht als gesichtslose Angestellte gezeigt, sondern als Persönlichkeiten mit Hobbys, Talenten und Erfahrungen in den unterschiedlichsten Bereichen. So wollten wir den Respekt für den Beruf erhöhen“, erklärt Schbanowa. Sie betont, dass alle sechs gezeigten Personen keine Schauspieler seien, sondern echte Kuriere.

„Absolut traurig”

Auf Social Media wurde die Kampagne jedoch scharf kritisiert. Viele Menschen fanden sie demütigend für die Menschen, die als Kurier arbeiten müssen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die niedrigen Löhne sowie die Tatsache, dass Migranten trotz guter Ausbildung oft nur „niedrigere“ Jobs finden, seien nach Ansicht der Kritiker ernsthafte Probleme und kein Gegenstand für eine positive Werbekampagne.

„Bin ich der einzige, der eher traurig darüber ist, dass hochqualifizierte Menschen als Kurier arbeiten müssen, um zu überleben?“

„Der Werbespot von Delivery Club schießt den Vogel ab. Man hätte ja mal darüber nachdenken können, warum ein Literaturlehrer als Kurier arbeiten muss. Aber wer denkt bei einer Werbekampagne schon nach?“

Wiktor Wolkow schrieb unter Schbanowas Post: „Der Spot ist einfach nur ekelhaft. Er zeigt eine gewisse Arroganz der Moskauer gegenüber Migranten. ‚Cool, der Tadschike, der mir mein Essen ins Büro bringt, hat sogar einen Hochschulabschluss. Hier hast du einen Rubel, Lehrer Abdisattar.‘“

Die andere Seite

Andere sahen die Kampagne hingegen eher positiv.

„Ich glaube, dass es dabei nicht um Demütigung oder Rassismus geht. Der Spot will einfach nur sagen, dass diese Leute, obwohl sie als Kurier arbeiten, Hobbys, Familien und sogar höhere Bildung haben. Die Leute sehen nur das, was sie sehen wollen.“

„Ich schätze mal, sie wollen sagen, dass Abdisattar auch ein Mensch ist. Er hat ein eigenes Leben, eigene Interessen und einen eigenen Beruf. Natürlich ist der Spot irgendwie traurig – es ist einfacher zu glauben, dass nur Unqualifizierte als Kurier arbeiten. Doch dieser Mann arbeitet, um sich seinen Lebensunterhalt zu finanzieren.“

Vertreter von Delivery Club betonten ebenfalls, dass sie weiter daran arbeiten werden, Vorurteile gegenüber dem Job abzubauen. Momentan gilt die Arbeit als Kurier als unterbezahlt, anstrengend und unwichtig. „Die Reaktionen, die wir bekamen, zeigen leider die klischeebehaftete Wahrnehmung des Jobs. Die Arbeit der Kuriere ist schwierig und wichtig und sollte nicht abgewertet werden“, sagte (rus) ein Pressesprecher gegenüber der Radiostation Goworit Moskwa.

Fake oder echt?

Ein neuer Skandal kam auf, als herauskam, dass vermutlich nicht jeder in dem Werbespot gezeigte Kurier tatsächlich bei Delivery Club arbeitet. Eine der sechs gezeigten Personen, Natalja, „war sieben Jahre lang Journalistin bei einem landesweiten Fernsehsender“. Auf ihrer Instagram-Seite teilte sie sogar ein Foto des Werbespots mit ihr.

Scheinbar arbeitet sie nicht als Kurierin. Als ein Freund sie fragte, was es mit der Sache auf sich hat, antwortete sie: „Du fragst doch auch keine Popsängerin, die Werbung für Binden macht, ob sie auch tatsächlich diese Binden benutzt.“ In ihrer Biographie erwähnt Natalja ebenfalls ausschließlich ihre Tätigkeit als Journalistin.

Schbanowa bestätigt jedoch, dass Natalja tatsächlich bei Delivery Club arbeitet. Sie hat ihren eigenen Arbeitsplan und einen Vertrag. In einem Interview mit der Zeitschrift Inc. Russiasagt (rus) Natalja, dass sie für Delivery Club arbeite, weil sie die Nase voll von der Medienwelt hat. „Es war die richtige Entscheidung und man verdient gut“, meint sie.

„Die ganze Geschichte ist irgendwie seltsam“, schreibt Wiktor Kulganek unter einem Post, der Screenshots von Nataljas Seite zeigt und fasst damit das ganze Debakel um die Delivery Club-Kampagne adäquat zusammen.

Ironie

Viele Menschen machten sich natürlich auch einfach über die Kontroverse um die Kampagne lustig. Gerade der Slogan „Deine Bestellung wird von einem … gebracht“, wurde oft parodiert.

„Deine Bestellung wird von unserem ehemaligen Marketingchef gebracht.“

„Deine Bestellung wird von einem ehemaligen Bitcoin-Investor gebracht.“

„Deine Bestellung wird von Daenerys aus dem Hause Targaryen, der Ersten ihres Namens, Königin der Drachenbucht, Königin der Andalen, der Ersten Menschen und der Rhoynar, Regentin der Sieben Königslande, Beschützerin des Reiches, Mutter der Drachen (eines Drachens), Sprengerin der Ketten, Khaleesi und Herrscherin des großen Grasmeeres gebracht.“

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