Welche Raketen wird es in Russland nach dem Austritt der USA aus dem INF-Vertrag geben?

Wissen und Technik
NIKOLAJ LITOWKIN
Russland wird seine Raketen vom Typ Kalibr und Kinschal [auf Deutsch: Dolch] von seinen Schiffen und Flugzeugen abziehen und auf landgestützten Trägern stationieren.

Donald Trump gab am 21. Oktober seine Absicht bekannt, den Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme aufzukündigen. Nach Angaben des amerikanischen Präsidenten habe Russland seit vielen Jahren gegen die Bestimmungen dieses Abkommens verstoßen und auf seinem Territorium landgestützte Raketensysteme mit einer Treffreichweite von 500 bis 5.500 km errichtet.

Sie verwiesen auf „Geheimdienstinformationen“, konnten aber keine direkten Beweise für ihre Anschuldigung vorlegen. Die Vereinigten Staaten haben ihre Entscheidung getroffen, es müssen nur noch die Dokumente unterzeichnet werden und die Vereinbarung, die das Wettrüsten in Europa bisher im Zaum gehalten hatte, ist beerdigt. Eben in Europa, da  solche Raketensysteme, wenn sie auf dem Territorium Russlands stationiert würden, technisch keine Bedrohung für die US-Grenzen darstellen.

Im nächsten Jahrzehnt werden nun wohl US-amerikanische Bodenraketen mit einer Reichweite von 500 bis 1.000 km (Kurzstreckenraketen) und 1.000 bis 5.500 km (Mittelstreckenraketen) in der EU auftauchen.

Russland muss symmetrisch reagieren und eigene Waffenkomplexe mit einer ähnlichen Treffweite schaffen.

Was werden das für Raketen sein?

Neue „kleine“ Raketen im russischen Arsenal

Viele Jahre lang befürchteten die USA, dass Russland eine „Langstreckenversion“ der Raketen für den operativ-taktischen Raketenkomplex Iskander-M entwickelt, die am Rande Europas in der Region Kaliningrad stationiert sind.

„Die Reichweite dieses System beträgt weniger als 500 km. Die technische Möglichkeit, Raketen mit einer größeren Reichweite zu schaffen, existiert jedoch tatsächlich“, erklärte der TASS-Militäranalytiker Wiktor Litowkin gegenüber Russia Beyond.

Die erste „kleine“ Rakete zur Nachrüstung könnte also eben dieser operativ-taktische Komplex Iskander-M sein.

Gleichzeitig „beschnitt“ der Vertrag von 1987 nur Bodenkomplexe mit einer Reichweite von 1.000 bis 5.500 km. See- und luftgestützte Raketen mit einer ähnlichen Treffweite blieben im US-Arsenal erhalten und wurden später auch in Russland eingeführt. Laut Wiktor Litowkin werden die amerikanische Tomahawk und die russische Kalibr die nächsten Waffen in der Liste der „Modernisierung“ und Anpassung an die neue Realität sein.

Die Zerstörungsreichweite der einzelnen Raketen liegt zwischen 300 und 2.600 km. Außerdem fliegen diese Lenkwaffen nicht entlang einer ballistischen Flugbahn, sondern passen sich dem Geländeprofil an.

Die technologische Entwicklung ermöglicht es inzwischen, jede dieser Raketen im nächsten Jahrzehnt mit einem Sprengkopf mit der Sprengkraft von Atomwaffen zu versehen. Es wird eine hochpräzise und manövrierfähige Waffe sein, die jedoch das Zielgebiet nicht radioaktiv verseuchen wird. Daher können Bodentruppen nach der Zerstörung des Ziels ungehindert dieses Gebiet passieren.

Wer wird „vom Himmel zur Erde“ zurückkehren?

Eine weitere potentielle Bodenrakete ist die neue Kinschal. Vor einem Jahr erhielten die russischen Abfangjäger MiG-31 neue Flugabwehrraketen dieses Typs und sind nach Angaben des Militärs gegenwärtig die einzige derartige Luftkampfwaffe der Welt.

Solche Raketen könnten Ziele in einer Entfernung von mehr als 2.000 km treffen, ohne in die Luftabwehrzone des Feindes einzudringen, sagte der Oberbefehlshaber der Luft- und Weltraumkräfte, Generaloberst Sergej Surowikin, in einer Erklärung.

Ihm zufolge beschleunigt eine solche Rakete nach dem Abschuss von einem Flugzeug im Bruchteil einer Sekunde auf Hyperschallgeschwindigkeit (8-fache Schallgeschwindigkeit) und jagt dann ihrem Ziel entgegen.

„Das Manövrieren mit Hyperschallgeschwindigkeit gestattet es der Rakete, alle bestehenden und zukünftigen Luft- und Raketenabwehrsysteme zu überwinden“, sagte der Oberbefehlshaber.

Zudem ist in der Waffe ein Allwetter-Zielkopf installiert, der es ermöglicht, den Feind zu jeder Tages- und Nachtzeit bei Gewitter und Regen anzugreifen.

Die russische Militärexperten-Gemeinschaft neigt zu der Annahme, dass es eben diese Schlagwaffen sind, für die im nächsten Jahrzehnt eine bodengestützte Version entwickelt wird, und die für die Sicherung der russischen Grenzen eingesetzt werden könnten. Es stellt sich nur noch die Frage nach den Kosten für die Entwicklung und Ausstattung: Das Wettrüsten ist kein billiges Vergnügen.

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