Während der Isolation neigt man nicht zu extremen Gefühlen. Körper und Geist sind damit beschäftigt, unter diesen Lebensbedingungen eine Routine und Gleichmäßigkeit zu entwickeln. Nach einem Monat voller Euphorie und Neugier beginnt die Phase der Gewöhnung.
Nur eines lässt uns auf unserer „Mondmission” Sirius 19 keine Ruhe. Das Monster, das Biest, der Folterknecht. Jeder von uns hat seinen eigenen Spitznamen oder sein eigenes Schimpfwort für das Laufband. Auf der Erde kommt es eher selten zum Einsatz. Das Laufband wird allein durch die Bewegung der Füße betrieben.
Der Prototyp für ein Laufband wurde 1818 vom englischen Ingenieur William Cubitt erfunden, nachdem er Gefängnisinsassen gesehen hatte, die ihre Zeit mit Nichtstun verbrachten. Für diese Sträflinge erfand er ein Zwei-Meter-Rad, mit 24 Schaufeln. Für die Insassen simulierte es Treppensteigen. Sechs bis zehn Stunden verbrachten sie damit.
Mit Cubitts Erfindung konnten auch Getreide gemahlen, Wasser aus Brunnen geholt und sogar Minen belüftet werden. Die Gefängnisverwaltung erkannte sofort den Nutzen. Überschüssige Energie der Häftlinge wurde abgebaut und sie waren abgelenkt von Fluchtplänen.
Erst 1902 verschwand das Gerät wieder aus den Gefängnissenn. Es galt als unmenschlich. Ein Jahrzehnt später ließ sich C.L. Hagen eine Laufmaschine patentieren. Die moderne Version des Laufbandes wurde vom US-amerikanischen Kardiologen Robert Bruce und dem Medizintechniker Wayne Quinton entwickelt.
Das erste Laufband zur Verwendung an Bord der Saljut-Raumstationen wurde 1971 am Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin entwickelt. In unserem Isolationsexperiment Sirius 19 (durchgeführt vom Institut für biomedizinische Probleme, IBMP, und der NASA) trainieren wir meist auf einem Laufband, das eine Idee der Abteilung SKB EO des IBMP für das Buran-Programm war. Diese Abteilung entwickelt experimentelle Ausrüstung. Das Laufband ist nicht motorisiert. Es funktioniert allein durch die Muskelkraft des Nutzers. Es ist der Schlüssel, um Kraft und Gesundheit während einer Weltraummission aufrechtzuerhalten.
In der Schwerelosigkeit verlieren die Knochen bereits nach zwei Wochen Kalzium und die Beinmuskulatur beginnt zu verkümmern. Ein manuelles Laufband ist effektiver als ein motorisiertes, da es auf die Muskelgruppen abzielt, die auch beim Gehen oder Stehen auf der Erde benötigt werden.
Für echte Weltraumflüge wird ein BD-2-Laufband verwendet, das sich von unserem Bodentrainingsmodell dadurch unterscheidet, dass es einen instabilen Untergrund hat. Die Plattform ist mit einem speziellen Vibrationsdämpfer ausgestattet, damit das Gewicht während der Nutzung nicht auf die Station einwirkt. Aufgrund der Instabilität müssen die Astronauten also zugleich laufen und die Balance halten. Auf einem Display lassen sich Laufgeschwindigkeit, zurückgelegte Strecke, Zeit und andere Daten ablesen.
Vier Monate lang folgten unsere Workouts dem folgenden Schema: drei Tage Laufen, ein Tag Ruhe und dann wieder drei Tage Laufen. Das Regime wechselte einmal im Monat von einem manuellen Laufband zu einem motorisierten, von konstanter Geschwindigkeit zu Intervalllauf und Geschwindigkeiten zwischen fünf und 13 Stundenkilometern. Am ersten Tag läuft man ungefähr 30 Minuten, am zweiten 36 Minuten und am dritten und härtesten Tag rund 42 Minuten.
Die schwierigere Trainingseinheit ist natürlich der Intervalllauf auf dem nicht-motorisierten Laufband am dritten Tag. Laufen und selbst schnelles Gehen auf dem unmotorisierten Laufband bei sieben Stundenkilometern ist sehr anstrengend. Bereits nach 15 Minuten sind Sie schweißgebadet. Stellen Sie sich vor, Sie laufen schnell in Gummistiefeln über Sand.
Der Puls steigt viel schneller an als auf einem motorisierten Laufband. Dort bleibt der Puls bei zwölf Stundenkilometern noch unter 140. Nicht so ohne Motor. Die Herzfrequenz steigt schnell an und Sie schnappen nach Luft. Der Schweiß läuft in die Augen, tropft von der Nasenspitze auf den Boden.
Wer wird diesen Kampf zwischen Willenskraft und Selbstmitleid gewinnen? Es hängt alles von Ihrer Energie ab, wie gut Sie geschlafen haben, wie viel Sie gegessen haben ... An einem Tag haben Sie es locker geschafft, und an einem anderen wollen Sie bei maximaler Geschwindigkeit 30 Sekunden vor dem Ende aufgeben.
Alle Crewmitglieder trainieren zu unterschiedlicher Musik. Warum ist Musik so wichtig? Unser Körper ist auf der Suche nach Mitteln, um die tägliche Qual der halben Stunde voller „Schweiß und Tränen” zu lindern. In Momenten, in denen jede Zelle in Ihrem Körper Sie bittet anzuhalten und es scheint, als würden Sie langsam ersticken, beflügelt Sie die Musik. Wie durch ein Wunder schaffen Sie die 42 Minuten durchzuhalten. Jeder von uns hat seinen eigenen inneren Motivationsdialog. Meist sage ich zu mir: „Du wolltest in den Weltraum, und hier bist du. Auf einer echten Raumstation wird das Training noch härter sein.”
Wenn es besonders hart ist und sich drei Minuten anfühlen wie 20, dann stelle ich mir ein Raumschiff vor, das zum Mars fliegt. Das Ziel ist nur wenige hundert Kilometer entfernt. Eine unglaubliche fremde Welt aus roten Wüsten erwartet die ersten Menschen von der Erde. Unmittelbar nach der Landung müssen wir uns frei bewegen und harte körperliche Arbeit leisten können, die ohne Training auf einem Laufband während des langen Fluges von der Erde zum Mars nicht möglich wäre. Dann wird das Laufband zu einem Freund, der Ihnen hilft, das Ziel zu erreichen, sei es ein Flug ins All oder ein schlanker Körper.
Unser Sirius 19-Projekt, die Simulation eines Fluges zum Mond, geht zu Ende. Gestern hatte ich meine letzte Trainingseinheit auf dem Monster. In diesem Moment wurde mir klar, dass ich mich inzwischen mit ihm angefreundet hatte.
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