„Verliert“ Russland nach dem Erfolg von Elon Musk nun den Weltraum?

SpaceX/Global Look Press
Russland hat den Erfolg der Crew Dragon zur Kenntnis genommen, wird aber nichts dagegen unternehmen.

Vor achtzehn Jahren kam Elon Musk nach Moskau, um von den Russen Raketen zu kaufen und Mäuse zum Mars zu schicken. Das Geschäft kam nicht zustande – die Russen verlangten zu viel Geld. Musk ging „wütend und enttäuscht“ nach Hause und gründete zwei Monate später SpaceX. Seitdem hat die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos wiederholt Zweifel daran geäußert, dass SpaceX Erfolg haben wird.

SpaceX Crew Dragon

Am 30. März schickte SpaceX zwei Astronauten mit dem neuen Raumschiff Crew Dragon in den Orbit, zum ersten Mal überhaupt gelang dies einem Privatunternehmen. „Das ist ein schwerer Schlag für Roskosmos“,glauben einige Experten sowohl in Russland als auch im Ausland. Es stellt sich die Frage: Wie wird Roskosmos nun reagieren?

Antwort: Wahrscheinlich überhaupt nicht. Und das scheint alle zufriedenzustellen.

Äußerst kostengünstige Raketen

Viele glauben, dass die kosmische Revolution Elon Musks in den wiederverwendbaren Raketenstufen bestehe, die so eindrucksvoll auf einer Plattform im Ozean mit dem sentimentalen Namen Of Course I Still Love You aufsetzen. Tatsächlich besteht die Revolution darin, dass die amerikanische Raketen kostengünstiger als die russischen geworden sind.

 Falcon 9

Die Zahl der Starts aus Russland hat ab 2012 abgenommen, nachdem SpaceX seine Rakete Falcon 9, den Konkurrenten der russischen Proton, gestartet hatte. Mit dieser schweren Rakete führt Musk alle Aufträge aus und transportiert mit ihr sowohl leichte als auch schwere Lasten – wobei sie durch ihre Wiederverwendbarkeit recht profitabel ist.

 „Hatte unsere Proton vor zehn Jahren noch einen Marktanteil von 60 %, sind jetzt fast alle ihre Aufträge an die Falcon 9 gegangen“, sagt Witalij Jegorow, Gründer des Projekts Offener Kosmos und der privaten Raumfahrtfirma Dauria Aerospace (die im Auftrag von Roskosmos Satelliten herstellte).

Um irgendwie mit der Falcon konkurrieren zu können, musste Roskosmos den Preis für ausländische Kunden von 100 Millionen US-Dollar zunächst auf 70 Millionen US-Dollar und dann auf 65 Millionen US-Dollar senken.

Proton-M

Bei den bemannten Flügen zur ISS (Russland war bis vor kurzem der Monopolist bei der Beförderung von Menschen in den Orbit) passiert nun die gleiche Geschichte: Jetzt gibt es die neue, geräumigere Crew Dragon (mit der zudem gleichzeitig auch Fracht befördert werden kann), im Wert von etwa 55 Millionen US-Dollar pro Platz. Demgegenüber kostet ein Sitzplatz in der russischen Sojus90,2 Millionen US-Dollar.

Das bedeute jedoch nicht, dass die Sitzplätze in der Sojus nun nicht mehr gekauft werden würden, sagt der Wissenschaftsjournalist Alexander Berjosin und erinnert an die kurze Zeit, in der die Astronauten zur ISS auch mit den amerikanischen Space Shuttles gebracht wurden, obwohl die Kosten deutlich höher lagen als bei der Sojus. „Bis 2011 kam auf einen bemannten Space-Shuttle-Flug zur Orbitalstation im Schnitt ein Flug der Sojus. Genauso wird es nun nach der Aufnahme des Flugbetriebs der Crew Dragon sein: Es wird wieder gemischte Besatzungen geben und Astronauten aus Russland und aus westlichen Ländern werden zusammen fliegen“, erklärte Berjosin. Allerdings mit einem Vorbehalt: Die Prognose gilt nur für die nahe Zukunft, bis Klarheit über das Schicksal der ISS herrscht.

Das nicht enden wollende russische Projekt

Gleich nach dem erfolgreichen Start der Crew DragonkündigteRoskosmos seine nächsten Pläne an: „Dieses Jahr werden wir zwei neue Raketen testen und nächstes Jahr unser Mondprogramm wieder aufnehmen. Das wird interessant werden!“ Auf die Nachfrage von Russia Beyond präzisierte die Raumfahrtbehörde lediglich, dass (zumindest in einem Fall) die Rede von der Trägerrakete Angara ist.

Angara

Die Angara ist eines der wichtigsten Projekte der Weltraumorganisation in den letzten Jahrzehnten. Sie wurde als Ersatz für die 1967 entwickelte Proton konzipiert. Die Rakete sollte vollständig aus russischen Komponenten bestehen und jede Art von Raumfahrzeugen und Lasten ins All befördern. Unter anderem sollte sie den Weg für den Start einer bemannten Expedition zum Mond im Jahr 2024 ebnen. Die Entwicklung der Angara begann Mitte der Neunzigerjahre, aber bisher wurde der regelmäßige Flugbetrieb nicht aufgenommen.

„Dabei ist die Angara-A5 ist keine völlig neue Rakete – sie ist schon einmal geflogen, und zwar vor sechs Jahren“, erinnert sich in einem Gespräch mit Russia Beyond Ingenieur Alexander Schajenko, einer der Konstrukteure der Angara-A5 und der südkoreanischen Trägerrakete KSLV. Zum Vergleich: Russland hat allein für die Entwicklung der Angara mehr als 4 Milliarden US-Dollar (zum Kurs von 2014) ausgegeben – das ist das Zehnfache dessen, was SpaceX die Entwicklung der erste Version der Falcon 9 und der Crew Dragon gekostet hat. Außerdem benötigte Russland für sein Projekt 27 Jahre. Der Chefkonstrukteurmacht den Mangel an Finanzmitteln dafür verantwortlich.

An dieser Stelle soll an das interplanetare Raumschiff Federazija (Föderation) erinnert werden, das im vergangenen Jahr in Orjol (Adler) umbenannt wurde, da Roskosmos-Chef Dmitrij Rogosin  entschieden hatte, dass „das Schiff nicht als Mädchen bezeichnet werden sollte“. Es wird seit 2009 entwickelt und ist in Bezug auf die technischen Eigenschaften vielversprechender als die Crew Dragon. Aber bisher wurde es noch nicht einmal getestet.

Festgefahrene Projekte und die Mond-Odyssee

Das Mondprogramm Russlands ist ein genauso nicht enden wollendes Projekt wie die Entwicklung einer neuen Trägerrakete. „Ich war persönlich eingebunden: 2011 haben wir ein wissenschaftliches Gerät an der Luna 25 angebracht.“ Dies wird die erste Station für Russland sein, die auf dem Mond landen wird (die letzte solche Mondsonde war Luna 24 im Jahr 1976). Damals war der Start für 2013 geplant, aber es sind nun schon fast zehn Jahre vergangen und die Station ist noch immer nicht ins All geflogen. Der Start wurde alle zwei Jahre verschoben“, sagte Schajenko. Der nächste Termin ist Oktober 2021. Höchstwahrscheinlich werden die Projekte Luna 25 und die Luna 26 noch realisiert, aber für den Flug aller nachfolgenden Raumsonden wird eine neue Technologie benötigt. Wann diese  zur Verfügung stehen wird, stehe jedoch buchstäblich noch in den Sternen.

Luna 25

Schajenko zufolge ist nicht die Finanzierung der Programme schuld, sondern das schlechte Management: Die technischen Aufgabenstellungen werden ständig überarbeitet, das Leitungspersonal wird ausgetauscht, es herrscht allgemeine Trägheit und wann etwas tatsächlich einmal fertig sein wird, weiß man nicht einmal in den Entwicklungsabteilungen selbst. Wie die Zeitung RBC schreibt, befindet sich das Chrunitschew-Zentrum (der Hersteller der Proton und Angara) aufgrund des starken Auftragsrückgangs für Raketen derzeit in einer ernsten Krise. Die Produktion in Moskau wurde drosselt, Grundstücke für den Wohnungsbau verkauft und Einrichtungen nach Omsk verlegt.

Die private Raumfahrtindustrie in Russland habe gerade einmal einen Anteil von weniger als 1 % und es gäbe keine besondere Dynamik auf diesem Markt, sagt Schajenko. Vielen Unternehmen wurden in den letzten zehn Jahren gegründet und geschlossen, um dann unter einem anderen Namen und einer etwas anderen Zusammensetzung wieder neu zu eröffnen. Aber sie alle fertigen keine schweren Raketen, sondern in der Regel Satelliten und andere Raumfahrtausrüstung. „Und selbst nach fünf Jahren werden sie nicht so wachsen, wie es SpaceX in so kurzer Zeit gelungen ist. So etwas kann man sich unter unseren Bedingungen absolut nicht vorstellen“, glaubt der Experte.

Das macht den Kohl nicht fett

Mit dem Auftauchen eines so starken Wettbewerbers wie SpaceX beginne für Roskosmos eine sehr schwere Zeit, glauben viele westliche Experten. „Was sich ändern wird, ist, dass Russland eine wichtige Einnahmequelle für seine Raumfahrtindustrie verliert“, schreibtThe Verge. All dies sollte zumindest die Entwicklung von Raumfahrtprojekten motivieren. In Russland sieht man das allerdings anders. Die „motivierenden“ Gründe von NASA und SpaceX hätte bereits ausreichen müssen – zumindest der erfolgreiche Start der ersten privaten Rakete Falcon 1 im Jahr 2008.

„Es liegt daran, dass Roskosmos auf den einheimischen Verbraucher, d.h. auf Staatsaufträge beschränkt ist – das ist der größte Teil des Budgets. Es gibt nicht viele ausländische Satelliten (und noch weniger Astronauten), die mit unseren Raketen transportiert werden. Ihr Verlust macht den Kohl also auch nicht fett“, meint Schajenko. Wenn man die Raketenflüge als Ganzes betrachtet, dann machen sie nur etwa 10 % des Budgets des Staatsunternehmens aus.

Trotz des offensichtlichen Problems mit Neuentwicklungen ist Russland nach Ansicht Jegorows immer noch eines der drei führenden Weltraumnationen: „Alles, was man im Weltraum tun kann, kann auch Russland tun, wenn es unter großem Druck steht. In vielerlei Hinsicht ist das ein Vermächtnis der UdSSR, aber es ist nichts Falsches daran.“ Dies gilt umso mehr, da der Weltraum nicht bei bemannten Projekten endet. Als Beispiel sei hier das Spektr-RG genannt, das eine Karte des Universums erstellt und eines der besten Röntgen-Weltraumobservatorien für die nächsten zehn Jahre ist. Oder das russische Forschungsgerät DAN, dass sich auf dem amerikanischen Rover Curiosity befindet und nach Wasser im Marsboden sucht. Auch fliegen die amerikanischen Atlas-Raketen von Boeing mit russischen Triebwerken RD-180, weil sie keinen Ersatz für diese finden können.

Spektr-RG

Kommerzielles Interessehabe bei Roskosmos nie im Vordergrund gestanden, in dieser Hinsicht ist es eine ineffiziente Struktur. Für das Staatsunternehmen ist der Wettbewerb mit SpaceX nichts Neues. Aber selbst wenn es seine Raketen nach der „Musk-Methode“ zusammenbaut (d.h. bei der Konstruktion der neuen Rakete werden bereits vorbereitete Teile anderer Raketen verwendet), wird deren Tragfähigkeit den aktuellen Modifikationen der Falcon 9 nicht überlegen sein. „Ich sehe keine wesentlichen Voraussetzungen für eine Änderung der Roskosmos-Politik – es gibt keine solchen äußeren Gründe. Der Raumfahrtmarkt bringt kaum etwas ein, das meiste Geld kommt vom Staat. Selbst wenn dieser Markt verschwindet, wird sich nichts ändern – so wie die Mitarbeiter ihre Arbeit getan haben, werden sie sie auch weiterhin tun“, glaubt Schajenko.

>>> Das russische Raumschiff SOJUS – der größte Rivale der Crew Dragon

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