Russlands Corona-Impfstoffe: Worin unterscheiden sie sich?

AP
Der erste COVID-19-Impfstoff der Welt wurde kürzlich in Russland registriert. Er ist einer von mehreren, die in klinischen Studien getestet wurden. Es gibt viele Fragen zur Sicherheit dieser Impfstoffe. Wir beantworten die wichtigsten.

Wie viele Impfstoffe gibt es? 

Derzeit befinden sich weltweit rund 150 verschiedene COVID-19-Impfstoffe in der Entwicklung, 26 davon in Russland, sagt (rus) Anna Popowa, die Leiterin der russischen Föderalen Verbraucherschutzbehörde Rospotrebnadzor.

Der Stand der Entwicklung ist sehr unterschiedlich. Die verschiedenen Impfstoffe werden überwiegend in denselben Forschungsinstituten entwickelt, doch es gibt teils bemerkenswerte Unterschiede zwischen ihnen. 

Nur zwei der russischen Impfstoffe haben es bisher geschafft, in klinischen Studien erprobt zu werden: Sputnik V - der erste zugelassene Impfstoff und EpiVacCorona, der in Sibirien entwickelt wurde. 

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Wie unterscheiden sich die Impfstoffe voneinander? 

EpiVacCorona wurde vom Forschungszentrum Vektor entwickelt, das 1974 zunächst als zivile Fortführung eines Chemiewaffenlabors gegründet wurde. Im Labor werden einige der gefährlichsten Viren aufbewahrt. Vektor hat den Status einer militärischen Einrichtung. Hier wurde auch die Formel für den ersten russischen Coronavirus-Test entwickelt und die erste Mikroskopaufnahme des Virus gemacht.  

Vektor hatte zunächst das Monopol für Covid-19-Tests - mit einer so soliden Basis in der empirischen Wissenschaft, dass das gesamte Land davon abhängig war. Schnell beteiligte sich das Institut am Wettlauf um eine Lösung zur Bekämpfung des Coronavirus und startete mehrere Forschungsreihen für einen Impfstoff. Am weitesten fortgeschritten ist bislang EpiVac-Corona. Er basiert auf viralen Proteinen und Peptiden. Diese Proteine werden vom menschlichen Körper nicht produziert. Sie rufen nach einer Impfung eine Immunantwort hervor. 

Der Impfstoff Sputnik-V kommt aus dem Gamaleja-Forschungsinstitut für Epidemiologie und Mikrobiologie. Er hat eine andere Basis als EpiVacCorona. Die Institution selbst ist weniger geheim als Vektor und war bis 2010 eine Unterabteilung der Russischen Akademie der Wissenschaften, bevor sie Teil des Gesundheitsministeriums wurde. Um die Sache noch verwirrender zu machen, ist der Sputnik-V ein sogenannter Impfstoff vom Typ „Vektor“. Dies bedeutet, dass es ein harmloses Adenovirus (wie bei einer Erkältung) verwendet, um die DNA des Coronavirus in die Zellen zu transportieren, was die Proteinsynthese aktiviert und das Immunsystem an die Krankheit heranführt. Das Gamaleja-Institut verfolgte einen ähnlichen Ansatz bei der Bekämpfung eines Ebola-Impfstoffs und entwickelte in den letzten drei Jahren auch einen Impfstoff gegen MERS (ein Verwandter des Coronavirus aus dem Jahr 2012). 

Diese beiden Institutionen stehen heute im Fokus praktisch aller staatlichen und privaten Förderungsmaßnahmen. Man traut ihnen die größten Erfolgschancen (rus) zu. 

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So wurde getestet  

Sputnik-V bestand erfolgreich die ersten beiden Testreihen, die unmittelbar nacheinander durchgeführt wurden. Der Impfstoff wurde an Mäusen, Hamstern, Affen und sogar an 76 gesunden und eigens ausgewählten russischen Soldaten und Zivilisten (rus) getestet. Die Freiwilligen sollten alle Beobachtungen und Nebenwirkungen wie möglicherweise Temperaturanstieg, Hautausschläge und Entzündungen an der Injektionsstelle in einem Journal dokumentieren. Wie wir wissen, wurden keine ernsthaften negativen Begleiterscheinungen gemeldet. 

Der 12. August war der Beginn der dritten Phase der Tests, die als die wichtigste angesehen wird, da es sich um eine größere Stichprobe handelt, mit der weitere mögliche Nebenwirkungen erkannt werden können. Mehr als 2.000 Personen in ganz Russland sowie in Saudi-Arabien, Brasilien, Mexiko, den Vereinigten Arabischen Emiraten und weiteren Ländern nehmen teil. Der Impfstoff wurde zwar bereits zugelassen, aber als sogenannte bedingte Zulassung.   

EpiVacCorona liegt derzeit in Bezug auf den Fortschritt der Studien noch hinter Sputnik-V zurück: Die Phasen 1 und 2 begannen am 27. Juli und sind noch nicht abgeschlossen. Insgesamt nehmen 300 Freiwillige im Alter von 18 bis 60 Jahren teil.

Laut Vektor (rus) werden alle Freiwilligen versichert und erhalten eine Summe von 147.000 Rubel (ca. 1.682 Euro) für ihre Teilnahme. Dafür begeben sie sich für 23 Tage ins Krankenhaus, das sie nicht verlassen dürfen, außer zu Spaziergängen auf dem Klinikgelände. Sie bekommen dort auch ihre Mahlzeiten, fünf Mal am Tag. Diejenigen, die das strenge Auswahlverfahren erfolgreich bestanden haben (die Kandidaten müssen gesundheitlich in Topform sein), haben die Bedingungen mit einem Kuraufenthalt verglichen. Dennoch habe die Atmosphäre bei Vektor etwas von einem Bunker (rus) und sei ein wenig „gruselig“.  

Was bedeutet „bedingte Zulassung“? Was passiert, wenn der Impfstoff die Erwartungen nicht erfüllt? 

Diese Art der Zulassung ist vorläufig. Die staatlichen Vorschriften erlauben dies bei einer Pandemie, in der nicht genug Zeit ist, um kostspielige und langwierige Forschung durchzuführen, um alle, auch wenig wahrscheinliche Risiken, auszuschalten. Die Forschung und Entwicklung einer neuen Substanz dauert normalerweise mehrere Jahre.

Der Erfinder von Sputnik-V, Denis Logunow, sagte (rus) gegenüber „Meduza“: „Derzeit ist eine bedingte Zulassung erforderlich, damit Personen aus Risikogruppen an den Studien teilnehmen können, denn wir wollen nicht nur gesunde Freiwillige behandeln.“ Im Moment dürfen sich zum Beispiel Ärzte und Lehrer impfen lassen. 

Wenn eine große Stichprobe nicht zu einem positiven Ergebnis führt, wird die Zulassung wieder zurückgezogen und die Produktion eingestellt. Im Falle eines schlüssigen Nachweises, dass durch den Impfstoff keine Gesundheitsrisiken entstehen, wird die volle Zulassung erteilt. Derzeit soll die Produktion im Jahr 2021 beginnen. Die bedingte Zulassung endet am 1. Januar.

Sind es die einzigen zugelassenen Impfstoffe? Wer ist noch im Rennen? 

Sputnik-V hat weltweit drei Äquivalente - eines von der Universität Oxford in Großbritannien, ein anderes, Cansino genannt, aus China und eines von Johnson & Johnson. Alle sind im Rennen um einen Corona-Impfstoff, bei dem einer statt zwei Vektoren verwendet werden.

Der russische Impfstoff wird in zwei Impfdosen verabreicht. Dies ist laut der Wissenschaftler des Gamaleja-Instituts der sicherste Weg. „Wenn die erste, niedriger dosierte Impfung, keine Ergebnisse bringt, muss ein zweites Mal geimpft werden. Dabei muss jedoch eine höhere Dosierung verwendet werden, da das Immunsystem den Stoff bereits kennt“, erklärt Logunow. 

Wie ist die anhaltende Kritik internationaler Medien an Russland in Zusammenhang mit dem Corona-Impfstoff einzuordnen? 

In der wissenschaftlichen Literatur gibt es noch wenige Details zur Entwicklung des Impfstoffs, obwohl dies normalerweise so üblich wäre. Gamaleja wird die Informationen in naher Zukunft veröffentlichen, und zwar dann, wenn die Ergebnisse endgültig sind und nicht nur vorläufig (wenn also die Immunantwort gründlich untersucht wurde und der Impfstoff als absolut sicher gilt). Derzeit gibt es noch keinen Grund, unerwünschte Überraschungen zu vermuten, aber die Tests dauern noch an.

Warum reicht ein Impfstoff nicht? Welcher ist sicherer? 

Rospotrebnadzor hat erklärt, dass jedes Land, das derzeit an einem Impfstoff arbeitet, verschiedene Optionen (rus) haben muss, auf die es sich stützen kann. Nur auf einen Impfstoff zu setzen, besonders auf einen weitgehend unerforschten, wäre ein zu großes Risiko. 

Allerdings haben sowohl Sputnik-V als auch EpiVacCorona bisher keine „schwerwiegenden oder unerwünschten Immunantworten“ hervorgerufen (rus). Experten der Weltgesundheitsorganisation bestätigen, dass Russland eine starke Tradition im Bereich der Entwicklung von Impfstoffen und der Umsetzung von Impfprogrammen habe. 

Die Adenovirus- und Peptid-Impfstoffe haben eine große Chance, ihre Wirksamkeit zu beweisen.

Vektorbasierte Impfstoffe werden seit den 1990er Jahren aktiv eingesetzt, was erklärt, warum das Gamaleja-Institut sie als erfolgversprechenden Weg betrachtet: „Wir haben zahlreiche Tests durchgeführt, und schon früh war klar, dass es enorme Unterschiede gibt.“ 

Ein Peptid-Impfstoff ist laut der Leiterin von Rospotrebnadzor (rus) sehr sicher, da er aufgrund des Fehlens eines biologischen Wirkstoffs kaum ein Risiko für Nebenwirkungen birgt. „Diejenigen, die den Impfstoff bereits erhalten haben, haben keine Nebenwirkungen gezeigt. Nicht einmal die geringste Entzündung an der Injektionsstelle. Die Körpertemperatur war ebenfalls stabil“, so Anna Popowa (rus)

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