Impfstoff gegen das Coronavirus: Russische Forscher erzielen Durchbruch

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Vorläufige Untersuchungsergebnisse lassen vorsichtigen Optimismus über die Wirksamkeit eines russischen Impfstoffes gegen die vom neuartigen Coronavirus ausgelöste Krankheit Covid-19 zu. Nun müssen die Langzeitergebnisse abgewartet werden.

Am 15. Juli fielen bei einer Pressekonferenz in einem vollbesetzten Saal drei Personen besonders auf: Im Gegensatz zu allen anderen trugen sie keine Schutzmaske. Es waren Freiwillige, die den russischen Impfstoff gegen Covid-19 getestet hatten. Nach Angaben der Ärzte könnten sie sich nun nicht mehr infizieren und auch niemanden anderen anstecken. 

Zunächst gab die Erste Staatliche Medizinische Setschenow Universität Moskau am 12. Juli bekannt, dass sie monatelange Versuche mit einem in Russland hergestellten Impfstoff gegen Covid-19 erfolgreich abgeschlossen habe.

Der Impfstoff sei sicher, erklärten die beteiligten Forscher, machten aber keine Angaben zur Wirksamkeit. Nur drei Tage später gaben sie sich weniger zurückhaltend, jedoch dafür optimistisch und verkündeten im Rahmen der Pressekonferenz, dass alle 38 Probanden Antikörper gegen Covid-19 entwickelt hätten und somit immun gegen die Krankheit seien. 

Wadim Tarasow (links), Leiter des Instituts für translationale Medizin und Biotechnologie an der Ersten Medizinischen Universität, und Elena Smoljartchuk (rechts), Leiterin des Zentrums für die klinische Untersuchung von Arzneimitteln an der Ersten Staatlichen Medizinischen Universität Moskau.

„Ja, die Probanden wurden positiv auf Antikörper getestet. Es wurde eine Immunität festgestellt. Wir werden jedoch Zeit brauchen, um die langfristige Wirksamkeit des Impfstoffs zu untersuchen“, betonte Wadim Tarasow, Direktor des Instituts für translationale Medizin und Biotechnologie an der Setschenow-Universität. 

Der Impfstoff, der in einer anderen Forschungseinrichtung, dem nach Nikolai Fjodorowitsch Gamaleja benannten Nationalen Forschungszentrum für Epidemiologie und Mikrobiologie, in Zusammenarbeit mit dem russischen Verteidigungsministerium entwickelt wurde, ist in dem Sinne einzigartig, dass nicht der Erreger (in diesem Fall das Coronavirus) injiziert wird, wie dies bei Impfstoffen ansonsten üblich ist, sondern dass die Probanden ein Mittel erhalten, dass eine ähnliche Reaktion des Immunsystems hervorruft wie der Covid-19-Erreger. 

„Während der klinischen Studien wurde weder ein lebendes noch inaktives Virus in den menschlichen Körper eingebracht. Weder der Impfstoff noch das Protein, das nach dem Eindringen des Antigens in die Zellen erzeugt wird, können Covid-19 verursachen“, sagte Elena Smoljartschuk, Leiterin des Zentrums für die klinische Untersuchung von Arzneimitteln an der Ersten Staatlichen Medizinischen Setschenow Universität Moskau. 

Tarasow erklärte, wie das funktioniert: „Der Impfstoff ist nicht das Coronavirus. Es löst eine ähnliche Reaktion im menschlichen Körper aus [wie das Coronavirus] und bewirkt eine ähnliche Reaktion des Immunsystems. Es besteht keinerlei Infektionsrisiko, dennoch entwickelt sich das Immunsystem so, als wäre es mit dem Coronavirus [infiziert].“ 

Sowjetisches Know-how 

Der Wissenschaftler sagte, es sei eine gängige Praxis, dass sich verschiedene Institutionen mit unterschiedlicher Expertise zusammenschließen. In diesem speziellen Fall war die Moskauer Setschenow-Universität Moskau für die effektive Durchführung der klinischen Studien am besten geeignet. 

„Die Sowjetunion war schon immer stark bei der Impfstoffentwicklung. Dieses Know-how hat unserem Land [Russland] geholfen, den Impfstoff so schnell zu entwickeln. Die wissenschaftlichen Grundlagen, die in der Sowjetunion geschaffen und später in der Russischen Föderation weiterentwickelt wurden, ermöglichen es uns, die ersten auf der Welt zu sein, die solche Ergebnisse vorweisen können“, so Tarasow. „Wir wollen erfolgreich sein und hoffen, dass unsere Arbeit viele Leben retten wird und hilft, das Virus zu besiegen“, fügte er hinzu.  

Die Wissenschaftler erklärten, dass der Covid-19-Impfstoff auf der Grundlage eines Impfstoffs gegen Ebola entwickelt wurde. Sie waren jedoch zurückhaltend, die Wirkung zu vergleichen. Im Gegensatz zu Ebola sei Covid-19 eine völlig neue Erkrankung, die die Wissenschaft noch nicht wirklich verstehe. 

Langzeiteffekt muss noch untersucht werden 

Die Wissenschaftler äußerten sich noch nicht zur langfristigen Wirksamkeit des neuen Impfstoffs und betonten, dass eine weitere groß angelegte Studie erforderlich wäre, um zu einer entscheidenden Schlussfolgerung zu gelangen. Die aktuellen Ergebnisse ließen jedoch vorsichtigen Optimismus zu. 

 „Wir hoffen, dass dieser Impfstoff wirksamer sein wird als alles, was bereits im Ausland entwickelt wurde", sagte Smoljartschuk.  

„Wir wünschen uns, dass dieser Impfstoff der erste Impfstoff der Welt sein wird, der die Menschen vor dem Coronavirus schützt. Die Zeit wird zeigen, wie effektiv er wirklich ist“, erklärte Tarasow. 

Wurden medizinische Standards missachtet? 

Vertreter des Forschungsteams der Ersten Staatlichen Medizinischen Setschenow Universität Moskau wiesen Vorwürfe zurück, dass bei den klinischen Studien behördliche Vorschriften und medizinische Standards missachtet worden sein sollen. 

Vor der Pressekonferenz am 15. Juli in Moskau erschienen online entsprechende Berichte. Darin wurde behauptet, der neue russische Impfstoff sei an medizinischem und militärischem Personal getestet worden, zwei Gruppen, die von ihren Vorgesetzten abhängig seien und daher die Ergebnisse der klinischen Studien freiwillig oder auch unter Druck manipulieren könnten. 

Freiwillige Teilnehmer der Corona-Impfstoff-Studie auf der Pressekonferenz

„Alle unsere Testpersonen sind Zivilisten. Sie sind Bürger dieses Landes, die hier leben und arbeiten“, wies Tarasow die Vorwürfe zurück. 

Smoljartschuk verwies auf ein russisches Gesetz, das die Rekrutierung von Militärs als Subjekte für medizinische Studien verbietet, und betonte, das Institut würde niemals gegen dieses Gesetz verstoßen. Die Wissenschaftlerin erklärte, das Militär habe ebenfalls separate klinische Studien durchgeführt, doch sei auch dort ziviles Personal als Probanden angeworben worden. 

Bei der Pressekonferenz waren drei der Testpersonen anwesend, zwei Frauen und ein Mann. Alle machten nur vage Angaben zu ihren Berufen und verzichteten auf Einzelheiten. Der Mann erklärte, er habe nie beim Militär gedient, weder freiwillig noch verpflichtend. 

Einer der Probanden gab an, dass ihnen 100.000 Rubel (etwa 1234 Euro) für die Teilnahme an den klinischen Studien versprochen wurden. Noch sei das Geld aber nicht gezahlt worden. 

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