Was wurde aus den 42.000 alten Würmern, die russische Forscher im Permafrost gefunden haben?

Duvanny Yar/youtube.com; A. W. Schatilowitsch; A. W. Tschessunow
Vor zwei Jahren entdeckten russische Forscher durch Zufall uralte Würmer im Permafrostboden. Die Würmer waren nur scheintot und erwachten im Labor zu neuem Leben. Seitdem vermehren sie sich. Die Wissenschaftler sprechen von einer Sensation.

Die Nachricht, dass russische Wissenschaftler uralte Nematoden (Fadenwürmer) aus dem sibirischen Permafrost „aufgetaut“ hatten, wurde erstmals im Jahr 2018 veröffentlicht. Damals erschienen entsprechende Artikel (eng) in russischen und ausländischen wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Doch erst kürzlich ging die Geschichte auch viral (eng).

Die Nematoden werden seit zwei Jahren wissenschaftlich beobachtet und untersucht. Ihre Entdeckung gilt als Sensation auf dem Gebiet der Kryobiose und Biologie. Nematoden und andere mikroskopisch kleine Wirbellose sind sehr robust. Sie können in ausgetrocknetem oder gefrorenem Zustand lange ruhen. Den Ruhezustand nennt man suspendierte Animation. Sie sind gewissermaßen scheintot und können wieder zum Leben erweckt werden. 

„Aber der bisherige Überlebensrekord in suspendierter Animation lag bei lediglich 30 bis 40 Jahren, sagt Anastasia Schatilowitsch, leitende Forscherin am Institut für physikalische, chemische und biologische Fragestellungen in der Bodenkunde der Russischen Akademie der Wissenschaften. Zusammen mit einer interinstitutionellen Gruppe von Wissenschaftlern untersuchte sie die alten Nematoden. 

Purer Zufall 

Zunächst untersuchten Schatilowitsch und Kollegen Gemeinschaften von Protisten (einzellige eukaryotische Organismen), die Tausende von Jahren kryokonserviert in Permafrostsedimenten in Jakutien überlebt hatten. Einzellige lebende Objekte, die seit Tausenden und sogar Millionen von Jahren in suspendierten Animationen existieren, sind an sich nichts Neues. Im Jahr 2000 fanden und reanimierten (eng) Forscher Bakteriensporen, die 250 Millionen Jahre in Salzkristallen verbracht hatten. Aber niemand hat jemals geglaubt, dass auch Mehrzeller wie Würmer wiederbelebt werden könnten.

„Wir hatten zuvor keine mehrzelligen Tiere, die die Kryobiose auf einer geologischen Zeitskala überlebt hatten. Es war nur ein glücklicher Zufall, dass wir zwei lebende Nematoden in zwei Bodenproben gleichzeitig entdeckten“, sagt Schatilowitsch. 

Alaseja-Fluss, Jakutien

Die Nematoden blieben zunächst sogar unbemerkt. Als die gefrorenen Bodenproben ins Labor geschickt wurden, legten die Wissenschaftler sie in eine Petrischale mit einer Nährstofflösung und beobachteten sie alle paar Tage, in der Erwartung, alte Protisten zu finden. „Wir haben die Würmer erst entdeckt, als sie sich bewegten. Das war ungefähr 10 bis 14 Tage nach dem Auftauen. Sie sind wahrscheinlich schon früher wieder lebendig geworden“, vermutet die Forscherin. 

Zweifel, dass es sich um Würmer aus jüngerer Zeit handele, konnten ausgeräumt werden. Zunächst wurden beide Proben, in denen sie gefunden wurden, von unabhängigen Forschern aus Ablagerungen unterschiedlicher Genese in verschiedenen Regionen ausgewählt: in der Nähe der sibirischen Flüsse Kolyma und Alaseja. Dann wurde eine der Proben unter Verwendung eines Hochsterilisationsverfahrens aus dem Bohrloch entnommen.

Eine Nematodenart, Panagrolaimus, wurde in 32.000 Jahre alten Proben gefunden. Die zweite Art, Plectus, tauchte in einer noch älteren Stichprobe auf. Sie ist 42.000 Jahre alt. Beide Nematoden wurden als weiblich identifiziert.

Kolyma-Fluss

Nachdem das russische Team einen Artikel darüber veröffentlicht hatte, wurde es von Wissenschaftlern aus Dresden kontaktiert, die eine Zusammenarbeit anboten. Infolgedessen wurde die Wurm-DNA an Teymuras Kurzchalia und dessen Kollegen am deutschen Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik gesendet, wo sie an einer vollständigen Entschlüsselung des Genoms der beiden Nematoden arbeiten.

Ein interessantes Rätsel 

Der Fund der Nematoden sei ein Glücksfall gewesen, denn wenn sie nur aus einer Probe wiederbelebt worden wären, hätten Wissenschaftler an der Sterilität der Selektion gezweifelt - es besteht immer die Möglichkeit einer Kontamination. Es schien alles unglaublich.

„Ein einzelliger Organismus kann aufgrund seiner adaptiven Eigenschaften überleben, beispielsweise aufgrund der Fähigkeit, verschiedene Ruhephasen zu bilden - Sporen oder Zysten. Ein vielzelliger Organismus hat jedoch eine komplexere Struktur. Obwohl bekannt ist, dass Nematoden auch ein ruhendes Stadium (Dauer-Larve) haben, können bei längerem Winterschlaf Schäden an DNA und Zellmembranen auftreten und sich in den Zellen ansammeln. Es können Toxine produziert werden, die entweder den Organismus zerstören oder während der suspendierten Animation oder nach dem Auftauen repariert werden sollten.  Irgendwie haben diese Würmer ohne Schäden überlebt“, erklärt Schatilowitsch. Sie nennt es ein „sehr interessantes Rätsel“.  

Das gesamte Genom soll Antworten auf viele Fragen liefern. Die Entschlüsselung dauerte fast zwei Jahre. Wie sich herausstellte, ist einer der Würmer ein Triploid, was bedeutet, dass er drei Chromosomensätze hat und sich durch Parthenogenese (monosexuelle Reproduktion) reproduziert. Das deutsche Team plant, die Entschlüsselung des Genoms bis Ende des Jahres abzuschließen.

Tödliche Gefahr für den Menschen? 

Die Nachkommen dieser Nematoden befinden sich jetzt in der Sammlung des Bodenkryologielabors, in dem Schatilowitsch arbeitet. Einige von ihnen sind gefroren, andere getrocknet, andere lebendig und vermehren sich.

Schatilowitsch verrät, dass sie oft gefragt werde, ob es möglich sei, dass mit den Nematoden auch gefährliche Mikroorganismen aufgetaut worden seien. Sie gibt Entwarnung: „Durch das anhaltende Auftauen des Permafrosts gelangen darin konservierte Organismen immer wieder in das moderne Ökosystem. Dies ist ein natürlicher Prozess. Wir kopieren einfach die Natur und tun nichts, was in der natürlichen Umgebung nicht auch passiert.“ 

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